Eisbär

Text zum Thema Achtung/Missachtung

von  RainerMScholz

Der einsamste und verwahrloseste Eisbär im Wiener Zoo grenzüber dem mit Gips- und Marmorlöwen flankierten Belvedere, sein Kopf so groß wie eines der zahllosen Kinder, die an die Scheibe klopfen, in dessen Schatten er bei 37 Grad in diesem Sommer in dieser Stadt in diesem Europa sich zu bergen sucht und die schreien und kreischen und greinen, während ich in diesem Alptraum stehe und weinen muss, ich weiß nicht weshalb oder wie ich hierher geraten bin, vielleicht wie die riesenhafte Kreatur, eingesperrt auf alle Ewigkeit in diesen Zwinger und der Verachtung preisgegeben, dem Missmut, dem Neid, der erstaunten Unverständlichkeit; aber ich weine nur in meinem Inneren, denn was in dem Tier vorgehen könnte, weiß ich nicht; und so mögen wir unsere Tiere am liebsten: tot und hinter bruchsicherem Glas, in Gehegen und auf den Mattschirmen unserer Spiegelhirne; oder auf einer grellbestrahlten Bühne zu unserer Belustigung, unserem Wohlgefallen, vielleicht ein kleiner Schauer, ein Grusel; und dann geht es hinter die Bühne, wo das rohe Fleisch gefressen wird und Jungfrauenblut in Strömen fließt im kalten Polar, wo die Welt ist, wie sie wirklich ist, und die vage Furcht dem Entsetzen weicht.



© Rainer M. Scholz




Anmerkung von RainerMScholz:

Danke: Conny

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