Dezente Musik, vielmehr ein sphärisches Geräusch, das in der Kabine, die nach oben fährt, erklingt und sie ausfüllt, sanft, oberflächlich hintergründig, Schweigen machend; dann öffnen sich nahezu tonlos die Türen und der Fahrstuhl drückt die Passagierin in die Gänge und Flure, in denen der graue Verlegeteppich jeden Laut erstickt, absorbiert, wie in Watte, wie in dickflüssigem Nebel, wie in der erstickenden Umarmung eines großen Wassertiers. Eine Tür öffnet sich, jemand reicht ihr seine Hand, sie ergreift sie reflexhaft, unwillkürliches unverbindliches Lächeln, ein Rucken im Raum wie von Körpern, die sich verschieben.
„Schön, dass Sie so pünktlich gekommen sind. Setzen Sie sich doch. Wir führen nur ein informelles Kennenlerngespräch. Möchten Sie etwas zu trinken?“
„Nein, Danke. Ja, ich finde es auch schön, hier zu sein.“
„Sie bewerben sich zum ersten Mal bei uns?“
„Ja, um ehrlich zu sein, ich suche schon eine ganze Weile.“
„Vielleicht doch einen Kaffee?“
„Ich habe noch ein wenig Halsschmerzen vom Schwanzlutschen letzte Nacht, also, eher nein.“
„Gut. Dann fangen wir an.“
Der Personalsachbearbeiter, mittleres Management, rückt seine Krawatte, ultramarin mit himmelblauen Querstreifen, zurecht.
„Name, Alter, undsoweiter haben wir ja schon, dann: wie sind sie auf uns gekommen, auf unsere Firma?“
„Nun,“, sie arrangiert ihre Netzbluse in Brusthöhe, ihr fällt auf, dass die Fingeraralie in der Ecke staubig und dehydriert ist und zu wenig Sonnenlicht bekommt, „einer meiner Kunden hat mich auf sie aufmerksam gemacht, nachdem er abgespritzt hat, einer der Stammkunden, wissen Sie, die ein Beleg für meine Zuverlässigkeit sein können.“
„Ah ja. Dann gehörte der Kundenkontakt zu Ihrem bisherigen Arbeitsfeld?“
„Ja, sogar sehr, ich mache da alles, was verlangt wird, auch ohne Gummi, gegen Aufpreis, versteht sich.“
„Versteht sich, aber über Bonuszahlungen seitens der Firma unterhalten wir uns lieber zu einem späteren Zeitpunkt.“
„Natürlich.“
Die Tür öffnet sich mit einem schmatzenden Geräusch, wegen der Falzen im Türrahmen, und eine blonde oder blondgefärbte Sekretärin oder Bedienstete bringt dem Personalsachbearbeiter einen Kaffee mit Milch.
„Danke schön, Fräulein Brigitte.“
Sie entfernt sich geräuschlos, trotz der Hochhackigen, die Tür schmatzt wieder zu.
„Das gehörte auch zu meinen Aufgaben.“
„Wie meinen?“
„Zu meinen Aufgaben, früher, das machte ich auch schon, das Holen und Bringen, devote Handreichungen, Spermamelken, Saugen, Wichsen und Schlucken, mit und ohne Arbeitskleidung.“
„Ja, das ist sicher gut. Der direkte Kundenkontakt wird hier regelrecht gefordert. Manche Kunden sind auch nicht ganz einfach, selbst am Telefon nicht.“
„Oh, das macht gar nichts, ich halte viel aus: SM, Piss- und Kaviarspiele, Fisting, Fesseln und Peitschen, Sie wissen schon.“
„Aber das Hauptaugenmerk legen wir auf zuvorkommende Freundlichkeit, auch im Hinblick auf unsere vielen Auftraggeber, zu denen namhafte Transport- und Logistikunternehmen, aber auch Modeketten gehören und selbstverständlich Banken und Versicherungen. Bei detaillierten Kundenanfragen hilft Ihnen dann der Computer weiter oder der Supervisor, der immer vor Ort ist.“
„Ich kann Diskretion sehr gut,“, sie zupft an ihrem Büstenhalter, „habe sie wie mit der Muttermilch eingesogen.“
„Schön, schön.“
Der Personalsachbearbeiter nippt an seinem hellbraunen Kaffee. Die Sonne scheint diffus durch das Milchglas der Fenster.
„Und die Einsatzzeiten?“
„Da richten wir uns ganz nach Ihnen. Natürlich ist in so einem großen Telefonserviceunternehmen vierundzwanzig Stunden geöffnet. Eine gewisse Flexibilität gestehen wir zu, erwarten wir allerdings auch.“
„Das ist ganz mein Fall. Als Jugendliche war ich sogar beim Ballett.“
Sie springt auf, hüpft aus dem Stand in den Spagat, ihr Rock flattert hoch und sie wirft die Arme in die Luft, lächelt; ihre Schamlippen berühren das Laminat in Holzimitat.
„Oh, ich bin begeistert,“, er klatscht in die Hände, „meine Tochter macht auch Ballett.“
„So ein Zufall. Ja.“
„Ja. Ich hoffe, Sie haben nichts gegen lange Sitzzeiten, die Schichten können lang werden vor dem PC mit dem Headset auf dem Kopf.“
„Ach, mir wurde die Gebärmutter entfernt, nachdem mich ein Freier zu sehr in Anspruch genommen hatte, da halte ich es schon eine Weile auf einem Bürostuhl aus.“
„Gut dann. Ich sehe nichts, was einer Probezeit im Wege stünde. Wollen Sie es nächsten Montag `mal versuchen?“
„Sehr gerne. Ich wünschte, alle Vorstellungsgespräche liefen so reibungslos wie dieses mit Ihnen.“
„Möchten Sie vielleicht noch...“
„Nein, lieber nicht.“
„Dann bis Montag.“
„Bis Montag.“
© Rainer M. Scholz