Sie sind nicht gut genug, Schmidt. Und sie werden immer schlechter, hatte sein Chef gesagt. Was ist bloß los mit ihnen in letzter Zeit? Sie werden alt, Schmidt, das wird es sein. Und durchschnittlich. Naja, wie dem auch sei (was Vorgesetzte oftmals zu sagen pflegen), wir müssen leider einige Streichungen vornehmen im Rahmen der Blablabla – sie wissen schon, das übliche Gerede, Flexibilität, Innovation, der ganze verblödete Quatsch -, und dieses Mal erwischt es auch sie, Schmidt. Das war's. Sie können gehen.
Schmidt machte seinen Bückling und verließ das Personalbüro. Er nahm seinen grauen Hut vom Garderobenständer, seine braune Aktentasche, warf sich seinen grauen Mantel über den Arm und ging. Mit wem hätte er schon reden sollen. Er war mittlerweile 54 und das Büro war ihm seit mehr als zwanzig Jahren scheißegal. Bedauerlicherweise hatte er ein so durchschnittliches Gefühl, dass er gar nichts fühlte. Allerdings war Schmidt so absonderlich wenig bewegt von dem Umstand seiner Entlassung, dass das wieder als außergewöhnlich hätte betrachtet werden können. Wenn sich irgendjemand dafür interessiert hätte. Was Schmidt selbst offensichtlich nicht tat. In seinem Inneren tobte kein Orkan, nicht einmal ein laues Lüftchen. Er war Niederlagen gewohnt. Er machte Männchen, sitz, platz und hol´ das Stöckchen. Ansonsten war er stubenrein und gut zu halten.
Er hatte es auch nicht sonderlich eilig, nach Hause zu gelangen. Er wusste ja, was ihn dort erwartete.
Schmidt bog in die ihm vertraute Straße ein, sah die altbekannten Nachbarn wie immer am Fenster sitzen und tratschen, ein Kissen unter dem Arm und Blümchen an der Tapete. Auch seine Frau unterhielt sich über die Straße hinweg mit einem dicken fetten Weib in ausgetretenen Schlappen und abgewetzter Schürze.
Schmidt schloss die Haustür auf, trat in den Flur, hängte seinen Mantel an den Garderobenhaken, setzte sich an den Küchentisch und wartete dort auf sein Abendessen, die Finger ineinander verknäult. Den Hut hatte er immer noch auf dem Kopf, als wolle er gleich wieder gehen. Er setzte ihn ab und legt ihn auf den Stuhl. Dann nahm er ihn, legte den Hut auf die Fensterbank und betrachtete die Knautschfalte an der oberen Basis.
Sie redeten schon lange nicht mehr miteinander. Die Sätze, die sie formten, um sie sich gegenseitig hinzuwerfen, schienen nur dazu da zu sein, die Stille im Raum zu verscheuchen und das Knarren der Dielen zu untermalen.
Seine Frau stellte einen Teller mit Essen vor ihn hin; und er erzählte ihr tonlos, dass er gefeuert war. Sie heulte auf und ließ die Schüssel mit den dampfenden Kartoffeln fallen. Das habe sie schon immer gewusst, dass er ein Verlierer sei, ein Waschlappen, warum sie ihn bloß geheiratet habe, ihre Jugend habe sie an ihn vergeudet, ihre Mutter habe sie immer gewarnt ... Auch das berührte ihn letztendlich wenig. All das kannte er schon.
Schweigend setzte er sich vor den Fernseher und schaltete ein. Die Mattscheibe flimmerte auf.
Als er schon fast zwischen Tagesschau und Musikantenstadel eingeschlafen war, weckte ihn ein Krachen und Knallen in der Küche. Mein Gott, der Gasofen, dachte er, als seine Frau mit grauenvoll entstellter Fratze rauchend in seine Richtung getorkelt kam. Schmidt dachte zwei Sekunden nach und handelte umgehend. Er drehte seine Frau an den Schultern um hundertachtzig Grad ohne sich an ihr zu verbrennen und stieß sie zurück in die Flammen, die aus der Küche schlugen. Dann rannte er in die Garage, schnappte sich den Benzinkanister, der neben dem Rasenmäher stand und steckte den Rest des Hauses in Brand. Aus dem Qualm und dem Feuer schrillte eine quiekende Stimme. Schmidt sah, wie die Vorhänge sich entzündeten. Die Couchgarnitur brannte lichterloh. Die Nachbarn hatten unterdessen anscheinend die Feuerwehr alarmiert.
Eine Menschenmenge stand um die Reste des brennenden Hauses herum, raunte leise und starrte in die Flammen. Schmidt hüpfte von einem Bein auf das andere und lachte und schrie und gestikulierte, dass ihm die Tränen die Wangen hinabströmten. Die Sanitäter versuchten ihn einzufangen, aber Schmidt gelang es immer wieder, ihnen zu entwischen. Und er schrie und sang und lachte. Irgendwann schafften sie es dann doch, Schmidt zu erwischen. Sie steckten ihn in ihr Fahrzeug und transportierten ihn ab. Später hörte Schmidt dann auf zu singen. Und noch etwas später wurde dann auch das unentwegte grelle Lachen leiser.
© Rainer M. Scholz