Das Weihnachtsgeschenk

Geschichte zum Thema Allzu Menschliches

von  tastifix

Das Weihnachtsgeschenk 

Es war die Nacht vor Weihnachten. Alles lag tief verschneit. Der Mond und die Sterne am wolkenlosen Winterhimmel verzauberten mit ihrem Leuchten die kleine Stadt, die umliegenden Felder und den Wald mit seinen prächtigen, hochgewachsenen Tannen, deren Zweige sich unter ihrer pulverigen Decke neigten, in eine glitzernde Märchenlandschaft. Den Spazierweg, der durch diesen romantischen Traum zu der nahe gelegenen Stadt führte, bedeckte ein tiefer weißer, von Spuren der tierischen Bewohner des Waldes unberührter Teppich. Kein Lüftchen regte sich und es war wunderbar friedlich, so, wie es sich alle Menschen für die Festtage ersehnen.

Und dann geschah es: Vom Himmel her schlängelte sich eine silbrige Straße aus Mondschein bis auf den still dort liegenden Weg.  Helles Klingeln sang vom weitem ein frohes Lied. Es wurde lauter und lauter, bis dann zwei mit feuerrotem, blinkendem Zaumzeug geschmückte Rentiere, die einen Schlitten zogen, ihre zierlichen Hufe in den Pulverschnee setzten und langsam weiter trabten.  Bei jedem Schritt schaukelten die am Zaumzeug hängenden Glöckchen und bimmelten ihre fröhliche Melodie.
Auf dem Schlitten saßen zwei Engelchen in niedlichen gelb goldenen Kleidern. Bereits seit Stunden schon verteilten sie hübsch eingewickelte und mit Schleifen verzierte Geschenke unter die Menschen. Jedesmal, wenn sie eines vor einer Tür ablegten, waren sie so froh, denn sie ahnten, wie sehr sich die Kinder, aber auch die Erwachsenen über die Gaben freuen würden. 

Inzwischen aber sehnten sie sich zurück nach ihrer Engelsburg und der dortigen Backstube. Es machte ja solchen Spaß, bei lieblichem Gesang viele leckere Plätzchen zu backen. Ein paar davon hingen sie sogar an die  hohe silberne Himmelstanne vor der Burg.
„Das sieht dann so schön aus!“, meinte das eine Engelchen.
Aber noch durften sie die Heimreise nicht antreten, denn auf dem Schlitten lag noch ein letztes winziges Paket. Schnell lasen sie die Adresse, damit sie sich jetzt so kurz vor Arbeitsende nicht noch verfuhren.
„Eigenartig: Es ist so klein und ist für die Familie in der Villa am Stadtrand bestimmt … ?“
„Vielleicht ist ja etwas ganz Besonderes darin!“, entgegnete das andere.
Aber darüber noch länger nachzugrübeln blieb keine Zeit. Sie mussten sich sputen, denn sie hätten noch vor Tagesanbruch die Erde wieder zu verlassen. Das eine Engelchen schnalzte laut. Leise knirschte der Schnee unter den Kufen, als die Rentiere voran galoppierten. Wahrscheinlich waren diese braven Helfer des Christkindes ebenfalls froh, wenn es endlich wieder zurück in ihren überirdischen Stall ging, in dem bestimmt schon ein Belohnungshappen auf sie wartete.

Kurz darauf lichtete sich der Wald, sie erreichten ihr Ziel. Eines der Engelchen versteckte das Päckchen seitlich der Tür unter dem Briefkasten. Danach blickten die Beiden zum Mond:
„Lieber Mond, wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Bitte, leite uns zurück!“
Und ihre vierbeinigen Kameraden scharrten dazu flehend mit den Hufen. So, wie sie gekommen waren, stiegen die Rentiere mit den Engelchen auf dem Schlitten ein zweites Mal die Straße aus Mondlicht hinauf und immer weiter. Kaum, dass sie nicht mehr zu sehen waren, lag die Schneedecke auf dem Spazierweg wieder unberührt da und nichts wies auf das kleine Wunder hin, dass sich dort abgespielt hatte.


In der Villa stand ein fünfjähriges Mädchen am Fenster, guckte wehmütig in die Dunkelheit und seufzte:
´Ich bin so traurig … `
Es schluckte.
´Und ich hab extra ein so schönes Bild gemalt ...`
Eine Träne rann übers Kindergesicht.
´Papa!!`
Der Vater war Geschäftsmann und verreiste oft in ferne Länder. Daran war die Kleine ja schon gewöhnt. Aber ausgerechnet zu Weihnachten? Weihnachten war ja ein ganz besonderes Fest - und dann ohne ihn?  Bedrückt wischte sich das Mädchen die Träne ab. Weil es noch Nacht war und auch im Haus nicht etwa irgendwo Licht brannte, kroch es wieder ins Bett, drückte sein Stofftier fest an sich und schlief wieder ein.

„Annelie, aufstehen!!“
Verschlafen blinzelte Annelie ins Helle. An ihrem Bett saß die Mutter und lächelte sie an.
„Heut ists soweit! Und wir wollen ja noch das Wohnzimmer schmücken und den Tisch decken ...“
Da hielt es Annelie nicht länger im Bett und sie stand rasch auf. Nach dem Frühstück holten Mutter und Tochter den Weihnachtsschmuck aus dem Keller: Rote Kugeln, hübsche Figuren zum Anhängen an den Tannenbaum und für den Tisch ein schönes Holzkarussell mit Maria, Josef, dem Jesuskind in der Krippe und auch mit Esel und Ochse. Auf dem Tisch standen schon mehrere Schalen mit selbstgebackenen Plätzchen. Zimtsterne und Vanillekipferl waren es. Die mochte Annelie besonders gern. Vor jeden Teller stellten sie einen kleinen Schokoladennikolaus und legten noch ein Strohsternchen daneben. Und zum Schluss falteten sie noch die schönen Weihnachtsservietten, die auf keinen Fall fehlen durften.  Ganz allein würden sie ja doch nicht sein: Zwei Tanten mit ihren Familen hatten sich angekündigt und wollten mit ihnen feiern. 

Als alles fertig vorbereitet war, legten sie die Geschenke unter den Baum. Annelie lehnte das Bild für ihren Vater gegen den Stamm. Betrachtete sie es, war Annelie ein wenig stolz. Sie hatte sich ja sehr viel Mühe gegeben und es sah recht hübsch aus. Aber traurig war sie trotzdem.
´Papa!`
Die Mutter, die den Blick der Kleinen bemerkt hatte, lenkte sie rasch ab:
„Guck doch mal nach, ob Post im Briefkasten ist!“
Das ließ sich Annelie nicht zweimal sagen, streifte fix die Gummistiefel über, öffnete die Tür, stapfte die wenigen Schritte zur Seite zum Briefkasten und hielt mehrere niedliche Weihnachtskarten von entfernt wohnenden Verwandten und Freunden in der Hand. Ein wenig vor sich hin träumend, guckte sie zufällig auf den Boden:
„Ooh!!!“
Mit klopfendem Herzen hob sie das winzige Paket auf und rannte zurück ins Haus zur Mutter. 
„Von deinem Papa für dich!“, verriet diese ihr.

Am liebsten hätte Annelie gleich nachgesehen, was da wohl drin war, aber sie hatte sich bis abends zu gedulden. Klar, dass es ihr während des Essens dann sehr schwerfiel, brav auf dem Stuhl sitzen zu bleiben, bis alle aufgegessen hatten.
„So, jetzt darfst du es öffnen!“
Mit hochroten Wangen vor Aufregung riss Annelie das Papier auf. Gespannt guckte sie auf ein rotes Kästchen. Als sie es aufklappte, fiel ihr eine Karte entgegen. Weil sie ja noch nicht lesen konnte, las ihr die Mutter vor, was darauf geschrieben stand:
„Mein Kleines! Ich kann jetzt nicht bei dir sein. Aber dieses Geschenk soll dir sagen, wie lieb ich dich habe und dass ich heut sehr an dich denke!! Dein Papa“
Froh betrachtete Annelie das bunt mit Smarties verzierte Schokoladenherz.
´Papa, ich hab dich auch lieb!`
Aber traurig war sie immer noch.   

Alle wickelten ihre Gaben aus und freuten sich miteinander. Weil ja Weihnachten war, durften die Kinder länger aufbleiben, tobten herum oder beschäftigten sich mit den neuen Spielsachen. Die Stunden vergingen. Es war schon recht spät, als es plötzlich schellte. Erschrocken sahen sich alle an:
„Jetzt noch??!“
Annelie aber rannte zur Tür. Vor ihr stand ihr Vater. Mit einem lauten Jubelschrei fiel sie ihm um den Hals. Er hatte jede Unbequemlichkeit in Kauf genommen, um die Feiertage noch mit seiner Familie verbringen zu können.

An diesem Abend schlief Annelie überglücklich in seinem Arm ein. Nie mehr würde sie dieses Weihnachtsfest vergessen.

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