Prinzessin Weißröckchen (1. Teil)

Märchen zum Thema Allzu Menschliches

von  tastifix

Im schönen Land Güldenschein...


Die kleine Prinzessin Weißröckchen lebte mit ihren Eltern, dem König Blitzesrein und der Königin Sauberfein, in dem wunderschönen Land Güldenschein.

In diesem Land gab es nirgendwo Schmutz. Die wichtigste Aufgabe aller Bewohner von Güldenschein war es, jedes auch noch so winzige Stäubchen sofort zu entfernen, egal, wo sie es aufspürten. In den Häusern brummten die Staubsauger den ganzen Tag bis in den frühen Abend hinein.

Der reichste Mann im gesamten Königreich war der Staubtuchweber Wischundweg. Nicht ohne Stolz erwähnte er die Millionen Tücher, die er bis bisher bereits gewebt und noch stolzer die Millionen, die er damit verdient hatte. Niemand im ganzen Land verübelte ihm dies, denn das Putzen mit jenen Wundertüchern war zur Lieblingsbeschäftigung sämtlicher Hausfrauen Güldenscheins geworden. Fröhlich trällernd wischundwegten sie den halben Tag, immer auf der Jagd nach kecken Mikro-Staubteufelchen.

Weil es nirgendwo schmutzig war, blieben auch die Kleider der Leute porentief rein. So gähnten die Trommeln sämtlicher Waschmaschinen im Land vor lauter Langeweile leer vor sich hin, denn sie durften doch tatsächlich nur ein einziges Mal im Jahre fleissig sein. In den Häusern und im ganzen Land roch es förmlich nach Garkein-Staub.

Sogar die Straßen blitzten vor ritzentiefer Sauberkeit. Von morgens bis abends kontrollierten Kehrwagen mir riesigen Lupen an den Kotflügeln das Pflaster, ob sich nicht doch irgendwo ein Dreckkrümel versteckt hielt. Entdeckten sie solch einen kleinen Störenfried, fegten sie ihn auf ihr gewaltig großes Kehrblech und machten ihm so den Garaus. An extrem heißen Sommertagen versammelten sich die Familien auf den Straßen und feierten dort fröhliche Feste. Tischgrill und Grillwagen blieben zu hause, denn die auf dem Asphalt gebratenen Würstchen und Koteletts schmeckten dreimal besser, nämlich ein wenig asphaltig und nicht nach oller Holzkohle.

Es herrschte immer eine tolle Stimmung. Die Väter brieten die Würstchen und Koteletts, die Mütter saßen zusammen und beredeten den neuesten Klatsch aus der königlichen Tratsch-Presse. Die älteren Kinder tobten ungestüm herum, und die Jüngsten krabbelten lustig vor sich hinbrabbelnd übers Pflaster. Niemand hinderte sie daran. Da lag ja kein Dreck, den ihnen hätte schaden können.

Tatsächlich waren der König Blitzesrein, die Königin Sauberfein, die Prinzessin Weißröckchen und deren Volk um ihr blitzreines und sauberfeines Reich zu beneiden: Es überglänzte alle vor Staub und Schmutz starrenden Nachbarländer ringsum und seine Bewohner liefen meist mit strahlender Miene einher, so wohl fühlten sie sich ob all der Sauberkeit.


Das änderte sich auch nicht bis hin zu jenem Tage, an dem Prinzessin Weißröckchen einen einsamen Nachmittag allein im Schlosse zubrachte.

König Blitzesrein und Königin Sauberfein mussten zur Abwechslung einmal regieren. Dagegen hatte Weißröckchens Mutter absolut nichts einzuwenden. Denn ausschließlich als Vorbild für alle Frauen des Landes daheim Staubwedelmajorin zu spielen, wäre ihr denn doch zu einseitig gewesen. Im Parlament dagegen hielt sie dann stundenlange Reden, ohne dass es jemand je gewagt hätte, auch nur mit einem einzigen Wort dazwischen zu fahren.

Weißröckchens Vater genoss es sehr, dass seine Frau diese mehr als lästige Aufgabe übernahm. Endlich rauchte König Blitzesrein vom anstrengenden Erlassen und Für-nichtig-Erklären der Gesetze einmal nicht der königliche Kopf. Deswegen hütete er sich auch, zur Ansprache von Königin Sauberfein noch seinen Senf dazuzugeben - obwohl es natürlich ein sehr kluger Senf gewesen wäre - und grübelte lieber über das neueste Fußballergebnis nach. Auch das zählte zu den zwingenden Aufgaben eines Königs, fand er.

Prinzessin Weißröckchen langweilte sich derweil zu hause. Den Dienern war befohlen worden, ihren Arbeitstag vorzeitig zu beenden, sich daheim vors Heimkino zu begeben und mit ehrfürchtiger Miene und atemloser Anspannung der Rede ihrer Königin zu lauschen. Sie waren sehr frühzeitig verschwunden, um sich bei einer Flasche Bier, Salzstangen und wenigstens fünf Tüten Goldfischli auf das zu erwartende, mindestens dreistündige Angestrengt-und-Unbeiirt-Zuhören vorzubereiten.

So strich das königliche Töchterchen von Saal zu Saal und durch sämtliche angrenzenden Zimmer. Überall strahlte ihr gelbgüldene Sauberkeit und strenge Ordnung entgegen. Nirgendwo lag eine Robe ihrer Mutter oder auch eine der Pluderhosen ihres Vaters herum, alles befand sich genau auf dem ihm zugewiesenen Platz. Angeödet seufzte die kleine Prinzessin:
„Im Museum ist dagegen noch mehr los! Was mach` ich denn jetzt bloß?“
Es geriet zu einem recht langen Seufzer, denn es wollte ihr so schnell nichts Rechtes einfallen.

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