Präventiv

Gedicht zum Thema Begehren

von  Isaban

Ich wasche meinen Kopf, so wie man Teller wäscht,
wie man Verbranntes aus den Töpfen kratzt,
es hilft kaum noch. Das Innenstimmchen schwatzt
und wispert Unerhörtes in mein Hirn.

Drei Stunden täglich reib ich meine Stirn,
teils auf Papier, teils schrammt sie an der Wand
entlang. Gewandelt wurden eklatant
nur Teint und Form. Die Wand trägt rote Schlieren.

Das, was ich denke, möchte ich nicht denken,
das, was ich fühle, sprengt den Kleinhirnschrein,
was ich mir wünsche, kann und darf nicht sein;
was in mir wächst, wächst nur in mir allein.

Ich muss es wohl im Toten Meer versenken.
Das Salz im Wasser wird mir Ruhe schenken.

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Kommentare zu diesem Text


 AlmÖhi (24.02.18)
Positiv: sehr spannend.
Negativ: die Spannung wird nicht aufgelöst.

 Isaban meinte dazu am 24.02.18:
Hallo AlmÖhi,

stimmt. Das empfindet das lyrische Ich bestimmt auch so, aber wer weiß, velleicht ja nicht mehr lange? ;)

Herzlichen Dank für deine Rückmeldung!

Liebe Grüße

Sabine
Graeculus (69)
(24.02.18)
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 Isaban antwortete darauf am 24.02.18:
Ja, so sehe ich das auch, lieber Graeculus.

 Dieter Wal (24.02.18)
Buddhistin werden? Zuviel "ich" und "mein". Davon abgesehen, interessantes Gedicht.

Thema ist in meinen Augen übergroße Selbstbezogenheit, die als qualvoll empfunden wird. Abstand von sich selbst gewinnen. Das Gedicht zumindest deutet keine praktikablen Wege dazu an.

 Isaban schrieb daraufhin am 24.02.18:
Wirklich spannende Interpretationsansätze, Dieter!
Liebe Grüße

Sabine

 Dieter Wal äußerte darauf am 24.02.18:
"Ich wasche meinen Kopf, so wie man Teller wäscht,"

Formulier das, damit sich dein Gast hier nicht mit Grausen wendet. Wär es schnöde Prosa, ging es notfalls. Doch da es im Gewand eines metrischen Reimgedichtes daherkommt, nö.

 Isaban ergänzte dazu am 24.02.18:
Lieber Dieter,

meine Gäste vertrauen mir im Allgemeinen bezüglich dem, was sie an und auf den Tellern haben. Mit dem Text hat das allerdings wenig zu tun, genau wie dein Einwand.

Funktioniert dein alberner Befehlston eigentlich anderswo ab und zu?

Schmunzelnde Grüße

Sabine

 Dieter Wal meinte dazu am 24.02.18:
Noch eine unfehlbar laienhafte niemand. Lass es. Ist perfekt.

 Irma (24.02.18)
LyrIch leidet unter seinen quälenden Gedanken, die es sich mit aller Macht austreiben will. Es geht um Begehren oder vielmehr um Begierde. Doch diese Gedanken dürfen nicht sein, aus welchem Grund auch immer. V.12 „was in mir wächst, wächst nur in mir allein.“ deutet, ebenso wie „Unerhörtes“ (im Sinne von 'nicht erhört' und im Sinne von 'Das ist ja unmöglich!') in V.4 darauf hin, dass dieses Begehren nur einseitig ist. LyrIch versucht sich diese Person deshalb gewaltsam aus dem Kopf zu schlagen. Selbstzerstörerisch. Den inneren Schmerz mit einem äußeren überdecken. Weil das Herz blutet, muss dafür der Kopf bluten.

Das Gedicht erinnert vom Aufbau an ein Sonett, bei dem V.12 nach oben gezogen wurde, so dass die beiden letzten Verse als Conclusio stehen. So betrachtet erscheinen die beiden ersten Strophen als Quartette mit einem umarmenden Reim, wobei V.1 und V.8 reimtechnisch herausfallen. Die Innenreime sind rein. Dieses Innere (Gehirn) wird von einem Schädel umgeben, der Blessuren aufweist („wäscht“ und Schlieren“). Vers 4+5 stimmen hingegen überein. Die Gleichsetzung von „Hirn“ und „Stirn“ unterstützt nochmal die Deutung, dass LyrIch seiner Hirnqual mit einer Stirnqual begegnen will. Die falschen Reime in V.1 und V.4 („wäscht“ und „Hirn“) lassen aus der in der ersten Strophe beschriebenen überlangen (sechs Hebungen) Kopfwäsche den Versuch einer Gehirnwäsche werden. Und die in V.5 und V.8 zeigen das Resultat an: „Stirn“ voller blutiger „Schlieren“. Das Aufreißen der Stirn wird durch das Auseinanderreißen von „schrammt sie an der Wand / entlang“ (V.6 bis V.7) offenbar.

Die Scheinterzette dieses Scheinsonetts reimen rein und dreifach, wobei der Haufenreim (V.10, V.11 und V.12) die massive Qual und Selbstfolter herauskehrt: „Kleinhirnschrein“, „sein“, „allein“. (der Schrein lässt natürlich auch das Schrei(e)n anklingen). „Denken“ aus V.8 läuft über in die Conclusio: „versenken“, „schenken“. Dass auch diese nur scheinbar Erfolg verspricht, wird natürlich auch durch die Scheinlösung klar: Wenn man etwas im Toten Meer versenken will, wird es immer wieder an die Oberfläche kommen. Die erhoffte Ruhe durch das Salz (ich musste unwillkürlich an die beruhigende Wirkung von Schüssler-Salzen denken) wird wohl nicht eintreten. Dem Salz aus dem Toten Meer wird eine heiltherapeutische Wirkung in Bezug auf bestimmte Hautleiden zugeschrieben. Insofern könnte LyrIch damit seine äußeren Wunden beruhigen, aber wohl nicht seine inneren Wunden heilen. Oder denkt LyrIch womöglich sogar über den Tod nach, um zur Ruhe zu finden?

Der Titel „Präventiv“ macht deutlich, dass LyrIch irgendwie vorsorglich etwas tun will, bevor seine Gedanken Realität werden. Es scheint sich massiv vor der Umsetzung in die Realität zu fürchten. Da LyrDu die Empfindungen ja, wie oben erläutert, anscheinend nicht teilt, scheint es nicht nur um eine harmlose Schwärmerei oder verbotene Liebe zu einem unerreichbaren Du (verheiratet oder ähnliches) zu gehen. LyrDu scheint mir Angst davor zu haben, übergriffig zu werden, sprich seine Ziele mit Gewalt erreichen zu wollen, gegen den Willen von LyrDu (Vergewaltigung oder Pädophilie)? Nur so kann ich mir das gravierende Ausmaß des Ankämpfens gegen die inneren Vorgänge erklären.

Wahnsinn, was für Dinger du hier jeden Tag raushaust, Sabine! LG Irma

Kommentar geändert am 24.02.2018 um 10:38 Uhr

 Isaban meinte dazu am 24.02.18:
Hallo Irmchen,

Wahnsinn, was du da rausziehst!
Ich brauche dir ja nicht mehr zu sagen, was ich von deinen interpretatorische Fähigkeiten halte - meine Meinung wird immer wieder bestätigt. Ich liebe es, wie du dich mit den Texten auseinandersetzt. Hab vielen herzlichen Dank dafür.

Liebe Grüße

Sabine
fdöobsah (54)
(24.02.18)
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 Isaban meinte dazu am 24.02.18:
Hallo fdöobsah,

vor wenigen Minuten noch habe ich gelesen, dass da jemand an deiner Interpretationsfähigkeit gezweifelt hat. Nun, die eben geschilderten Zweifel dürften sich mit diesem Meisterwerk von Kommentar wohl wie von selbst erledigt haben!

Nebenher: Ich freue mich riesig, dass du die Qumranschriften ins Spiel gebracht hast!

Manchmal bist du mir, nein, ist mir deine Gabe fast unheimlich und manchmal erkennst du schon fast zu viele meiner intendierten sowie meiner eigentlich heimlichen oder kaum bewusst erfassten Gedanken. Hut ab!


Ich werde, obschon du es natürlich mit dieser deiner Interpretation verdient hättest, nicht alle meine Intentionen offenlegen und daher auch nicht den letzten Schlüssel überreichen, verzeih. Aber wenigstens zum Toten Meer will ich etwas erzählen.

Die Wasseroberfläche des Toten Meeres befindet sich über 400 Meter unter dem Wasserspiegel. Es handelt sich bei diesem Gewässer nicht etwa um ein Meer, sondern um den am tiefsten gelegenen See auf der Erde.

Man meinte lange Zeit, dass darin keinerlei Leben existieren kann. Inzwischen wurden einige untergeordnete Organismen am Nordende dieses Salzsees gefunden. Das Wasser besitzt eine so hohe Dichte, dass man darin kaum untergehen kann.

Der See wurde früher auch Salzmeer genannt, weil sein Salzgehalt um vieles höher ist, als das Meerwasser sonst wo. Dieses Mehr an Salz sorgt für einen überaus ekelhaften Geschmack. Badet man in diesem Meer, ist der Körper mit einer Salzkruste behaftet, wenn man dem Wasser wieder entsteigt.

Zwar gibt es Zuflüsse aber keinen Abfluss aus dem Toten Meer. Die hohen Felsen am Rande bewirken, dass dort große Hitze herrscht, so dass das Wasser schnell verdunstet, der Salzgehalt sich aber nicht großartig durch den Zufluss ändert.

Es gibt keinen vergleichbaren See und erst recht keinen, der Trostlosigkeit besser bebildern könnte.

Einen Beleg dafür gibt es nicht, aber manche Menschen glauben, dass der Zustand des Sees etwas mit dem in der Bibel erwähnten Untergang von Sodom und Gomorra zu tun hat. Im Arabischen wird das Tote Meer auch "Bahr Lut" genannt, was so viel wie "Meer des Lot" bedeutet. Die meisten von uns wissen, was aus Lots Frau wurde.

So, ich glaube, ich habe genug über lebensunfreundliche Gewässer geschwafelt.

Dir noch einmal vielen herzlichen Dank für deine wirklich grandiose Interpretation! Ich freue mich aufrichtig, dass mein Text so anregend wirken konnte.

Gänsehäutige Hochachtungsgrüße

Sabine


Edit: RS

Antwort geändert am 24.02.2018 um 15:02 Uhr

 autoralexanderschwarz (24.02.18)
schön!

 Isaban meinte dazu am 24.02.18:
Hallo autoralexanderchwarz,

deine Rückmeldung hinterlässt ungeheuer tiefen und breiten Interpretationsspielraum.

Besten Dank.

Liebe Grüße

Isaban

 princess (24.02.18)
Hallo Sabine,

dieses LyrI beeindruckt mich. Zum einen, weil es sich sowohl sich selbst als auch mir als Leserin unerbittlich zumutet. Es ist so, wie es ist, und genau so zeigt es sich auch in seinen teils drastischen Bildern. Zum anderen, weil es in seinem Bewusstsein sehr klar ist: Ein LyrI, das deutlich wahrnimmt, was sich alles in ihm abspielt und zugleich Beobachter seiner selbst ist. Besonders das dritte Quartett hat es mir angetan, sprachlich und inhaltlich.

Liebe Grüße
Ira

 Isaban meinte dazu am 24.02.18:
Hallo Ira,

herzlichen Dank, das freut mich sehr.
Ja, die Mantraidee hat mich beim Schreiben auch sofort gepackt. Es freut mich außerordentlich, dass auch dich diese Textstelle besonders anspricht.

Liebe Grüße

Sabine

 TassoTuwas (25.02.18)
Der Kopf ist die Brutstätte allen Übels, aber auch der Platz wo Großartiges seinen Anfang findet!

Let´s think positiv und
liebe Grüße
TT

 Isaban meinte dazu am 25.02.18:
Bonjour Tasso,

let's better think twice. ;)

Dreisprachige Grüße, lieb,

Sabine
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