Bestellt und nicht abgeholt

Kurzgedicht zum Thema Abendstimmung

von  Isaban

Nicht länger will ich liegen,
kau nur noch schnell den Pflasterstein
aus meinen letzten Träumen klein,
dann lerne ich zu lügen,
ich könnte endlich fliegen.
Die Lungenflügel schlafen ein,
komm alter Mann,
hol mich heut heim!


Anmerkung von Isaban:

Von diesem Text hier gibt es noch eine andere Fassung. Ich würde mich freuen, wenn ihr mir rückmeldet, welches die bessere ist.

Bestellt und nicht abgeholt

Die Stechuhr singt ein Trauerlied,
weil meine Nachbarin verschied.
Nicht länger will ich liegen,
kau nur noch schnell den Pflasterstein
aus meinen letzten Träumen klein
(mit dem warf ich den Himmel ein!),
dann lerne ich zu lügen,
ich könnte endlich fliegen.
Mein Lungenflügel krallt gemein,
dem Rest gefällt das Dösen;
Zeit naht, mich abzulösen.
Komm, alter Mann,
hol mich heut heim.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (08.03.18)
Soll er wirklich kommen? LG

 Isaban meinte dazu am 08.03.18:
Wer mal in einem Altenheim gearbeitet hat - und sei es auch nur ehrenamtlich - weiß, dass viele ihn ersehnen. Die Tage ziehen sich endlos, wenn der Körper einen immer mehr im Stich lässt und niemand mehr da ist, der bei dieser Tortur an deiner Seite steht. LG
Marjanna (68)
(08.03.18)
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 Isaban antwortete darauf am 08.03.18:
Danke schön, Marjo.
Ich hab mich über deine Rückmeldung gefreut.
Ich selbst tendiere immer mehr zur Kurzfassung.

Liebe Grüße

Sabine
Echo (34)
(08.03.18)
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 Isaban schrieb daraufhin am 08.03.18:
Ok, deine Rückmeldung hilft mir auf jeden Fall weiter.
Herzlichen Dank dafür.

Liebe Grüße

Sabine

Antwort geändert am 08.03.2018 um 11:11 Uhr

 Irma (08.03.18)
Wer bettlägerig ist, sehnt sich oft nach Erlösung: Lösen, loslassen, fliegen. Eventuell bereits durchgelegen, fällt das Liegen schwer. Ohne (Körper-)Gewicht davonzugleiten - dieser Wunsch beflügelt LyrIch. Gleichzeitig ist sich LyrIch darüber im Klaren, dass dieser Wunsch ein tröstlicher Selbstbetrug ist: „dann lerne ich zu lügen, / ich könnte endlich fliegen“. Zwischen „liegen“ (V.1) und „fliegen“ (V.5) liegt in drei langen Versen neben „lügen“ (unreiner Reim, V.4) noch allerhand Schwergewichtiges auf der Seele. Mit einem „Pflasterstein“ kann man schwerlich in die Lüfte steigen. Und das paradoxe „kau nur noch schnell den Pflasterstein“ (Z.2) zeigt, wie aussichtslos LyrIch seine Situation empfindet. Die Träume bleiben unerfüllt. LyrIch kann sich alles gut ausmalen, aber es kann die Pflastersteine nicht zermahlen. Es wird sich die Zähne daran ausbeißen (sofern sich im Greisenalter überhaupt noch welche im Mund befinden).

Das Heimkommen zu Gott am Lebensende erscheint wie eine letzte Hoffnung, an die sich LyrIch klammert, obwohl der Glaube nicht in ihm verwurzelt ist (das „heim“ steht zwar am Ende des Gedichtes, aber der Reim ist unrein). LyrIch fühlt sich von Gott in seinem Leid im Stich gelassen, wie „Bestellt und nicht abgeholt“ (Titel). Statt auf das Wachsen der Engelsflügel zu warten, bleibt LyrIch nur das Vertrauen auf seine körpereigenen („Lungen“-)Flügel, die sich allerdings nicht bewegen, sondern endlich (nach vier langen Hebungen) stille halten mögen.

Die Langversion gefällt mir wesentlich schlechter. Die kurze ist perfekt! LG Irma

Kommentar geändert am 08.03.2018 um 11:04 Uhr

 Isaban äußerte darauf am 09.03.18:
Wie immer: Tolle Interpretation, Irmchen!
Mir tut es immer Leid, wenn meine Rekomms zu deinen hervorragenden Rückmeldungen so kurz ausfallen, aber was soll man schreiben, wenn fast alles schon gesagt wurde?
Ich danke dir herzlich für deine ausführliche Beschäftigung mit meinem Text, für die Detektivarbeit, Betrachtungsweise natürlich für die Rückmeldung zu Fassung 2.

Liebe Grüße

Sabine

 Lluviagata (08.03.18)
Hallo Sabine,

ich finde beide Versionen bemerkenswert gut.
In der zweiten Version entdecke ich das, was mir bei der ersten schwer fiel zu deuten. Dass der [alte Mann] nur der Tod sein kann, das fühlte ich beim ersten unterschwellig.

Der zu kauende Pflasterstein ist eine tolle Metaphorik, die das immer schwächer werdende LyrIch bestens zeichnet.

Wer weiß schon um die Tücken einer Stechuhr, die dein Leben lautstark krachend in StundenMinutenSekunden einteilt. Ich weiß es ...noch. Heute gibt es leise piepsende computergesteuerte Terminals, die nix anderes sind. Perfide.

Feine Gedichte, von denen ein jedes für sich stehen sollte. Könnte.

Liebe Grüße
Majuskel-Llu ♥

 Isaban ergänzte dazu am 09.03.18:
Hallo Llu,

vielen Dank für deine Rückmeldung.
Ja, in der zweiten Fassung bekommt der Leser mehr Infos, aber braucht er die wirklich oder reicht die knappe Bebeilderung der ersten Fassung aus? Bei manchen Texten fange ich "oppulent" an und dünne hinterher all das aus, was mir unnötig erscheint, hier war es eher andersherum. Die erste Fassung ist die Originalfassung und die zweite entstand, weil ich noch zu viele unverarbeitete Einfälle für den Text hatte - wahrscheinlich zu viele.

Liebe Grüße

Sabine

 Cathleen (08.03.18)
Mir gefällt die Fassung mit der Stechuhr besser. Warum, weiß ich allerdings nicht so genau. :) LG Cathleen

 Isaban meinte dazu am 09.03.18:
Hrmpft, die Begründung hätte mir weitergeholfen.
Ich dank dir trotzdem für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße

Sabine

 TassoTuwas (09.03.18)
Mir gefällt die erste Version sehr viel besser.
Sie ist dichter, das verstärkt die Schlussaussage Aussage.
In der längeren Version merkt man doch, dass der Paarreim leicht zum "Leiern" verführt!
Nix für ungut
LG TT

 Isaban meinte dazu am 09.03.18:
Nee, alles gut, Tasso, genau das wollte ich ja wissen.
Herzlichen Dank für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße

Sabine

 eiskimo meinte dazu am 01.05.18:
Unbedingt die erste Version, denn die ist große Klasse!
eiskimo

 Isaban meinte dazu am 01.05.18:
Herzlichen Dank, Eiskimo,
Ich freue mich über deine Rückmeldung.
Lieben Gruß

Sabine
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