Eine Party? Da wird doch heimlich Alkohol getrunken …

Text zum Thema Erwachsen werden

von  unangepasste

„Ich möchte, dass sich die Person meldet.“ Der Lehrer ließ seinen Blick durch die Klasse schweifen, dann richtete er ihn einen Moment zu lang auf mich. Er meinte doch nicht etwa …? Das konnte nur ein Missverständnis sein. Oder hatte meine Mutter … Ja, vielleicht war meine Mutter im Spiel.

Partys waren uns streng verboten. Nicht nur, weil wir um die Zeit schlafen sollten. Musik aus dem Radio: Ein schlechter Einfluss auf uns Kinder. Sich bewegendes Licht: Nicht auszuhalten. Wir würden gewiss völlig überdreht nach Hause kommen. Und wer hatte das auszubaden? Eben.
Einige unserer Lehrer unterstützten diese Erziehungsmethode. „Im Radio sitzen die Teufelchen“, lernten wir im Kunstunterricht, während der Experte durch den Raum ging, auf die Staffeleien schaute und wie ein Mantra mit russischem Akzent in die Klasse murmelte: „Schraffieren, nicht schmieren!“ Ein anderer Kunstlehrer, ein Eigenbrötler, der einem seiner ehemaligen Klassenkameraden nach bestandener Lehramtsprüfung das „Sie“ angeboten hatte, verließ bei einer Theatervorführung abrupt den Raum. Der Grund: Ein Fernseher auf der Bühne. Somit waren meine Eltern in guter Gesellschaft, wenn sie moderne Medien ablehnten. Einmal war ich erwischt worden, wie ich bei einer Freundin die Regeln gebrochen hatte. „Entweder das kommt nie wieder vor oder du darfst dort nicht mehr hin!“, rief meine Mutter auf der Heimfahrt im Auto. Ich versuchte, zu gehorchen, schämte mich aber gleichzeitig dafür. Als mir die Freundin später einmal Musikstücke vorspielte, die sie mochte – wieder verbotenes Terrain –, drückte ich bei jedem Lied mein Missfallen aus. Die arme Freundin gab sich sichtlich Mühe, meinen Geschmack zu treffen. Vergeblich. Ich war hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, die mir unvereinbar schienen. Ich wollte zu beiden gehören und gehörte zu keiner.

Eines Tages wurde beschlossen, eine Klassenparty zu organisieren. Der Lehrer hatte die Absicht, den Zusammenhalt zu stärken und uns Jugendlichen das Gefühl zu geben, dass es die Spaltung zwischen Erwachsenen und uns nicht gebe, dass man genauso gut gemeinsame Sache machen könne. Die Meinungen waren geteilt. Zahlreiche Eltern standen hinter dem Vorschlag; einige wenige schlossen sich jedoch zusammen und versuchten, den Plan zu verhindern. Über Stunden wurde auf einem Elternabend diskutiert, was erlaubt sein würde und was nicht. Man einigte sich. Farbige Lichter: zugelassen. Ein Stroboskop: verboten.

Meiner Mutter reichte das nicht. „Da wird doch bestimmt heimlich Alkohol getrunken“. Sie traute dem gemeinsamen Kompromiss nicht, versuchte, von mir Informationen zu erhalten. Ich, naiv und zerrissen zwischen ihrer Welt und der Welt da draußen, noch immer kein eigenständiger Mensch, antwortete zu leichtfertig. Damals war ich noch nicht dazu fähig, Wissen kalkuliert einzusetzen.
Erst viel später entdeckte ich mich selbst unter all den Erwartungen, sah mich manchmal durchschimmern, für kurze Zeit. Meistens verschwand ich wieder.

He's a real nowhere man
Sitting in his nowhere land
Making all his nowhere plans for nobody
Doesn't have a point of view
Knows not where he's going to …


Als ich schließlich ein eigenes Radio hatte, schnappte mein Vater diese Sätze bei mir auf. „Das Lied passt zu dir“, sagte er. Ich schwieg und wusste, dass er Recht hatte.
„Du bist eine leere Hülle ohne eigene Meinung und erkennbares Innenleben“, warf mir mein Freund vor. Ja, auch er hatte Recht, aber wie sollte ich unter dieser übermächtigen Welt der Mutter, unter all den Forderungen und Verboten wissen, wer ich war? Ich verstand, wie ich zu sein hatte; ja, damit kannte ich mich aus. Aber wie ich sein wollte? Das war schwierig.

Schon früh hatte ich gelernt, Wünsche so tief in mir zu verstecken, dass ich sie selbst nicht mehr sehen konnte. Ich betrachtete sie als Gefährdung, als Möglichkeit, die Stimmung zu kippen. Ich stülpte mir eine Haut über mein Gesicht, dünn, kaum sichtbar, und brachte sie in eine gefällige Form.
Und meine Mutter? Wie jedes Kind, wollte ich ihr gefallen, aber auch den Menschen da draußen. Ich wusste, dass das nicht ging, wusste aber nicht, was richtig war. Mit vierzehn versuchte ich, zu verstehen, warum wir anders sein mussten, nahm Erziehungsbücher aus dem Regal und las. Die Antwort blieb aus. Erst in der Pubertät zerbrachen wir die abgeschlossene Welt, und meine Mutter wurde immer cholerischer, kam mit uns nicht mehr zurecht.
„Du gehst nicht eher auf den Spielplatz, bevor dein Zimmer aufgeräumt ist“, hörte ich sie häufig brüllen.
Dennoch hatte auch ich eine gewisse Sturheit geerbt, mit der ich der strengen Erziehung entgegentrat – erst noch ohne Ziel, das über bloße Rebellion hinausging. Meine Mutter stellte mir den Nudeltopf auf die Bettdecke, als Strafe dafür, dass ich ihn nicht abgewaschen hatte. Ich brachte ihn zurück. Sie trug ihn wieder in mein Zimmer, schnitt mir den Weg ab. Ich entwischte über den Balkon, trug den Topf nun ebenfalls auf ihr Bett. Das Gebrüll tönte bis zu den Nachbarn herüber.

„Ich möchte, dass sich diejenige jetzt entschuldigt“, sagte der Lehrer. Ich ahnte, dass er mich meinte, war mir aber noch nicht sicher genug. Was hatte meine Mutter im Hintergrund getrieben? Hatte ich wirklich einen Satz fallenlassen, der mir zum Verhängnis geworden war? Auf jeden Fall hatte es Unmut unter den Eltern gegeben. Jemand war nicht mehr einverstanden mit den Vereinbarungen, wollte, dass die Party abgesagt würde. Das konnte doch nur meine Mutter sein. Oder nicht?
Später erfuhr ich, dass ich mit meinem Gefühl richtig lag. Ich hätte mich dafür entschuldigen sollen, dass sie dem Lehrer und der Klasse das Leben schwer machte – nicht zuletzt aufgrund meiner eigenen Ungeschicklichkeit im Umgang mit ihr. Wieder stand ich zwischen den Erwartungen, ohne auch nur einer Seite gerecht zu werden.

Die Party fand statt – allem Aufbegehren zum Trotz. Ich sah zum ersten Mal, wie man tanzte. Mädchen und Jungen hielten sich eng umschlungen und wiegten sich zur Musik. Auch ich wurde aufgefordert, doch ich traute mich nicht; schließlich konnte ich gar nicht tanzen.
Die Mutter einer Klassenkameradin hüpfte zwischen uns umher, holte Getränke, wippte im Takt eines Liedes. „So eine Mutter will ich haben“, sagte ich zu einer Freundin. Sie wurde kurz nachdenklich, während sie sich das Bild vor Augen führte. Dann lachte sie. „Du? So eine Mutter?“

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Kommentare zu diesem Text

LottaManguetti (59)
(31.05.18)
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 unangepasste meinte dazu am 31.05.18:
Da stimme ich dir zu. Beide Extreme sind nicht ideal und führen früher oder später oft zu Problemen.

 W-M antwortete darauf am 31.05.18:
wie wahr

 Dieter_Rotmund (31.05.18)
Gerne gelesen, aber warum und vor allen wie die Mutter der Ich-Erzählerin so übermächtig und dominant ist, wird nicht erzählt. Da fehlt eindeutig eine entsprechende Szene o.ä., die das darstellt.

 unangepasste schrieb daraufhin am 31.05.18:
Danke. Habe jetzt einen Absatz hinzugefügt, eine etwas absurde Mutter-Szene, die aber das Temperament dieser Figur hoffentlich klarer werden lässt.

 W-M äußerte darauf am 31.05.18:
ja, die mutter ist in allen unangepasste-texten (in den prosa mehr, aber auch ein bisschen in den lyrik) eine sehr interessante figur, die literarisches potenzial birgt und ihre auftritte immer wieder den leser kitzeln ...
Dieter Wal (58) ergänzte dazu am 01.06.18:
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Marjanna (68)
(31.05.18)
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 W-M meinte dazu am 31.05.18:
ich laike Deinen kommentar jetzt liebe janna

 unangepasste meinte dazu am 31.05.18:
Danke! Ja, vielleicht zeigt sich auch in diesem Text, dass die Generationen manchmal mehr vererben, als sie beabsichtigen / ihnen selbst bewusst ist.

 EkkehartMittelberg (31.05.18)
Die Generation der Mutter war aus heutiger Sicht verklemmt. Aber die Mutter war, selbst gemessen an der Prüderie dieser Generation, extrem. Gegen solche rigiden Ansichten hilft bei aller Liebe nur Rebellion. Aber nicht jedes Kind kann das. Der Text spiegelt die Zerrissenheit gut.
Marjanna (68) meinte dazu am 31.05.18:
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 W-M meinte dazu am 31.05.18:
eine echte zeitangabe fehlt ja in dem text. ein hinweis ist das uralte beatles lied, das aus den 60ern stammt. für eine jugend in den 60ern (zweite hälfte) würde auch das umfeld mit den ersten parties in der schule von sehr fortschrittlichen lehrern, alkohol, harmloses rumknutschen (nicht mal petting) der rückständigen mutter usw. passen, nicht in eine viel spätere jugend (oder die familie und die protagonistin sind ihrer zeit weit zurück bzw. hintendran, sehr weltfremd eben, was auch wieder passt?). aber, wir gehen als leser natürlich vom alter der autorin aus, die ihre jugend in den 90ern hatte. nur da will das ganze umfeld wenig passen? Ich glaube, hier findet eine "literarische" vermischung von erlebtem und gehörtem bzw. erlebtem aus zweiter und dritter hand (?) statt (vielleicht ist es ja aber auch die jugend der strengen mutter, die eigentlich die großmutter ist???). Interessant, jetzt in literarischem sinne, wäre eine strenge überprüfung des textes auf seine interne stimmigkeit, seine kongruenz, und dort "fehler" gnadenlos aufdecken ...

 unangepasste meinte dazu am 31.05.18:
Ich denke, der Text braucht keine genaue Zeitangabe. Es geht ja eher um pychologische / zwischenmenschliche Phänomene.

Fehler in der Stimmigkeit interessieren mich natürlich.

Danke euch allen für eure Rückmeldungen!
Marjanna (68) meinte dazu am 31.05.18:
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 W-M meinte dazu am 31.05.18:
nun, wir sind ja quasi eine generation liebe Janna, und auch ich, obwohl kinderlos, fühle mich angesprochen, erinnert manchmal auch bisschen an meine mutter ... und ja, natürlich ist der text fiktiv und soll irgendwie zeitlos sein, obwohl ein text auch immer eine zeit hat (auch bei zwischenmenschlichen und psychologischen phänomenen, der text könnte schlecht anfang 20stes jahrhundert spielen oder in afrika oder auf den seychellen, einen ort hat ein text nämlich auch immer) ... und wie sagte Reich-Ranicki (ich zitiere): "Jeder Roman ist autobiographisch." (und ich ergänze: jeder text, ob prosa oder lyrik oder drama). außerdem hatte ich dem text ja nix vorgeworfen, mir nur paar gedanken drumherum gemacht. und, die autorin darf natürlich alles ... insofern sind wir uns alle irgendwie einig! das ist schön und spricht für den text.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 01.06.18:
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Graeculus (69)
(31.05.18)
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 unangepasste meinte dazu am 31.05.18:
Danke! Das Positive sind vielleicht die guten Absichten (nach dem Motto "The way to hell is paved with good intentions" ... ) Zumindest herrscht bei dieser Art von Erziehenden der unerschütterliche Glaube, das Richtige zu tun ("Wir wollten doch immer nur das Beste").

 W-M meinte dazu am 01.06.18:
"Wir wollten doch immer nur das Beste" oder "Den Kindern soll es mal besser gehen!" sind fatale sätze: wenn sie (die Kinder) nämlich das beste haben oder es ihnen besser geht, dann ist es den eltern auch oft nicht recht, ja, sie werden manchmal richtig neidisch oder eifersüchtig, dass sie (die Eltern) es nicht besser hatten, in dem Sinne "Warum haben die es denn besser?" "Bei uns ging es auch mit weniger." oder so ähnlich ... ??? Bei Erziehung kann fast alles nur falsch machen und kaum etwas richtig, und erst hinterher ist man schlauer (dann ist aber zu spät). Die einzige funktionierende Erziehungsmethode ist, den Kindern Liebe geben!
wa Bash (47)
(31.05.18)
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 unangepasste meinte dazu am 31.05.18:
Vielen Dank fürs Teilen dieser Gedanken!
Sweet_Intuition (34)
(01.06.18)
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 unangepasste meinte dazu am 01.06.18:
Liebe Stefanie,
vielen Dank. Dass du mit der Jugendlichen sympathisierst, ist mir sympathisch

 AZU20 (01.06.18)
Schrecklich. Ich war als Vater eher das Gegenteil- in Grenzen. Wenn ich mir heute meine Kinder anschaue, weiß ich, dass ich richtig lag. LG

 unangepasste meinte dazu am 02.06.18:
Das klingt doch vernünftig!

 Dieter_Rotmund (04.01.20)
Am Rande: Ein starker Satz ist

Ein anderer Kunstlehrer, ein Eigenbrötler, der einem seiner ehemaligen Klassenkameraden nach bestandener Lehramtsprüfung das „Sie“ angeboten hatte ...

Nach erneutem Lesen missfällt mir, das die Erzählerin sich zu wichtig nimmt, zu sehr im Mittelpunkt steht - als Leser ist man von soviel ich-ich-ich! schnell genervt.

Hoffentlich nicht autobiographisch,
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