Henkersmahlzeit

Kurzgeschichte zum Thema Essen/ Ernährung

von  RainerMScholz

Unter einem gewissen Empathiewert sollten Menschen gegessen werden können, da sie ohnehin eine Gefahr für die Menschheit als Spezies und unseren Planeten darstellen. Mit einer schmackhaften Soße. Am besten lege ich die Skala für diesen Empathiequotienten selbst fest. Ich lade Freunde zu diesem Autodafé ein, und wer am lautesten beim Feurio klatscht, der wird gleich mitgegessen. Ach so, stimmt, ich habe ja keine Freunde. Dann esse ich eben alles alleine: Grillhaxe von der fetten Kuh mit dem Pharisäerblick, geschmorte Schenkel von der beknackten Nachbarin im Rollstuhl, die mich immer ankeift, gesottene Brust und Schnauze vom Briefträger (ihr wisst schon, warum). Und schau bloß nicht so scheel, sonst schmeiß´ ich gleich das Ei ins Mehl.
Wir wissen doch alle, in unserem Hinterstübchen, wer mit als erstes verspeist werden wird, wenn das Tabu fällt. Die zähen Teile in die Suppe: mein Arsch und mein Nacken (wegen all der Handkantenschläge) – Arscheintopf und Nackenspieß; dann die muskulösen Teile: Achillesferse und Ellbogenfleisch; die Weichteile: Penis und Gekröse; Sixpackbauchlappen; Brustwarzenfilet; dann die ranzigen Stücke in Aspik: Leber, Niere, Herz – Aufstrich für das Vollkornbiobrot aus kontrollierten Kleinbauern; zum Schluss: Hirn – da bleibt ja nicht viel übrig für die Graupenkaltschale, und total überbewertet.
Ja, noch lache ich darüber. Aber warte es `mal ab. Der Totenmond strahlt über allem. Der LSD-Schädel verspricht die Revanche. Doch der Napalmtod fegt alles hinweg, weil der ewige Schlachter die Sache schon klar gemacht hat auf den Korridoren von Alcatraz. Eden war weit, wir sind nie wirklich da gewesen. Die Engel haben gelogen. In vielerlei Hinsicht. Nur der eine nicht. Aber der spielt Harfe auf einer dunklen Bühne. Was wäre Schwarz ohne Weiß. Man kann sich nicht entziehen. Du bist Teil des Theaters, auch wenn du nur an den Schnüren und Vorhängen ziehst, und davon gibt es viele, jeden Tag, an jedem unbekannten Ort.
Das allerletzte Abendmahl ist noch nicht gehalten.
Da sitzen wir dann im kahlen Neon und fressen Dosenravioli, wenn wir Glück haben. Frei von Pferdefleisch. Und scheuern uns mit den Augen gegenseitig misstrauisch ab.
Noah auf seiner Arche nach der allumfassenden Flut. Wie verzweifelt wird er gewesen sein in Wahrheit. Und wie hungrig. Mit welcher Disziplin hat er sich an das göttliche Gebot gehalten, die Welt, die er bei sich führte, nicht zwischen seinen Zähnen zu zermalmen. Gott irrte bei der Menschheit, bis auf den einen. Wieso dann nicht auch wir.
Schenkel auf Holzkohlegrill mit Basilikum abgerieben und Zitrone beträufelt, das klingt und sirrt in den Ohren, wenn das Fett auf die Glut spräuzt und die Haut schön knusprig wird und braun; der sauber ausgelöste Oberarm voller Körperfleisch mit ungarischer Paprika und Zwiebeln gespickt am selbstgeschnitzten Lindenholzspieß; Wade am offenen Feuer; Rippchen mit Kraut und Handkäs´ mit Musik. Und dazu zwei, drei Äppler aus dem Gerippten. Das quarzt.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (27.08.19)
Ja, das quarzt.
Ein schauriger und in sich schlüssiger Text.
Inzwischen gibt es so viele Formen der Selbstvernichtung auf diesem Planeten, dass Kannibalismus fast "harmlos" wirkt.

Vegetarische Grüße
der8.

 Dieter_Rotmund (27.08.19)
Fängt humorvoll an, dann wird aber recht wehleidig. Das ist mit persönlich zu viel "j'accuse".

 RainerMScholz meinte dazu am 27.08.19:
Wenn du den Text mit der Dreyfusaffäre in Verbindung bringst, heißt das dann, dass die Juden am Weltenbrand Schuld sind?
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