3 - Die Bibliothek

Erzählung zum Thema Begegnung

von  TrekanBelluvitsh

Was bisher geschah:[/i]
Ein Mann erhält eine Einladung, einen Professor zu besuchen. Obwohl er den nicht persönlich kennt, wirft er sich in seinen feinsten Sonntagsstaat. Als er die Adresse sucht, findet er die Hausnummer nicht.Nur mit Mühe erreicht er den Wohnsitz des Professors.




Der Raum schien die Bibliothek zu sein. Oder das Arbeitszimmer. Oder beides. An den Wänden standen hohe Regale, bis unter die Decke gefüllt mit unzähligen Büchern. Licht fiel durch zwei hohe Fenster, die bis zum Boden reichten. Eines von ihnen fungierte als Tür auf eine Terrasse. Hinter der wuchsen Bäume. Vor den Fenstern stand ein ausladender Schreibtisch voller Papiere.
"Ja, schauen Sie sich nur um."
Der Professor lächelte mich an. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mitten im Raum stehen geblieben war und mit offenem Mund staunte.
"So viele Bücher!", sagte ich und war begeistert. "Es ist also die Wahrheit. Ihre Bibliothek hält das, was jedes Gerücht verspricht."

"Wenn man so viel arbeitet und wissen will, wie es in meiner Profession von Nöten ist, kommt man um eine eigene Büchersammlung nicht herum. Zum Glück war mein Herr Vater ein wohlhabender Mann. Er hinterließ mir genug Geld, dass ich mir all das anschaffen konnte, was ich benötige."
Ich lächelte. "Ob es in seinem Sinne ist, wofür Sie sein Geld benutzen?"
Der Professor schmunzeln verlegen. "Nun, wenn ich ehrlich bin, muss ich darauf wohl mit Nein antworten. Auf der anderen Seite haben all diese Werke geholfen, mir einen gewissen Ruf zu verschaffen. Und Sie ahnen wohl, dass ein guter Ruf dann doch in seinem Sinne wäre."
"Allerdings." Ich nickte.
"Möchten Sie einen Tee?"
"Oh, mit dem größten Vergnügen", antwortete ich.
"Dann warten Sie bitte einen Augenblick", sagte der Professor. "Den Tee mache ich für meine Besucher gerne selbst. Immerhin habe ich fast zehn Jahre in China gelebt und da bekommt man schon so einiges mit. Sie können sich ja in der Zwischenzeit mit den Büchern beschäftigen."
Der Professor lächelte. Als er den Raum verließ, öffnete und schloss er die schwere Tür lautlos.

Zunächst zögerte ich. Konnte ich es wagen? Manche dieser Bücher mochten unbezahlbar sein. Wenn ich eines fallen ließ? Auf der anderen Seite: Der Professor hatte mich ja dazu aufgefordert. Also schaute ich mich um. Ich fand gelehrte Werke zu allen Themen, die mir von Wichtigkeit schienen. Da waren welche über Medizin, Chemie und physikalische Phänomene. Latein, Poesie und Philosophie. Bücher über Navigation, Astronomie und das Bauhandwerk. Eine ganze Wand nahmen allein die geschichtlichen Werke ein. Da waren moderne Bücher ebenso wie jene römischer oder griechischer Gelehrter. Es gab Monografien über Schmetterlinge, die Kriegskunst, Geld, das Leben der Fische und anderer Lebewesen aus dem Meer. Romane und Bücher über Mythen und Legenden fanden sich nur wenige, was mich nicht überraschte. Erstaunliches war in einem keinen Regal nahe bei der schweren Tür. Alchemie und Gottesverehrung. Magie und etwas, das sich schwarze Heraldik nannte. Was Letzteres war, konnte ich mir noch nicht einmal vorstellen. Phänomenologie war hier ebenso zu finden wie Bauernregeln, Volksheilkunde und Bücher darüber, wie man Tote zum Leben erweckt oder - umgekehrt - Untote endgültig zum schweigen brachte. Eines, das mir das älteste zu sein schien, enthielt Bannsprüche gegen Werwölfe, Aufhocker, Hexen und verfluchte Seelen. Eine Ausgabe des "Hexenhammers" fehlte ebenfalls nicht. Allerdings war dieser Nachdruck erst wenige Jahre alt.

Ich wollte schon den Kopf schütteln, weil all das nicht zu den anderen Werken passen wollte, da hielt ich inne. Wie lange war der Professor schon fort? Musste der Tee nicht schon längst gezogen sein? Ich wartete. Nichts geschah. Ich lauschte. Nichts war zu hören. Seltsam. Das ganze Haus war in Stille gehüllt. Ich ging zu der schweren Tür und legte mein Ohr an sie. Immer noch war nichts zu hören. Langsam ging ich zu den Fenstern. Vorsichtig öffnete ich eines. Auch von draußen drang kein Ton ins Zimmer herein. Kein Vogel sang, keinen Grille zirpte. Selbst der Wind war eingeschlafen und rüttelte an keinem Ast und keinem Blatt. Erst jetzt bemerkte ich eine gewisse Unruhe in meinem Inneren. Sie musste mich schon länger erfasst haben, das spürte ich. Doch aus irgendwelchen Gründe hatte ich sie nicht wahrgenommen. Oder nicht wahrnehmen wollen?

War das alles nicht zu seltsam? Ich wusste gar nicht, was der Professor von mir wollte. In der Einladung stand nichts. Er selbst hatte es nicht gesagt und warum ich ihn nicht gefragt hatte, wusste ich nicht zu sagen. Die Bibliothek war überwältigend, ja. Doch da war ein verborgenere Gedanke in mir, der nicht ans Tageslicht wollte, ganz gleich wie sehr ich mich bemühte.

Verstört trat ich von dem geöffneten Fenster zurück. Ich stieß gegen den Schreibtisch und fluchte leise. Mein Blick fiel auf den Wust von Papier, der auf ihm lag. Es waren Berichte darunter, die mir bekannt vorkamen. Nicht dem Inhalt nach, sondern wegen ihrer Form. Ich nahm einen Zettel in die Hand. Tatsächlich. Was ich da vor mir hatte, war ein militärischer Meldezettel. Mit dem Frontabschnitt war ich nicht vertraut. Ich schaute näher hin. Da waren noch mehr davon. Nach einigem Zögern griff ich nach zwei, drei weiteren. Und dann sah ich es. Unter all den Zetteln und Papieren lag ein Bild. Es weckte sofort meine Aufmerksamkeit. Gesehen hatte ich es noch nie zuvor. Jedoch kannte ich den Mann, den es zeigte. Er stand ein wenig verkrampf da und blicke ernst drein. Es war ein Bild von mir! Es musste ganz am Anfang des Krieges entstanden sein, denn es zeigte mich mit jugendlichen Zügen im Rang eines Leutnants. Wie kam der Professor an dieses Bild? Wie und wann war es entstanden? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Hatte er mich darum eingeladen? Ging es um diese Bild? Weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht. Der erste Schlag, der mich - wohl am Hinterkopf – traf, machte mich auf der Stelle bewusstlos. Es folgten weitere und ich starb. Glaube ich.



- ENDE -

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (19.03.20)
Wenigstens ging es schnell mit der Aufklärung. Spontan empfinde ich sie allerdings nicht als Lösung des Rätsels bzw. der Rätsel. Selbst der Protagonist stirbt mit lauter Fragen!
Eine späte Rache? Aber für was?

Jetzt bin ich gespannt, was die anderen Kommentatoren dazu äußern werden.

 Graeculus meinte dazu am 19.03.20:
Aber in einer solchen Bibliothek zu sterben, ist schonmal kein schlechter Tod.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 19.03.20:
Ich weiß tatsächlich den Grund. Aber der bleibt geheim. Falls ich die Geschichte einmal wieder aufgreifen will.

Aber ich mag sie so, wie sie ist. Liegt auch daran, dass ich mich ein wenig an einem bekannten Schriftsteller orientiert haben, mit dem ich mich zuletzt beschäftigte. Vielleicht kommst du ja darauf, wer dieser Schriftsteller ist.

 Graeculus schrieb daraufhin am 19.03.20:
Bei einer solch ungeheuren Bibliothek muß ich an Borges und Eco denken.

 Graeculus äußerte darauf am 21.03.20:
Liege ich da richtig?

 TrekanBelluvitsh ergänzte dazu am 21.03.20:
Womit?

 Graeculus meinte dazu am 21.03.20:
Mit Borges und/oder Eco als Schriftsteller, auf den Du Dich beziehst.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 21.03.20:
Eigentlich nicht. Eher "Der Club Dumas" von Arturo Perez Reverte.

Dazu gibt es auch einen Film: "Die Neun Pforten". Ist aber eher "nach Motiven von", gibt das Buch also nicht richtig wieder. Dennoch ein schöner (Gothic) Horror-Film. Aber ein paar schöne Sequenzen von Bibliotheken in den Film.

 Graeculus meinte dazu am 21.03.20:
Danke. Beides - Film und Buch - kenne ich nicht.
Serafina (36)
(19.03.20)
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 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.03.20:
Ich antworte dir mal das, was ich schon Graeculus geschrieben habe.

Ich mag sie so, wie sie ist. Liegt auch daran, dass ich mich ein wenig an einem bekannten Schriftsteller orientiert haben, mit dem ich mich zuletzt beschäftigte. Vielleicht kommst du ja darauf, wer dieser Schriftsteller ist.


P.S.: Ich habe eine weitere kurze Geschichte im Kopf. Mal sehen, ob ich die niedergeschrieben kriege. Hängt auch von meiner Stimmung ab. Denn sie wird unschön. Mal sehen...

 LottaManguetti meinte dazu am 19.03.20:
Camus?

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.03.20:
Nein. Der ist es nicht.

 LottaManguetti (19.03.20)
Magischer Realismus. Ich liebe das!

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.03.20:
Freut mich.
Ja, ich wollte dem verschiedene Varianten zur Auflösung anbieten. Ich habe eine im Kopf. Aber womöglich sind die Ideen des einen oder anderen Lesers ja besser als meine.

Zu meiner Auflösung schreibe ich dir mal das, was ich schon Ekki geschrieben habe:

Ich habe tatsächlich eine Aufklärung für die Geschichte im Kopf. Vielleicht komme ich darauf irgendwann zurück, in einer anderen Geschichte, in der versucht wird, die Geschehnisse aufzulösen. Allerdings frage ich mich, ob ich damit - verzeih meine Arroganz - die Schönheit dieser Geschichte nicht zerstöre. Ich bin mit ihr nämlich sehr zufrieden, so wie sie ist.

 EkkehartMittelberg (19.03.20)
hallo Trekan,
als Liebhaber von Literatur interessiert mich diesmal nicht in erster Linie die Auflösung der Rätsel, sondern die Tatsache, dass dir die Handlung Gelegenheit zu opulenten Beschreibungen gibt. So fasziniert mich besonders die Beschreibung der Bibliothek, die auch Esoterik und schwarze Magie enthält.
Ich wage überhaupt keine Prognose, wie sich die Handlung weiter ent4wickelt. Die Verrätselung ist dir also total gelungen.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.03.20:
Oh.
Die Geschichte ist beendet.
Tatsächlich wollte ich dem Leser mit den Einzelheiten Freude bereiten und, ja, rätselhaft bleiben.
Gleichzeitig soll die Geschichte jedoch auch einperspektivisch sein. Und darum kann sie mit dem Tod des Erzählers nur enden.

Ich habe tatsächlich eine Aufklärung für die Geschichte im Kopf. Vielleicht komme ich darauf irgendwann zurück, in einer anderen Geschichte, in der versucht wird, die Geschehnisse aufzulösen. Allerdings frage ich mich, ob ich damit - verzeih meine Arroganz - die Schönheit dieser Geschichte nicht zerstöre. Ich bin mit ihr nämlich sehr zufrieden, so wie sie ist.

Und das verschiedene Leser hier sich wünschen, sie würde weitergehen, bestätigt mich darin, dass diese Erzählung so geworden ist, wie ich es beabsichtigt habe.

 TassoTuwas (19.03.20)
Einspruch - Protest - Widerstand

Und jetzt wirst du NIE erfahren was meine Vermutung war!
Selber Schuld
TT

PS. Spannend gemacht!

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.03.20:
Ja, das ist die Frage: War der Protagonist es selbst schuld?
;-)

 AchterZwerg (19.03.20)
Liebwerter,
lass bloß alles wie es ist. Denn das ist aus meiner Sicht perfekt.
Gerade durch den offenen Schluss bringst du eine (hier) ungewohnte, leicht experimentelle Note in die Prosa.
Für mich deshalb interessant, weil es sich (auch) um eine Selbstbegegnung handeln könnte ...
Schriftstellertechnisch fällt mir hierzu Carlos Ruiz Zafón ein, der edelste aller Schmonzettenschreiber. - Den mag ich, obwohl ich seine Bücher nach dem Auslesen weitergebe.
Aber es ist zweifellos ein Göttergabe, einen Roman wie ein Labyrinth aufzubauen oder eine Erzählung wie eine Bibliothek.

Glückwünschelnd
der8.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 20.03.20:
Freut mich, dass du das so siehst. Ich denke ja auch, dass sie so gut ist, wie sie ist.

 Borek (20.03.20)
es ist oUhr 45 und die Neugier zu Deine, Texthat hatt mich munter gehalten Aberr die Fragen bleiben bestehe,, man schlägt als Profwessor keinen Menschen nieder den man einläddEs ist alles spannend aufgebauut aber irgendwo fehlt des Rätsels lösung.
Aber trotzdem war es irgendwie spannend zu lesen
Liebe Grüße und Gute nacht
Borek

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 20.03.20:
Ja, den Abschluss habe ich dem Leser verweigert. Mit Absicht!
;-)
Danke für deinen Kommentar.

 AZU20 (21.03.20)
Die Geschichte ist gut gelungen. Wer mag wohl der Schriftsteller sein ? LG

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 23.03.20:
Das weiß noch nicht mal die POlizEi...
😉

Antwort geändert am 23.03.2020 um 06:32 Uhr

 Habakuk (01.04.20)
Da du dir in unregelmäßigen Abständen meine Texte antust, will ich dir endlich mal wieder Gleiches mit Gleichem vergelten. Ironie off.
Ich habe mir deine Triologie zu Gemüte geführt.
Eine enigmatische Erzählung mit bildhaftem Schreibstil. Du schaffst es, eine Spannung zwischen den erzählenden und beschreibenden Elementen herzustellen. Sehr kurzweilig. Liest sich gut.
Aber ich habe ja schon vor längerer Zeit mal zu einem deiner Texte festgestellt, dass du zu „erzählen“ vermagst. Aber wer hört schon auf mich. ;-(

H.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 01.04.20:
Ich hoffe, du hast dich nicht wirklich verpflichtet gefühlt, das hier zu lesen...

Na, und selbst wenn, dann hast du ja eine positive Überraschung erlebt. Was will ich mehr?
:-)

 creative16 (24.03.21)
Schöne Geschichte! Sie wird trotz ihrer Kürze nicht schnell oder überhastet, kommt aber ohne Umschweife auf die nächste Stiege. Dabei gewinnt sie doch irgendwie an Fahrt und der letzte Teil ergibt sich in jeder Hinsicht als eine Steigerung der beiden vorangegangenen.

Mir gefällt auch das Ende sehr. Eine Geschichte sollte den Leser nicht zwangsläufig befriedigt zurücklassen ob der Auflösung oder Enthüllung des "Ganzen". Auch ein als "Nicht-Ende" wahrgenommener Abschluss, weil er nicht aufgeschlüsselt hat, bietet seinen Reiz.

Kommentar geändert am 24.03.2021 um 21:15 Uhr

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 25.03.21:
Es freut mich, dass die Erzählung dir gefallen hat und zwar die Erzählweise an sich als auch das Ende. Und dass das Rätselhafte überwiegt, muss ja nichts Schlechtes sein.
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