Der Fall Woody Allen

Essay zum Thema Verfolgung

von  Graeculus

Über meine Liebe zu Soon-Yi sagte Moses einmal: „Die Kinder wussten, dass die Beziehung ungewöhnlich war, doch sie richtete weniger Schaden an als unsere Mutter, die diesen Verrat von da an zum zentralen Thema in unserem Leben machte.“

[Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiographie. Reinbek bei Hamburg 2020, S. 286]
Woody Allen und Mia Farrow waren seit Anfang der 1980er Jahre liiert, ohne jemals geheiratet zu haben oder in einer gemeinsamen Wohnung zu leben. Mia Farrow hatte bereits einige Kinder, teils leibliche, teils adoptierte. Sie haben gemeinsam zwei weitere Kinder adoptiert, Moses und das Mädchen Dylan, um das sich der spätere Streit drehen sollte; außerdem haben sie einen möglicherweise gemeinsam erzeugten Sohn, Satchel (der sich später Ronan nannte), über den Mia Farrow allerdings später behauptete, er entstamme einem Verhältnis mit Frank Sinatra, Jahre nach ihrer Scheidung von ihm. In der Geburtsurkunde hat sie Woody Allen nicht als Vater eintragen lassen.

1992 hat Woody Allen ein Verhältnis mit Mia Farrows Adoptivtochter Soon-Yi Prévin (genannt nach ihrem Adoptivvater, einem früheren Ehemann von Mia Farrow) begonnen, die damals 19 oder 21 Jahre alt war – ihr genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt; sie war damit ca. 35 Jahre jünger als Woody Allen, aber volljährig und mit ihm nicht verwandt: weder seine Adoptiv- noch seine Stieftochter. Sie haben später geheiratet und leben bis heute zusammen.
Von dieser Beziehung zu erfahren, war für Mia Farrow ein Schock, auch wenn ihre Beziehung zu Woody Allen bereits distanzierter geworden war. Ihr zunächst erhobener Vorwurf, Woody Allen habe im Hinblick auf Soon-Yi eine Straftat begangen, ließ sich juristisch nicht halten.

Im Zuge des nun beginnenden Streites um ein Sorge- und Besuchsrecht für die gemeinsam adoptierten Kinder sowie den mutmaßlichen gemeinsamen Sohn hat Mia Farrow den Vorwurf erhoben, Woody Allen habe seine damals siebenjährige Adoptivtochter Dylan sexuell mißbraucht. Der Mißbrauch soll auf dem Dachboden von Farrows Haus stattgefunden haben, wohin er sie gelockt haben soll, um dort mit einer elektrischen Eisenbahn zu spielen. Woody Allen hat diesen Vorwurf stets bestritten; es habe dort nichtmal eine elektrische Eisenbahn gegeben. Zeugen des Vorgangs existieren außer dem Mädchen selbst nicht, wobei Allen behauptete, das siebenjährige Kind stehe unter dem Einfluß ihrer Mutter und diene ihr als Instrument für eine Rache aus ganz anderen, nicht justitiablen Gründen.
Das Gericht hat entschieden, daß das Sorgerecht allein bei Mia Farrow bleiben solle und Dylan nur für die beiden anderen Kinder – Moses und Satchel/Ronan – ein Besuchsrecht unter Aufsicht zustehe. Dies war ein reiner Zivilprozeß.

Andererseits hat es zwei gutachterliche Untersuchungen gegeben. Die erste wurde, von der Polizei initiiert, durch die Child Sexual Abuse Clinic am Yale-New-Haven-Hospital durchgeführt. Allen zitiert in seiner Autobiographie [a.a.O., S. 294 f.] deren Befund:
„Nach eingehender Untersuchung kommen wir zu dem Ergebnis, dass Dylan von Mr. Allen nicht sexuell missbraucht wurde. Mithin gehen wir davon aus, dass Dylans im Video gemachte Aussagen und die von ihr während unserer Untersuchung gemachten Angaben nicht Vorgänge beschreiben, die sie am 4. August 1992 erlebt hat. [...] Wir haben Dylans Aussagen anhand von drei Hypothesen geprüft. Die erste Hypothese besagt, dass Dylans Version der Ereignisse der Wahrheit entspricht und Mr. Allen sie sexuell missbraucht hat; die zweite, dass Dylans Version nicht der Wahrheit entspricht, sondern von einem empfindsamen Kind als Reaktion auf den Stress einer belastenden Familiensituation erfunden wurde; und die dritte, dass Dylan von ihrer Mutter, Ms. Farrow, angeleitet und manipuliert wurde.
Während wir zum Ergebnis kommen, dass Dylan nicht sexuell missbraucht wurde, war es uns nicht möglich, abschließend zu ermitteln, ob allein die zweite Hypothese oder allein die dritte Hypothese zutreffend ist. Daher scheint es uns wahrscheinlich, dass eine Mischung aus beiden Konstellationen die beste Erklärung für die von Dylan vorgebrachten Beschuldigungen eines sexuellen Missbrauchs liefert.“
Dies zitiere ich, wie gesagt, aus Allens Autobiographie; sollte es sich dabei um eine Lüge handeln, dann wäre es eine extrem dumme, weil leicht widerlegbare Lüge.

Das zweite von Allen genannte Gutachten stammt von Ermittlern des New Yorker Jugendamtes. Von ihnen erhielt Allen am 7. Oktober 1993 einen Bescheid, in dem es heißt: „Es wurden keine belastbaren Beweise gefunden, die einen Missbrauch oder eine Misshandlung des in der Anzeige genannten Kindes belegen würden. Die Anschuldigungen werden daher als haltlos erachtet.“ [a.a.O., S. 296]

Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Sorgerechtsstreit (7. Juni 1993) lagen diese beiden Gutachten noch nicht vor, konnten also auch nicht berücksichtigt werden.
Es ist klar und verständlich, aber sehr beachtenswert, daß es auf der Grundlage dieser Gutachten nie zu einem Strafprozeß gegen Woody Allen gekommen ist; strafrechtlich ist er ein unbescholtener Mann.

Allen weist außerdem darauf hin [S. 303], daß er sich mit Erfolg einem polizeilichen Lügendetektortest unterzogen, Mia Farrow sich jedoch geweigert habe, dies auch ihrerseits zu tun.

Es gab sogar noch eine dritte Prüfung der Vorwürfe, nämlich als Soon-Yi und ihr Mann ihrerseits zwei Kinder, sogar Mädchen, adoptieren wollten. In einem solchen Falle wird natürlich auch in den USA die Eignung der Adoptiveltern überprüft. Es gab keine Einwände; die beiden Mädchen durften adoptiert werden und sind inzwischen erwachsen, ohne jemals Vorwürfe gegen ihren Adoptivvater erhoben zu haben. So berichtet es Woody Allen [a.a.O., S. 356], und auch dies ist ein Umstand, der so leicht zu überprüfen ist, daß man da vernünftigerweise nicht lügt.
Ferner ist Mia Farrows Versuch, die Adoption von Dylan und Moses durch Woody Allen annullieren zu lassen, gescheitert. [a.a.O., S. 354]

Von den damals beteiligten Personen halten Dylan und der zur Zeit der Ereignisse vierjährige Satchel/Ronan bis heute die Vorwürfe aufrecht, während Soon-Yi und Moses, beide damals schon älter, ihrer Mutter den Vorwurf der Manipulation machen.

Etliche der an Woody Allens Filmen beteiligten Schauspieler haben sich – obwohl sie nicht mehr wissen konnten als andere – von Allen abgewendet und zum Teil ihre Gage an karitative Organisation überwiesen. Eigene Vorwürfe wie die gegen Harvey Weinstein hat niemand gegen Woody Allen erhoben.
Weiterhin zu ihm halten von den weiblichen Stars Scarlett Johansson, Diane Keaton und Mariel Hemingway.
All das, was Woody Allen noch über die Psyche von Mia Farrow (und seine eigene!) schreibt, gebe ich nicht wieder, weil es ohne eingehende journalistische Recherche in keiner Weise überprüfbar ist.

Im Zweifel für den Angeklagten, sagt man. Aber hier gibt es nur Vorwürfe, deren Überprüfung durch Behörden offenbar dermaßen zugunsten des Beschuldigten ausgefallen ist, daß es nichtmal für eine Anklage gereicht hat.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Mondscheinsonate.

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Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (14.04.20)
Ich mag Woody und seine Filme sehr. Allerdings fällt es mir schwer, mir hier ein Urteil zu erlauben. Im Zweifel für den Angeklagten...
Herzlichst
Viktor

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 14.04.20:
Man muss Werk und Autor trennen.

 Graeculus antwortete darauf am 14.04.20:
Im Zweifel für den Angeklagten - vor allem dann, wenn er gar nicht angeklagt worden ist.

Die Trennung von Autor und Werk fällt besonders bei Woody Allen schwer: Er ist genau der Neurotiker, den er in seinen Filmen spielt. Und das weiß er auch.
Allerdings ist er in keinem seiner Filme jemand, der Kinder sexuell mißbraucht. Das ist da nicht einmal ein Thema.
Was vorkommt, ist die Fasziniertheit des älteren Mannes durch eine jüngere Frau ("Manhattan") - wahrlich kein spezifisches Allen-Phänomen.
aliceandthebutterfly (36) schrieb daraufhin am 14.04.20:
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 Graeculus äußerte darauf am 14.04.20:
Bei Roman Polanski liegt ja der sexuelle Mißbrauch zumindest klar zutage. Wobei ich nicht weiß, ob es irgendwie sinnvoll ist, ihn noch 50 (?) Jahre danach zu verfolgen.
Daß Michael Jackson eine sehr neurotische Persönlichkeit war, darf/kann man aber doch sagen, oder? Wenn ich recht informiert bin, hat er einigen seiner angeblichen Opfer Schweigegeld gezahlt, was ich persönlich als Unschuldiger nicht täte.
Woody Allen hat aus seinen Neurosen eine faszinierende Kunstfigur gemacht. Und Mia Farrow hat nach "Rosemary's Baby" tolle Filme mit ihm gedreht, z.B. "Verbrechen und andere Kleinigkeiten".

Kunst und Neurose schließen einander keinesfalls aus.
aliceandthebutterfly (36) ergänzte dazu am 15.04.20:
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 Graeculus meinte dazu am 15.04.20:
Bei den ersten beiden Sätzen sind wir uns völlig einig.

Die beiden genannten Filme kenne ich nicht, interessieren mich aber. Nun, ich nehme an, Du schaust sie via Streaming. Das funktioniert in Wien, hier auf dem Dorf jedoch nicht, und mit meinem Uralt-PC schon gar nicht. Aber ich werde ein Auge darauf haben, ob sie mal im TV gesendet werden. Danke für den Hinweis.
aliceandthebutterfly (36) meinte dazu am 15.04.20:
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Cora (29)
(14.04.20)
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 Graeculus meinte dazu am 14.04.20:
Woody Allen ist in etwa der Neurotiker, als der er in seinen Filmen auftritt.
Wenn aber während der Liaison mit Mia Farrow diese ihrer eigenen Aussage nach ein Kind von ihrem Ex-Mann Sinatra bekommen hat, entspricht auch das nicht dem Bild einer treu Liebenden. Nach meinem Verständnis hätte sie damit jeden Anspruch auf die Treue ihres Partners verloren. Ich weiß auch gar nicht, ob Mia Farrow das 'Fremdgehen' sehr gestört hätte, wenn es sich nicht gerade um ihre Adoptivtochter gehandelt hätte - welche sie allerdings nach Aussage dieser Tochter (Soon-Yi) auch vorher schon kalt und hart behandelt hat.
Meine Vermutung geht dahin, daß Mia Farrow nicht weniger, sondern nur anders neurotisch ist als Woody Allen.

Ziemlich gut kommt nach meinem Eindruck Soon-Yi weg, die als ehemaliges Straßenkind in Korea einiges an Lebenserfahrung und Durchsetzungsfähigkeit mitbekommen hat. Die Rolle des armen, von Mr. Allen verführten Mädchens war ihr stets fremd; in die wollte sie sich auch nicht durch ihre Adoptivmutter stecken lassen.

 Dieter_Rotmund (14.04.20)
„Wer sich in Familie begibt, kommt darin um.“
Heimito von Doderer

 Graeculus meinte dazu am 14.04.20:
Dafür hat die deutsche Sprache ja das perfekte Wort: Familienbande.
Liebe: auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat.
(Jean Anouilh)

 Graeculus meinte dazu am 14.04.20:
Marx hatte ein außereheliches Kind mit der Haushälterin der Familie, für das aus Tarnungsgründen Friedrich Engels die Vaterschaft übernommen hat.
Wenn das am sozialistischen Holz geschieht ...

 LotharAtzert (14.04.20)
Da du so überaus freundlich warst, mich auf Lerche/Lärche hinzuweisen …

Dunkel erinnere ich mich noch an etwas anderes, aus den Sechzigern. Vor ihrer Zeit mit Allen war schon mal was mit Mia Farrow. Maharishi Mahesh Yogi (bek. d. Transzendentale Meditation) soll sie mit eindeutiger Absicht bedrängt haben, was John Lennon bewog, diesem eine Ohrfeige zu geben, was wiederum Georg Harrison veranlasste, sich beim Maharishi für den übereifrigen Bandkollegen zu entschuldigen. Farrow will von allem nichts mitbekommen haben, sagt sie. Seltsames umgibt diese Frau ...

 Graeculus meinte dazu am 14.04.20:
Eine merkwürdige Person, diese Mia Farrow; Du bestätigst meinen Eindruck. Gute Filme hat sie gemacht, sogar mit Woody Allen.
Aber die Sache mit Soon-Yi war - so meine Vermutung - eine narzißtische Kränkung ersten Grades.

Woody Allen ist natürlich ebenfalls ein Neurotiker; freilich hat er nie einen Hehl daraus gemacht, und seine Neurosen bestehen in erster Linie aus Phobien, was für andere nicht so bedrohlich ist. Und er hat Kunst daraus gemacht. Kunst ist eh eine Sumpfblüte.

 FRP meinte dazu am 14.04.20:
Dunkel vermeint er sich zu erinnern, sagte Herr Atzert. Stimmt. Es ging nicht um Mia, sondern um ihre Schwester Prudence Farrow, die der Maharishi angeblich bedrängte. Lennon benutzte das als Vorwand, um abzureisen, was er sich bisher nicht getraut hatte - Paul und Ringo waren schon weg. Lennon verarbeitete die Geschichte in "Dear Prudence" auf dem sogenannten Weißen Album.

Tja, Mia und Woody. Partner suchen sich einander aus, oder? Man "verdient" sich, oder, wie es Thomas Bernhard ausdrückte: Jeder bestraft sich mit seiner eigenen Höchststrafe. ich bleibe bei der Einsamkeit, da weiß man, wem man hat

 Graeculus meinte dazu am 14.04.20:
Stimmt, "Dear Prudence". Dann hatte Mia Farrow also gar nichts damit zu tun.
Man verdient sich? Mag sein - aber nicht unbedingt ein Leben lang. Jedenfalls hat er dafür bezahlt.
Mit Soon-Yi klappt es ja besser.
Dieter Wal (58)
(18.04.20)
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 Graeculus meinte dazu am 18.04.20:
Die Stars, die sich von ihm abgewendet haben, werden auf ihr Image bedacht gewesen sein. Gewußt haben können sie ja nichts. Die es nicht getan haben, habe ich genannt.
Gnade Dir Gott, wenn Du auch nur in den Verdacht des Kindesmißbrauchs gerätst!

Antwort geändert am 18.04.2020 um 16:11 Uhr
Dieter Wal (58) meinte dazu am 19.04.20:
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