Gott heiratet

Essay zum Thema Ehe

von  Graeculus

2Q==


Wenn antike Götter sich mit Menschenfrauen einlassen, so sind das erotische Abenteuer für sie – selbst dann, wenn Kinder aus dieser Begegnung hervorgehen. Die Diskrepanz zwischen Unsterblichen und Sterblichen läßt anscheinend keine standesgemäße Beziehung, keine Ehe zu. Das „Bis daß der Tod euch scheidet“ bekäme hier auch einen eigenartigen Sinn.

Eine auffallende Ausnahme – soweit ich sehe, die einzige – stellt das Verhältnis von Dionysos zu Ariadne dar. In Hesiods „Theogonie“ (Verse 947 f.) heißt es: „Dionysos im Goldhaar machte die blonde Ariadne, / Die Tochter des Minos, zur prangenden Gemahlin.“ ἄκοιτις steht da, was sowohl Bett- als auch Ehegenossin bedeuten kann; doch sind Diodors γαμετή (IV 61, 4-6), Nonnos‘ γαμοστόλος (XLVII 469) und Hygins coniugium (Fabulae 43) ganz eindeutig auf eine Ehe bezogen, ebenso der Jubelruf „Hymenäus“ bei Ovid (Ars amatoria I 525-564).

Dionysos macht der Ariadne sogar ein Sternbild als Hochzeitsgeschenk: die Krone der Ariadne (Corona Borealis). Es ist ihre Hochzeitskrone, an den Himmel versetzt.

Das erscheint mir als ganz außergewöhnlich, gerade bei Dionysos, dem Gott des Irrationalen, des Rausches, der Grenzüberschreitung. Er ist zur treuen Liebe, gar Ehe mit einer Sterblichen bereit. Und es wird nirgends von Liebesbeziehungen zu anderen Frauen, von Ehebruch berichtet. So hebt er sich ab von all den anderen Göttern, die wir mit Recht, Vernunft und edler Gesinnung in Verbindung bringen, ohne daß sie dies durchhalten könnten. Dabei ist gerade Dionysos für seine Gefährlichkeit selbst gegenüber seinen Anhängern berüchtigt, die im Rausch Dinge tun, die sie später bereuen. Bei Ariadne aber ist er der liebevolle Ehemann.


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Kommentare zu diesem Text


 Mondscheinsonate (01.01.24, 15:43)
Schön....😍😍😍😍

 Graeculus meinte dazu am 01.01.24 um 17:58:
Freut mich sehr. Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Und dabei war Ariadne doch von Theseus schmählich verlassen worden, befand sich in tiefer Verzweiflung deswegen.
So kann's gehen: plötzlich und unvermutet steht ein Gott vor der Tür.
"It's darkest before the dawn."

 Regina (01.01.24, 15:48)
Neptun ist mit dem Wasser verbunden, das sich hingebungsvoll ganz nach unten begibt, um dort seine reinigende Wirkung auszuführen. Im Rahmen dieser Hingabe und nur so wäre eine Ehe mit einem Göttlichen möglich.

 Graeculus antwortete darauf am 01.01.24 um 17:55:
Nun erkläre mir doch bitte, was Dionysos - gerade er! - mit Poseidon/Neptun zu tun hat.
Selbstverständlich haben wir es mit einem Mythos zu tun, nicht mit einem historischen Bericht; dennoch nehme ich an, daß die Griechen sich etwas dabei gedacht haben - gewöhnlich haben ihre Mythen ja einen tieferen Sinn.

Und warum zeigt Dionysos ein Verhalten, das Zeus oder Apollon, den Star-Liebhabern unter den griechischen Göttern, nie in den Sinn gekommen wäre?
Mein Ansatzpunkt im Verständnis liegt darin, daß Dionysos alle Grenzen überschreitet, keine Regeln beachtet.

Antwort geändert am 01.01.2024 um 18:37 Uhr

 Regina schrieb daraufhin am 01.01.24 um 18:29:
Sorry, da habe ich den Bacchus jetzt mit dem Neptun verwechselt. Ich kann deine Fragen nicht beantworten.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 01.01.24 um 20:05:
"Dionysos macht der Ariadne sogar ein Sternbild als Hochzeitsgeschenk: die Krone der Ariadne (Corona Borealis). Es ist ihre Hochzeitskrone, an den Himmel versetzt.


Das erscheint mir als ganz außergewöhnlich, gerade bei Dionysos, dem Gott des Irrationalen, des Rausches, der Grenzüberschreitung. Er ist zur treuen Liebe, gar Ehe mit einer Sterblichen bereit."
Warum ist Dionysos zur Liebe und Ehe mit einer Sterblichen bereit? 
Semele in Mennschengestalt hatte eine Affäre mit Zeus. Somit hatte Dionysos eine menschliche Mutter.
In der Liebe zu der sterblichen Ariadne setzt Dionysos also die Tradition seiner Mutter Semele fort.

 Graeculus ergänzte dazu am 01.01.24 um 22:27:
Das stimmt, Ekkehart. Er setzt etwas fort, was seine Mutter mit Zeus erlebt hatte. Aber: er macht es besser! Anders als Semele für Zeus ist für ihn Ariadne keine bloße Episode in seinem göttlichen Leben. Das unterscheidet ihn immer noch von den anderen sterblichen Kindern göttlicher Eltern.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.01.24 um 11:29:
Vielleicht darf man daraus folgern, dass auch die Seelen der Götter in ihrer Mischung aus Gutem und Bösen komplexer sind, als die übliche mythologische Zuweisung es vortäuscht.

 Graeculus meinte dazu am 02.01.24 um 17:04:
Oja! Und immer wieder für überraschende Wendungen gut. Eigentlich in etwa so wie bei uns Sterblichen.

Allerdings sind auch die mythischen Berichte sehr vielfältig; doch stammen sie dann gewöhnlich von verschiedenen Autoren.

Im Zusammenhang mit dem Buch eines Bekannten befasse ich mich gerade damit, wer eigentlich dem Laokoon und seinen Söhnen diese Schlangen auf den Hals geschickt hat. Manchmal hört man: Apollon. Aber Apollon stand doch auf der Seite der Trojaner.

 Graeculus meinte dazu am 02.01.24 um 17:06:
An bzw. zu Regina:

Dionysos = Bakchos = (lat.) Bacchus.
Dem entspricht in der römischen Mythologie der Liber bzw. Liber Pater.

Dem Poseidon entspricht der Neptun.

 AchterZwerg (02.01.24, 07:02)
Was lernen wir daraus?
Der gute Einfluss von uns Frauen macht selbst vor Göttern nicht halt! ;)
Eine Ehe mit Dionysos besitzt für die Sterbliche zudem viele Vorteile:
Für Champagner ist gesorgt und der Angetraute (meistens knülle) wird sie stets als Schöne wahrnehmen.

Also: Ich bin dafür!

 Graeculus meinte dazu am 02.01.24 um 17:09:
Und erst ein eigenes Sternbild! Z.B. Nanus octavus ...

Ich krieg sowas ja nich.
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