3. Kapitel: Warum ein so gutes Restaurant so gut bleibt
Mittwochs ist „Chez Michou“ wieder geöffnet, Eric hat tief in seine Vorratskammer geschaut und mit seiner ganzen Routine den Speiseplan mit den Etappen bis Sonntag Mittag erstellt. Seine Vorräte an Fisch müssen weg. Darum hat er die „Marmite du Pêcheur“ wieder ins Programm genommen, eine gut bestückte Fischsuppe, natürlich mit einem stundenlang vorgekochten Sud, zu dem er dann eine „rouille“ reicht, seine spezielle Thymian-Paprika-Mayonnaise plus geröstetes Knoblauch-Brot. Fisch kommt nicht bei allen an. Deswegen hat er alternativ eine Bolognese in Petto, die bei ihm immer ein Selbstläufer ist: Nudeln in Butter geschwenkt und dazu seine kräftig gewürzte Gemüse-Hackfleisch-Soße, geriebener Käse „à volonté“. Eric sieht schon die zufriedenen Gesichter der jüngeren Kundschaft vor sich. Donnerstag wird er Tartare vorsetzen, Freitag Boeuf bourgignon – alles erprobte und gern genommene Hauptspeisen.
Auf der Karte hat er seit jeher einen von Véro komponierten Crème-Nachtisch, Birne-Fanette genannt. Birnen-Spalte, die sie im Herbst immer selber einlegen, überzogen mit Panna Cotta und dadrauf ein Schuss Curacao. Davon hat er noch so viele Zutaten, dass er dieses Dessert mit ins Tagesmenü nimmt – auch etwas für die gute Stimmung im Hause. Beim Käse lässt Eric sich ebenfalls nicht lumpen. Nachdem sein selbst angerührter Fromage fort – ein Mix aus übrig gebliebenen Weichkäsen in Marc de Bourgogne angerührt - so gut angekommen ist, versucht er gleich eine zweite Mélange, diesmal mit Cidre oder mit Bier verfeinert.
Sandrine will als Tischwein auch einen Rosé ins Programm nehmen. Sobald es ein bisschen wärmer wird, verlangen alle spontan nach Sommer-Wein. Ein bisschen Provence-Feeling, denkt Eric lächelnd, in seiner überhaupt nicht mediterranen Provinz.
Können sie sonst etwas am „Chez Michou“ verbessern? Die beiden sind auch nach fünfzehn Jahren noch äußerst feinfühlig, was die Reaktionen ihrer Gäste angeht. Der Wohlfühl-Faktor muss stimmen, das schärft Eric immer wieder seinen Damen ein. Es muss Spaß machen, bei ihnen zu speisen. Und die Stammgäste über der Woche, die vielen, mit denen sie sich längst duzen, die müssen sich ebenso zu Hause fühlen – auch weiterhin! - wie die Feiertags-Besucher, die es zum ersten mal ins „Chez Michou“ verschlägt.
Sandrine hält freilich auch dagegen. Bei ihr tritt als erster zu Tage, was sie da an Beanspruchung auf sich nehmen. In den letzten Sommern mit großer Hitze wollten viele Besucher draußen auf der Terrasse essen – das ging bei der durchaus durchtrainierten Dauerläuferin spürbar an die Substanz. Darum bremst sie ihren Mann und drängt auf Selbstbeschränkung. Weniger Gedecke und längere Ruhephasen. So ist auf Sandrines Drängen hin der Sonntag Abend gestrichen, und größere Gruppen oder gar Busse, die nehmen sie gar nicht mehr. Schließlich, so wissen beide, funktioniert ihr Modell nur, solange sie alle gesund bleiben und mit Freude ranklotzen können.
Was sie bei aller Belastung nie in Erwägung gezogen haben: Sich mit fertig dazugekauften Produkten Abhilfe zu verschaffen. Auf den Teller kommt bei ihnen nur das, was sie selber produziert haben. Und da Eric ein begnadeter Koch ist, kann er auch alles selber herstellen. Ob bei kalten oder warmen Speisen: Er hat´s drauf. Und er spult nicht zufrieden die immer gleichen Rezepte ab, er probiert mit Leidenschaft immer wieder Neues.
Absolut phänomenal: „Chez Michou“ steht in keinem Guide Michelin; Sandrine und Eric schalten auch keine Anzeigen und haben auch im Internet keinerlei umsatzfördernde Präsenz. Dieses Restaurant läuft ganz einfach von alleine. Cuisine traditionnelle, satisfaction exceptionnelle! Frustration nulle.
4. Kapitel: Mal über den Tellerrand hinaus gedacht
Darf man sich in dem Glauben wiegen, dass eine gute Küche nur gute Menschen anzieht? Dass an einem gut gedeckten Tisch etwa nicht gestritten wird? Nein. Die schönste Idylle kann trügen.
So sind jetzt am Mittagstisch, bei den Arbeitern im Kneipenraum, wahrscheinlich auch Ganoven und Kleinkriminelle versteckt. Der bulgarische Fernfahrer, der da so unfassbar viel isst, hat der nicht unverzollte Zigaretten im Führerhaus versteckt ? Und sitzt da nicht dieses Maler-Trio aus Autun, das in Le Moulinet ein Haus in Schwarzarbeit renoviert? Daneben die Jungens, das sind doch die Drei von der dubiosen Autowerkstatt, die auf Wunsch schon mal Motoren hochfrisieren, so dass aus nominell 120 plötzlich 160 PS werden. Und ob Eric bei der Steuererklärung für das Michou immer die wahren Zahlen angibt? Kurzum: Es sind auch Chez Michou Lug und Trug zu Hause., machen wir uns nichts vor. Wahrscheinlich könnte jeden Tag exakt hier ein Bandenkrieg ausbrechen oder eine finale Abrechnung stattfinden – die Mafia lässt grüßen.
Und prompt tut sich da was!
Zwei sehr hubraumstarke Motorräder werden vor „Chez Michou“ abgestellt. Zwei kräftige Männer entledigen sich ihrer Helme. Der eine geht an den Gepäckträger seiner Maschine, zieht eine Antenne hoch, greift nach einem Kabel und man hört ihn in ein Mikrophon sprechen. Polizei!
Die Männer in schwarzem Leder gehen mit gewichtigen Schritten auf das Lokal zu. Jetzt erkennt man auch an ihren Hüften die griffbereiten Revolver. Sicher werden sie den Überraschungseffekt nutzen und dann mit ihrer ganzen Autorität zuschlagen.
High Noon. Weiß Sandrine etwa Bescheid? Sie steht gerade an der Theke, als die Polizisten hereinkommen. Prompt zeigt sie in Richtung Saal, als ob da die ersten festzunehmenden Gangster säßen. Diese Denunziantin!
Aber weit gefehlt. Die beiden Uniformierten winken freundlich in die Runde, nehmen an dem Tisch Platz, den die Chefin ihnen zugewiesen hat, und dann tun sie das, was alle anderen im Lokal auch tun: Mit Vorfreude die Karte studieren, mit leicht gierigen Augen auf die bereits aufgetischten Speisen linsen und dann zufrieden bestellen. Ja, die Herren der Kavallerie (in Frankreich motards genannt) genehmigen sich sogar einen Viertel Literchen „Rouge“ dazu.
Ist wohl doch nix mit Polizei-Auftritt. Keine Verhaftungen im „Chez Michou“, krimi-technisch nur tote Hose. Muss man das wirklich bedauern? Nein!
Das Menu du Jour lautet immerhin Taboulé, dann Magret de Canard und die tolle Birne Fanette! Und wer danach unbedingt noch einen Krimi braucht, der muss halt weiter reisen. Es heißt, die Bretagne könne mit vielen sehr landestypischen Verbrechen aufwarten. Klar, die haben dort auch nicht so eine tolle Küche wie in Burgund.