Eine funktionierende Ehe

Erzählung zum Thema Betrug

von  eiskimo

Patrick hat seiner Frau nie gesagt, dass er sie betrügt. Natürlich nicht. Es würde sie zu sehr treffen, ja, sie vielleicht zu völlig unüberlegten Reaktionen verleiten Und Rita wäre dann zu allerlei Unfug fähig. Es ihr zu verschweigen, dient also auch ihrem Schutz.

Womöglich würde sie spontan zu ihrer Freundin Ruth fahren. Hals über Kopf. Ohne vorher zu tanken. Ohne die Wagenpapiere einzustecken. Und ihr alter BMW hätte längst schon zum TÜV gemusst. Wie lange war Rita nicht mehr selber gefahren?

Überhaupt Rita und irgendetwas selber bestimmen: Sie war brav geworden, mehr und mehr auf ihn fixiert, allzu treu ergeben, fast wie ein Klon.

Sie zu betrügen war von daher eine notwendige Folge. Fast schon Notwehr, denn irgendwo muss er schließlich das eigene Ich behaupten. Wenigstens ein kleines Resevat, das nur ihm gehört.

Nein, Patrick hat kein schlechtes Gewissen. Warum auch? Das gut gemanagte Doppelleben befähigt ihn, auch weiterhin Ritas Klon-Partner zu sein. Sie auf höchstem Niveau zu alimentieren.. Damit kann sie ihr gewohntes Leben weiterführen..Und, haha, Rita muss nicht mal selber Auto fahren.

Den TÜV-Termin wird er ihr auch wieder abnehmen. Und falls sie wirklich diese Ruth wiedersehen möchte – das ließe sich arrangieren. Denn dann hätte er sozusagen frei. Frei für eine Notwehr-Übung.


Rita hat Patrick nie gesagt, dass sie ihn betrügt. Natürlich nicht. Es würde ihn sicher sehr kränken, ihn, der doch alles immer so gut im Griff hat. Und dann bekäme er Selbstzweifel, unerwartete, ganz massiv, und das an der Gefühlsfront, wo er eh so verloren ist.

Es ihm zu verschweigen, dient also in erster Linie seinem Schutz. Denn wahrscheinlich würde er wieder anfangen zu trinken. Haltlos. Alkohol ist ja immer sein Seelenretter, wenn es mal nicht läuft. Und dann wird er nächtelang grübeln und schwanken zwischen Selbstmitleid und Rachegelüsten. Nein, dass er jahrelang blind war und sie kaum mehr wahrnahm, auf die Idee wird er gar nicht kommen.

Dass sie bis jetzt mitgespielt hat, war Teil des Deals. Sie wollte ihm Halt geben, ihm die Illusion des perfekten Machers lassen.. Aber diese Rolle der stets folgsamen Vasallin hat sie ausgetrocknet.
Ihn zu betrügen ist die einzige Chance, wieder Leben in sich zu spüren – eigenes Leben. So gesehen ist das Fremdgehen bitter nötig, ein Akt der Selbsterhaltung.

Nein, Rita hat kein schlechtes Gewissen. Warum auch? Das Doppelleben befähigt sie schließlich, auch weiterhin die geschmeidige Frau an Patricks Seite zu sein. Damit hat er freie Bahn, seinen nächsten beruflichen Etappensieg zu erkämpfen. Er, der Macher.
Sie wird dann irgendwann ihren Anteil bekommen, wahrscheinlich wieder einen hübschen BMW. Schon den alten hat sie im Grunde nicht gebraucht. Aber es ist halt seine Art, die Beziehung zu pflegen. Nur, dass sie kein Auto ist.



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (16.07.22, 00:32)
Diese Beidseitigkeit gefällt mir gut. So manche Ehe beruht auf einer Illusion (meistens zum eigenen Nutzen); aber daß das hier wechselseitig der Fall ist, gefällt mir.
Manches weiß man besser nicht, gelt?
Taina (39) meinte dazu am 16.07.22 um 09:00:
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 eiskimo antwortete darauf am 16.07.22 um 09:47:
Klingt plausibel. Sofern sie sich auf die Schliche kommen wollen. Manche ziehen den Status Quo vor und leben - wie Verlo es ausdrückt "zweckmäßig".
Taina (39) schrieb daraufhin am 16.07.22 um 10:58:
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Taina (39)
(16.07.22, 06:27)
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 Verlo äußerte darauf am 16.07.22 um 07:23:
Taina, sicherlich.

Ich kenne Frauen und Männer, die sich nicht von ihrem Partner getrennt haben, obwohl er "Abenteuer" hatte.

Daß keine Trennung erfolgte, lag nicht daran, daß man "alles" verloren hätte. 

Oder denke an Frauen oder Männer, die zu ihrem "Triebtäter" halten ... 

Vielleicht leben Philosophen im Ideal. Normale Menschen leben zweckmäßig.
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