Beziehungskrüppel

Erzählung zum Thema Missverständnisse

von  eiskimo

Drei Monate lang hatte ich seine Gastfreundschaft genossen. Drei Monate. Das ist eine lange Zeit, auch wenn man befreundet ist.

„Ich kann mich etwas einschränken,“ hatte Martin voller Großmut bekundet, als ich ihm beim Einzug sehr aufrichtig dankte. Und ein bisschen bildete ich mir ein, dass mein Freund ganz froh war, dass da einer bei ihm wohnte – ja, dass ich da bei ihm wohnte.

Deswegen fühlte ich mich in dieser kleinen, mit viel Geschmack möblierten und stets aufgeräumten Wohnung sehr wohl, man könnte sagen: nach einer Weile auch wie zu Hause.

München ist bekanntlich ein teures Pflaster, und wenn man dann noch ziemlich zentral unterkommen kann, dann ist das fast mehr als Gold wert.

Klar, dass ich dieses enorme Glück wertschätzte und tunlichst alles unterließ, was meinen generösen Gastgeber hätte verärgern können. Anfangs kaufte ich ein, räumte spontan die Küche auf oder bot mich an zu putzen.

Da Martin aber von sich aus der viel peniblere und auch geschicktere Hausmann war, schien es mir nicht falsch, ihm diskret immer mehr dieser Pflichten zurück zu übertragen– ihn schien das nicht zu stören; jedenfalls erlebte ich ihn weiter als freundlich und geduldig.

Ein bisschen bildete ich mir auch wieder ein, dass mein Freund ganz froh war, dass er für jemanden da sein konnte, ja, dass er für mich da sein konnte.

Ich sah deshalb auch keine Notwendigkeit, seine Großzügigkeit in anderer Weise zu kompensieren, zumal Martin nichts einforderte und auch nie Theater machte um all die Haushaltstätigkeiten, die er da wie selbstverständlich übernahm.

Natürlich ließ ich ihm dabei alle Freiräume. Ich war sozusagen unsichtbar, wenn er sich um das gemeinsame Wohl verdiente machte. So viel Taktgefühl hatte ich, dass ich  ihn dann nicht mit lockeren Sprüchen oder meinen Späßen ablenkte.

Umso mehr  brachte ich mich ein, wenn er nach getaner Arbeit etwas müde auf dem Sofa lzusammensank. Da legte ich zum Beispiel eine flotte Musik auf oder erzählte die lustigsten Gags, die ich im Fernsehen gesehen hatte, während er aktiv war.

Ja, da hatte Martin seinen Spaß. Und ein bisschen bildete ich mir auch ein, dass er froh war, von jemandem aufgeheitert zu werden. Mir sagte man ja schon immer nach, dass ich witzig sein und andere rund um die Uhr aufheitern konnte.

So ergänzten wir uns wunderbar, ich und der Martin. Was für mich klar wurde in dieser intensiven gemeinschaftlichen Zeit: Der Arme hatte eine große Leerstelle gehabt in seinem Leben, etwas Positives hatte gefehlt, und ich war mir mit jeder Woche meiner Anwesenheit sicherer geworden: Ich bin dieses  Etwas, dieser sein so wichtiger Zugewinn!

Ich war mir so sicher, dass ich übermütig wurde.

 „Martin,“ sagte ich eines Abends selbstsicher „ich bin jetzt genau drei Monate bei dir. Kannst du mich noch ertragen?“ Meine Frage kam so nebenher, im Bewusstsein einer inzwischen auf ewig angelegten Freundschaft .

Ratet mal, was dieser Beziehungskrüppel da geantwortet hat!


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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (20.02.23, 23:57)
Also ich könnte mir schon seine Antwort denken, werde mich aber hüten sie zu sagen. Frauen machen das meistens so. :D

Gute humorvolle Geschichte und direkt aus dem Leben gegriffen.

Liebe Grüße
Alma Marie

 eiskimo meinte dazu am 21.02.23 um 08:15:
Gut hineingedacht. Ja, wie würden Frauen das erleben???
Täuschen können sie sich alle, sage ich mal.
LG
Eiskimo

 Regina (21.02.23, 02:55)
Tja, wenn du ihn schon Beziehungskrüppel nennst, hat er sich wohl ausgenutzt gefühlt.

 eiskimo antwortete darauf am 21.02.23 um 08:05:
In Zweierbeziehungen täuscht man sich wohl öfter, was das Geben und Nehmen anbetrifft. Man denkt, man trägt, aber in Wahrheit wird man nur ertragen.
Das mit München ist natürlich nur erfunden.

 AchterZwerg (21.02.23, 07:49)
Martins freudiges "Ja!" hat dieser vorbildlichen Beziehung mit Sicherheit neuen Aufschwung verliehen.
Seine Verkrüppelung wird allmählich ausheilen, er wird einen Zweitjob annehmen und insgesamt mehr den Mund halten . :)

 eiskimo schrieb daraufhin am 21.02.23 um 08:13:
Achja, der Martin ... Er hat meine Beiträge zum WG-Glück leider nie wirklich gewürdigt.
Als ich meine Sachen abholte, sah ich: Er hat jetzt einen Hund.
Pfffff...
knurrende Grüße
Eiskimo

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 21.02.23 um 12:51:
Ich verstehe das nicht. Solchen Beziehungskrüppeln wie Martin fehlt es an Dankbarkeit.  :D

Empörte Grüße
Ekki

 eiskimo ergänzte dazu am 21.02.23 um 13:36:
Das sah ich damals genauso, Ekki.  Was hatte ich da an Gute-Laune-Input investiert, an physischer Präsenz.... Tja.
Man darf sich nicht verschenken, nicht an einen wie diesen Martin!
LG
Eiskimo

 AchterZwerg meinte dazu am 21.02.23 um 16:47:
. :D 
Genau, Ekki!
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