Dunkelkiffer und Morgenlandfahrer

Groteske zum Thema Apokalypse

von  LotharAtzert

"Es gibt mich nicht", sagte Nietzscheleser Mattes einige male und ich, den er zwischenzeitig deswegen  als spitzfindig charakterisierte, fragte fast automatisch: "Wen gibt es nicht?"
"Ei mich" antwortete er, lachte und das brachte auch meine Wenigkeit oft zum lachen.

Ja, das waren die goldenen Jahre des Zusammen-Seins mit Inspirierenden - der Mattes, der Volker, meine Person, der Eckart. Babette kam zuletzt, aber da waren Mattes und Volker bereits verstorben. Von Eckart fehlt seit Jahren jede Spur. Und jetzt halt auch Babette tot. Nun bin ich der letzte der verrückten Bewußtseinsintegrierer. Chingakoks, der letzte Mohikaner.

Mattes, das war der, welcher trotz gepflegtem Aussehen in einem Konsumtempel beim Damenfriseur bezüglich eines Haarschnittes abgwiesen wurde und daraufhin  vom öffentlichen Telefon aus der Polizei mitteilte, er hätte eine Bombe im Tempel versteckt - und trotz der Riesenaktion der Räumung des kompletten Einkaufzentrums durch massenhaften Feuerwehreinsatz danach nicht ins Gefängnis kam, weil er einen ärztlich attestierten Idiotenschein vorweisen konnte. Als dieser Idiot hörte, daß  Karmapa nach Frankfurt kam, beschloß er, ihm einen christlichen Rosenkranz zu schenken, um eine Verbindung über ein Leben hinaus aufzubauen - wie das die karmaverständigen Asiaten so machen. Er fuhr nach Frankfurt und erwarb im Devotionalienladen am Dom ein ausgesprochen schönes Exemplar.
Volker war der gutaussehende junge Mann mit dem coolen Spruch. Nachdem auf einem Dharma-Sommercamp in Rödby DK seine hübsche Freundin bemerkte: "Alle Mädchen schauen dir nach, das ist ja beängstigend", antwortete er: "Solange mir die Rinpoches nicht hinterherschauen, ist das kein Grund zur Freude."
Und Eckart, immer unterwegs, "die Tibeter hawwe mich kabudd gemacht" - der fast flennte, als Volker und ich drei Stücke seiner Lieblingstorte Schokosahne mit ins Krankenhaus nach Langen brachten, wo ihm zum Glück nicht viel fehlte und er plötzlich entsetz feststellte, daß nur ein Stück für jeden angedacht war - statt alle drei für ihn: "Erst bringen sie's mir mit und dann essen sie es selbst auf, also das ist ja ... "

"Normale" Gespräche gab es bei uns eigentlich nie, von Anfang an nicht. Schließlich brannten wir für die gleichen Selbstverständlichkeiten, als da waren Sternwissen und Spiritualität. Sagte einer "Der hat Pluto-Merkur" - da wussten alle, daß man einen vorstellungsfixierten Rechthaber - Container nannte Döbereiner das - vor sich hatte und konnte  kraftraubende Grudsatzdiskussionen schon im Vorhinein  vermeiden. Das nur als Beispiel.

Der Mattes war Krebs mit Zwilling, Volker Schütze mit Widder, der Eckart Doppelwidder, - zweimal Doppelfeuer.

Eckart reiste, so oft er vom Sozialamt genügend Kohle bekam, nach Nordindien, Dharamsala, Almora und so weiter. Wie viele andere, klagte auch er dann: "Wenn ich in Indien bin, denke ich nach einer Weile an deutsches Brot, Schokosahnetorte vom Cafe' Ernst und das zuverlässige deutsche Sozialsystem; sobald ich aber hier bin, fühle ich mich fremd in der grauen, engen Alltagshektik ohne jeden Funken Spiritualität und muß so schnell es geht, wieder zurück nach Dharamsala".
Eines der Probleme, die mir erspart blieben.
Entweder hatte ich gerade kein Geld für Indien, oder keine Zeit wegen Geldverdienens. Aber irgendwann kamen die Lehrer nach Deutschland und heute ... wenn es mich sowieso nicht gibt, was braucht man herumzureisen.

Bei Mattes und seiner Frau Jutta in Neu Isenburg traf man sich für gewöhnlich, auch andere Morgenlandheimkehrer, die oft etwas mitbrachten, wie schwarzen Afghan mit O. doch davon später.
Wie ich Mattes kennenlernte: auf der Kunstschule in Offenbach erzählte ich eines Tages der Inge, die mit ihrem Freund den kultigen Esoladen "Middle Earth in Frankfurt-Bockenheim betrieb, den es auch heute noch gibt, daß ich gern in einer weisheitsorientierten Gemeinschaft leben würde, wozu ihr sofort ein Bücherverschlinger einfiel, eben Mattes, der gerade nach Indien wollte. Wir fuhren also mit dem Fahrrad von Frankfurt nach Neu Isenburg, wo er wohnte und es war wie Nachhausekommen - kurze Zeit später zog ich in sein altes, leergeräumtes Zimmer. Bis er wiederkam, hatte ich eine andere Bleibe in der Nähe gefunden und hielt ab da Kontakt.

Einmal kam einer aus Indien zurück, sein Name weiß ich nicht mehr, der erzählte die ganze Zeit von seinen "Bräuten", die er überall im Land hätte. Nein, das war zu komisch, die Vorstellung, man geht als Deutscher nach Indien, um dort Heiratsschwindler zu werden. Ich sagte ihm, wie absurd das sei und fragte nach seinem Guru, worauf er antwortete: "Sag niemals RAM, wenn du mit Wasser in Berührung kommst", wobei er gefährlich mit den Augen rollte, wohingegen mir sein Ansinnen der Übertragung voll bewußt war. Ich stand auf, ging in die Küche, füllte eine leere Flasche mit Wasser, ging ins Zimmer zurück, setzte mich wieder, schüttete den Flascheninhalt über meinem Haupte aus und murmelte dazu inbrünstig "RAM-RAM-RAM ..." bis die Flasche wieder leer war. Es war Sommer, ja klar!
Wir schauten uns dann wortlos an, er grimmig, kalt, die andern und ich uns um seine Geistesvergiftung sorgend.
Man schwieg ab da. Und ich gebe es gern zu - ein bißchen war ich ob seiner Verfluchung in Sorge, aber nichts von elementarer Bedeutung sollte geschehen.  RAM ist, für die, die es nicht wissen, die Keimsilbe des Feuer-Elements. In Verbindung mit Wasser wird die Absicht des kleinen Schwarzmagiers verständlich.

Als dann Seine Heiligkeit, der 16. Karmapa nach Frankfurt kam und diese Zeit bei Fritz Kroeger in Königstein wohnte, (ich schrieb davon an anderer Stelle) war dessen stets loyale Frau etwas in Sorge: sie war Christin durch und durch. Und jetzt ein buddhistisches Oberhaupt  im eigenen Haus - ihr Pfarrer hatte sie gewarnt. Sie nahm allen Mut zusammen und besprach dieses scheinbare Problem mit Seiner Heiligkeit, der ihr versicherte, sie solle dem Weg des Herzens folgen, dabei ihre Hand ergriff, etwas hineinlegte und verschloß.
Als sie das Zimmer verlassen hatte und die Hand öffnete, erblickte sie zu ihrer größten Überraschung ... einen christlichen Rosenkranz.
"Wie konnte der Heilige wissen, daß ich meine Gebetskette letzte Woche  verloren habe ..." - ein schlechtes Zeichen, wie sie dachte - und wo um alles in der Welt nahm Er so schnell ein fast identisches Exemplar her ..."

Doch vorbei, die goldene Zeit des Aufblitzens von Himmel, doch hatte der Tod bisher kein Interesse an mir. ... in der ganzen Umgebung - "Dichter in dürftiger Zeit" nannte es Hölderlin -  kein Überraschendes, Irdischem enthebendes mehr ... nur noch Regel, Grau, Koronamaskenpflicht und und und ... ach, wieder vergessen - es gibt mich nicht - es gibt Formen, Empfindungen, Wahrnehmung, gibt bildende Kräfte, ja und Bewußtsein soll es auch geben, aber ein beharrendes Ich - wo sollte es wer im ewigen Fluß finden, ja wer fragt da noch ...
Chingakoks, Du?

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Kommentare zu diesem Text

blackdove (37)
(30.10.20)
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 LotharAtzert meinte dazu am 31.10.20:
Merkur und Venus im Wassermann - das hast du gut erkannt. Kommt dann auf das Haus an, welcher Art von Freundschaft. (Ich hab sie ja im 12, Haus, dh. den Merkur schon im Übergang zum 11. und noch 0° Wassermann dazu. Da läuft das schon auf überraschende Weltabkehr hinaus.

Der Mattes, jaja, der wollt mich im Lügenpasch besiege, da hat er sich den Falschen ausgesucht
Ich weiß nicht, ob's stimmt, aber sein Vater soll zweimal versucht haben, ihn als Kind umzubringen. Das hinterläßt natürlich Spuren.

Ich danke dir sehr, liebe Stefanie
blackdove (37) antwortete darauf am 31.10.20:
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 Regina (30.10.20)
Memoiren von einem, den es nicht gibt. Interessant geschrieben.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 31.10.20:
Danke sehr auch dir, liebe Gina.

Gruß von meiner Wenigkeit (ein bißchen viel Ego ist freilich immer noch da!

 harzgebirgler (30.10.20)
"Des Ganges Ufer hörten des Freudengotts
Triumph, als allerobernd vom Indus her
Der junge Bacchus kam, mit heilgem
Weine vom Schlafe die Völker wekend." (Hölderlin)

herzliche abendgrüße vom harz ins hessische
henning

 LotharAtzert äußerte darauf am 31.10.20:
Ein Loblied auf dich und Herrn Bacchus zu singen,
das sollte beim Rotwein mir itzo gelingen.

und auf Hölderlin natürlich, klar!
Viel Dank ziehe ostwärts
Lothar

 FRP (31.10.20)
Lothar Atzert ist immer dann lesenswert und großartig, wenn er, wie hier, nicht agitiert, nicht andere zu seinen Überzeugungen bekehren will, der Anderen Werte und Auffassungen nicht vom Gipfel des Himalaya niederschmettern will. Denn dann ist er den von ihm ins Visier genommenen "Oberlehrern" ähnlicher, als ihm lieb sein kann. Berührend im Autobiografischen und kleinen Anekdoten, scheut er sich auch niemals vor dem Aufzeigen der eigenen Merkwürdigkeiten. In der Tat gibt es für uns Alternde nur die zwei Möglichkeiten: Selbst sterben, oder zusehen müssen, wie es um uns leerer und leerer wird. Zwar haben wir gelernt, nicht anzuhaften, aber der Schmerz ist trotzdem enorm, wenn uns wieder ein naher Mensch genommen wird. Selbst im Schmerz entwickelt Atzert noch Humor und den Sinn für Groteskes. Seine Stärke liegt (abgesehen von kleinen Schlampigkeiten in der Durchführung) in solchen kleinen Geschichten.

 LotharAtzert ergänzte dazu am 31.10.20:
Herzlichen Dank! (Du kannst schon auch nett sein. Naja, gibt's das nächstemal wieder eins drauf …)
Die kleinen Schlampigkeiten sind nicht gewollt, aber durchaus sinnvoll, man will ja, wenn schon Depp, wenigstens kein durchgestylter Depp sein.

Grüße nach Lepzig




also gut, ich denk drüber nach.

Antwort geändert am 31.10.2020 um 14:50 Uhr

 Dieter Wal (31.10.20)
Erinnert entfernt an monatliche Treffen mit Spirituellen. Nette Erzählung.

 LotharAtzert meinte dazu am 01.11.20:
So ein Zuphall. :)
Dankeschön.
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