Radio Exploited schaltet ab
Kurzgeschichte zum Thema Apokalypse
von RainerMScholz
Und dann haben wir ihn uns genommen, irgendeinen, der gerade das Gebäude verließ; wir sind mit dem grauen VW LT vorgefahren, der, mit der Beschriftung von einem erfundenen Hausmeisterdienst, haben die Schiebetür aufgerissen, ihn an Händen und Füßen hereingezogen und sind ab. In einem stillgelegten Bunkergebäude haben wir ihn dann auf einem Stuhl festgezurrt, die Scheinwerfer und die Kamera eingeschaltet und haben ihn erzählen lassen, bei welcher Frankfurter Bank er arbeitet und was er da macht. Eigentlich ist uns das egal, die Hauptsache ist die Erwähnung der Bank und dass er da arbeitet. Dann haben wir ihm seine Bankerklamotten heruntergezerrt und ihn enthauptet. Das klappte leider nicht gleich, weil wir darin noch keine Übung hatten, aber schließlich war er tot. Wir haben die Scheinwerfer ausgeschaltet und die Kamera und sind nach Hause gefahren.
Das Video haben wir nahezu ungeschnitten auf Jutjub hochgeladen, und dann haben wir gewartet, was passiert.
Hier spricht Radio Exploited. Ihr werdet nie wissen, wo wir gerade sind, und ihr werdet nie wissen, wie viele wir sind. Wir sind der Kellner oder der Hausmeister oder der Liftboy oder der Praktikant oder die Putze oder alle zusammen, aber das werdet ihr nie erfahren. Uns gibt es gar nicht und wir sind überall, aber ihr seht uns nicht. Wir wollen keine Almosen von euch und wir wollen euer Geld nicht. Wir wollen keine soziale Gerechtigkeit und keine demokratische Neuorientierung. Wir wollen keine Revolution. Wir wollen nur unser Gesicht wahren. Wir wollen ohne Scham in den Spiegel sehen können. Eure Überheblichkeit, Arroganz und Gleichgültigkeit kotzen uns an. Dies ist ein Weckruf. An alle, die zu hören vermögen. Jede Woche werden wir einen Kollaborateur, Vertreter oder Mitarbeiter einer Bank hinrichten. Ihr könnt uns nicht kaufen und ihr könnt uns nicht bezahlen. Dies ist ein Weckruf. An alle, die zu hören vermögen.
Merkwürdigerweise schien sich niemand um das Video im Internet zu kümmern. Es gab ein paar flapsige Kommentare wie „cool“ oder „geiles Horrorteil“, und irgendwann wurde es aus angeblichen Lizenzgründen von den Betreibern der Plattform oder dem System selber gelöscht. In der Zeitung war der Tod des Bankangestellten, dessen Leiche im Main gefunden wurde, nur eine kurze Nachricht im Lokalteil.
Die Woche darauf nahmen wir uns den nächsten vor. Und die Woche darauf. Und die Woche darauf. Immer nach dem gleichen Muster. Nichts geschah. Und nichts veränderte sich. Wir ließen unsere Durchsage zu den Hinrichtungen, wie sie war, bis auf ein paar dramatische Zusätze wie
Henker fremder Herren,
fremder Herren Henker
oder
Jesus ist von der herrschenden Macht mithilfe ihrer Kollaborateure gekreuzigt worden,
doch das änderte gar nichts und gab dem Ganzen, meiner Meinung nach, am Ende noch einen ungewollt komischen Beigeschmack.
Dann tauchten irgendwann weitere Videos auf, also selbstgemachte kleine Filmchen, die nicht von uns stammen.
Unter dem Titel Profiteure am Rentensystem auf Kosten der jungen Generationen wird ein älteres Ehepaar vor laufender Kamera vom Dach einer Plattenbausiedlung gestürzt. Ihr Aufprall auf dem Zementweg vierzehn Stockwerke tiefer ist gleichzeitig der Schluss des Streifens.
Eine Frau in einer geblümten Schürze mit einer Filterzigarette im Mundwinkel und Lockenwicklern im Haar steckt offensichtlich Teile ihres kleinen Sohnes in den Mixer in ihrer Resopalküche und nuschelt etwas von emotionaler Ausbeutung der Kinder an ihren Eltern in eine wacklige Handykamera.
Auf einem anderen Video gehen Frauen und Männer mit Knüppeln aufeinander los.
Dann gibt es natürlich auch die religiös motivierten Abschlachtereien aus verletztem Stolz oder militantem Missionsgedankengut und Einzigartigkeitskomplexen, die allerdings von den Hauptnachrichten im Fernsehen nur schwer zu unterscheiden sind.
Es gibt gewöhnliche Raubüberfälle im Namen der Umverteilung, Vergewaltigung, deklariert als umgekehrter Unterdrückungsmechanismus, Verstümmelung zur Vervollständigung der persönlichen Integrität. Alles auf Jutjub. Alles im Netz. Kein Mensch löscht das jetzt mehr. Allein die Flut an Videos macht die Zensur unmöglich. Die Serverfabriken scheinen von selbst zu laufen. Jeder hat jetzt eine Waffe in der einen und das Handy in der anderen Hand. Alle töten alle. Die Straßen sind wie leergefegt. Die Geschäfte sind geplündert und das öffentliche Leben spielt sich scheinbar ausschließlich auf dem Bildschirm ab. In jedem Haushalt laufen die Außenweltverbindungsgeräte und paradoxerweise ist jeder zu jeder Zeit erreichbar. Eine Angst, die an Besessenheit grenzt, greift Raum und wird mit perverser und sich selbst erfüllender Befriedigung genossen.
Radio Exploited bringt immer noch jede Woche einen Banker um, aber mehr aus Gewohnheit denn aus Überzeugung. Es ist auch gar nicht mehr so einfach, einen zu finden.
© Rainer M. Scholz
Das Video haben wir nahezu ungeschnitten auf Jutjub hochgeladen, und dann haben wir gewartet, was passiert.
Hier spricht Radio Exploited. Ihr werdet nie wissen, wo wir gerade sind, und ihr werdet nie wissen, wie viele wir sind. Wir sind der Kellner oder der Hausmeister oder der Liftboy oder der Praktikant oder die Putze oder alle zusammen, aber das werdet ihr nie erfahren. Uns gibt es gar nicht und wir sind überall, aber ihr seht uns nicht. Wir wollen keine Almosen von euch und wir wollen euer Geld nicht. Wir wollen keine soziale Gerechtigkeit und keine demokratische Neuorientierung. Wir wollen keine Revolution. Wir wollen nur unser Gesicht wahren. Wir wollen ohne Scham in den Spiegel sehen können. Eure Überheblichkeit, Arroganz und Gleichgültigkeit kotzen uns an. Dies ist ein Weckruf. An alle, die zu hören vermögen. Jede Woche werden wir einen Kollaborateur, Vertreter oder Mitarbeiter einer Bank hinrichten. Ihr könnt uns nicht kaufen und ihr könnt uns nicht bezahlen. Dies ist ein Weckruf. An alle, die zu hören vermögen.
Merkwürdigerweise schien sich niemand um das Video im Internet zu kümmern. Es gab ein paar flapsige Kommentare wie „cool“ oder „geiles Horrorteil“, und irgendwann wurde es aus angeblichen Lizenzgründen von den Betreibern der Plattform oder dem System selber gelöscht. In der Zeitung war der Tod des Bankangestellten, dessen Leiche im Main gefunden wurde, nur eine kurze Nachricht im Lokalteil.
Die Woche darauf nahmen wir uns den nächsten vor. Und die Woche darauf. Und die Woche darauf. Immer nach dem gleichen Muster. Nichts geschah. Und nichts veränderte sich. Wir ließen unsere Durchsage zu den Hinrichtungen, wie sie war, bis auf ein paar dramatische Zusätze wie
Henker fremder Herren,
fremder Herren Henker
oder
Jesus ist von der herrschenden Macht mithilfe ihrer Kollaborateure gekreuzigt worden,
doch das änderte gar nichts und gab dem Ganzen, meiner Meinung nach, am Ende noch einen ungewollt komischen Beigeschmack.
Dann tauchten irgendwann weitere Videos auf, also selbstgemachte kleine Filmchen, die nicht von uns stammen.
Unter dem Titel Profiteure am Rentensystem auf Kosten der jungen Generationen wird ein älteres Ehepaar vor laufender Kamera vom Dach einer Plattenbausiedlung gestürzt. Ihr Aufprall auf dem Zementweg vierzehn Stockwerke tiefer ist gleichzeitig der Schluss des Streifens.
Eine Frau in einer geblümten Schürze mit einer Filterzigarette im Mundwinkel und Lockenwicklern im Haar steckt offensichtlich Teile ihres kleinen Sohnes in den Mixer in ihrer Resopalküche und nuschelt etwas von emotionaler Ausbeutung der Kinder an ihren Eltern in eine wacklige Handykamera.
Auf einem anderen Video gehen Frauen und Männer mit Knüppeln aufeinander los.
Dann gibt es natürlich auch die religiös motivierten Abschlachtereien aus verletztem Stolz oder militantem Missionsgedankengut und Einzigartigkeitskomplexen, die allerdings von den Hauptnachrichten im Fernsehen nur schwer zu unterscheiden sind.
Es gibt gewöhnliche Raubüberfälle im Namen der Umverteilung, Vergewaltigung, deklariert als umgekehrter Unterdrückungsmechanismus, Verstümmelung zur Vervollständigung der persönlichen Integrität. Alles auf Jutjub. Alles im Netz. Kein Mensch löscht das jetzt mehr. Allein die Flut an Videos macht die Zensur unmöglich. Die Serverfabriken scheinen von selbst zu laufen. Jeder hat jetzt eine Waffe in der einen und das Handy in der anderen Hand. Alle töten alle. Die Straßen sind wie leergefegt. Die Geschäfte sind geplündert und das öffentliche Leben spielt sich scheinbar ausschließlich auf dem Bildschirm ab. In jedem Haushalt laufen die Außenweltverbindungsgeräte und paradoxerweise ist jeder zu jeder Zeit erreichbar. Eine Angst, die an Besessenheit grenzt, greift Raum und wird mit perverser und sich selbst erfüllender Befriedigung genossen.
Radio Exploited bringt immer noch jede Woche einen Banker um, aber mehr aus Gewohnheit denn aus Überzeugung. Es ist auch gar nicht mehr so einfach, einen zu finden.
© Rainer M. Scholz