Im Hallenbad

Text

von  atala

Das Gebäude ist rechteckig, von außen sieht man hinein. Ein gläserner Kasten.

Sobald ich die erste Eingangstür öffne, schlägt mir warmfeuchte Luft entgegen. Noch gehe ich in Turnschuhen auf den weißen Fliesen. Ich schwitze, die Kleider kleben an meiner Haut, in der Kabine streife ich sie ab.
Am Beckenrand stehe ich und betrachte die Leute, die in Bahnen vor und zurückschwimmen. Durch die Mitte ist eine leuchtende Schwimmleine gespannt wie eine purpurne Perlenkette. Das Gelächter und Gerede, das Abspringen vom Brett des Sprungturms und das spritzende Landen hallen von den Wänden. Es ist nicht zu bemerken, woher die Geräusche genau kommen, alles verbindet sich in einer Tonkulisse.
Ich ziehe mir die Schwimmbrille über und zurre sie an der Schläfe fest, dann springe ich ins Becken. Das Wasser dämpft die Geräusche ab. Ich schwimme ein paar Längen und wende, um zu atmen, den Kopf immer auf dieselbe Seite. In der Mitte der Strecke höre ich auf zu kraulen und bleibe unter Wasser. Körper ohne Köpfe kommen von beiden Seiten auf mich zu. Wie Maschinen schlagen sie mit den Armen und Beinen einen unhörbaren Takt. Sie bewegen sich unaufhaltsam auf mich zu.


Oft träume ich von Wasser. So auch diese Nacht.
Ich befinde mich in einem untiefen Meeresarm, in dem keine Wellen schlagen. Zuerst ist mir wohl, ich lasse mich vom Wasser tragen, fühle kein Gewicht. Doch dann sehe ich, dass ich umgeben bin von kleinem Getier. Quallen, die leichenähnliche Arme statt Tentakeln haben, Fische, dessen spitzigen Riesenzähnen über ihre wulstigen Lippen ragen. Ich suche Schutz hinter einen großen Stein am Grund. Die Tierchen verschwinden, aber stattdessen hat es eine gigantische Muräne im Wasser. Die Kreatur hat alle kleinen Viecher gegessen, alle Quallen und Monsterlein, ich sehe das Tier sofort, als ich meine Schwimmbrille aufsetze und um den Stein spähe, obwohl das Wasser trüb geworden ist.
Die Muräne hat einen fetten Leib, labbrige Fetzen hängen von ihr ab, sie bewegt sich schlangenförmig auf etwas in der Ferne zu. Die Kreatur fixiert das, was vor ihr ist, es jagt es. Bevor ich sehe, was es angreift, wache ich auf.


In meinen frühen Jugendjahren ging ich einmal in der Woche ins Training, jeden Freitag. Meine erste beste Freundin, die ich je hatte, habe ich im Schwimmkurs kennengelernt. Sie hiess Tereza und hatte blondes Haar, das ihr bis zur Taille reichte. Als einzige trug sie einen Bikini statt eines Badeanzugs.
Die Geschichten, die wir uns erzählten, mussten während dem Training in Stücke zerteilt werden. Für ein paar Sätze hatten wir Zeit, bevor wir uns am Beckenrand abstiessen und davonkraulten. Unsere Worte hallten im Kopf nach. Wenn wir zur anderen Seite gelangt waren, mit den Händen die Wand berührten, uns umdrehten und weiter schwammen, reichte es nur für einen Kommentar. Das Lachen versenkten wir im Wasser. Man hörte es kurz gurgeln, wenn wir abtauchten, mit offenem Mund schwammen wir weiter.
Erst als die nächste Übungseinheit vom Trainer angekündigt wurden, den ich nie im Wasser gesehen habe, nur immer neben dem Sockel stehend, reichte es wieder für eine Erzählung.
Vielleicht gelingt mir deshalb bis heute die Rollwende nicht besonders gut. Die Wendetechnik unter Wasser vergrösserte unsere Abstände, erschwerte unser kurzes Schnappen nach Worten.
Ich sehe ihre Abdrücke der Brille unter den Augen, gerötet vom Chlor, wenn wir nach dem Training duschten. Unser Lachen hallte von den Wänden der Steinhalle.

Als Tereza sich anfing von mir zu entfernen, erlitt mein Herz einen heftigen und langanhaltenden Stich. Ihre Mutter war schwer krank geworden, wir beide wussten nicht wie mit dieser Bedrohung umzugehen, vielleicht gelingt das aber auch nie.
An der Beerdigung trugen sie und ihre Schwester lange schwarze Kleider und glitzernde Ohrringe, die sie von Tschechien mitgebracht hatten, dem Heimatland der Mutter. Sie hat mich so lange vertröstet, bis ich es nicht mehr wagte, sie anzurufen.

Manchmal träume ich, Tereza schwimmt mit den Ohrringen die Längen ab. Ich sehe ihre langen blonden Haaren wie Seegras im Wasser, die sie immer zusammenbinden musste, sonst hat der Trainer geschimpft.
Die Ohrringe funkeln zwischen den Haarsträhnen hindurch.


Bevor man ins Becken springt, vollführt man ein Ritual. Du wechselst von der Landbekleidung zum Wassergewand. Dann duschst du. Der ganze Dreck und die Trockenheit der Aussenwelt, gewöhnst dich an die Beschaffenheit der flüssigen Umgebung. Schliesst die Augen, wenn das Wasser deinen Kopf berührt. Beim ersten Kontakt, vibriert deine Haut. Wähle eine kühle Temperatur, sonst wird der erste Sprung umso schlimmer sein. 
Der Moment des Duschens ist Ablösungsphase zu nennen. Es ist die Übergangsphase, zwischen innen und aussen, trocken und nass.
Man wird zu etwas Anderen, transformiert sich.

Die Realität mit ihren festen Geräuschen liegt zurück, im Hallenbad schwingen die Töne. Man geht in die Liminalität der Schwimmwesen, ist jetzt ein Wasserlebewesen, kein Landbewohner mehr. Ab jetzt bewegst du dich anders fort, nicht mehr auf zwei Beinen, du verlässt die Vertikale, gehst in die Horizontale. Du kannst dich bewegen wie du möchtest, nach oben, unten, vor und zurück, kannst den Raum einnehmen. Trotzdem hat alles seine Ordnung. Speed / Kraul / Freischwumm / man hat sich zu entscheiden.


Die hohen Decken lassen eine Andacht entstehen. Ich spreche nie, wenn ich schwimmen gehe. Heute scherze ich zwar mit dem Mann, der an der Kasse sitzt, aber drinnen dann: kein Wort.
Nur das Platschen der Handflächen, die die Oberfläche durchschneidet, nur die Geräusche, die die Körper aus dem Wasser tragen.
Mein Blick haftet am dunklen Strich am Beckenboden, an den kleinen Bläschen, die nach jedem Schlag von meinen Fingerspitzen steigen. Die Schwimmleine hat die Farbe weiß, rot, blau.


Im Duschraum, bevor ich zu einem Wasserwesen werden, stehen gegenüber von mir Frauen in meinem Alter. Sie waren bereits schwimmen und machen sich bereit für die Transition in die reale Welt, sie befinden sich in der Integrationsphase. Sie haben sich im gleichschenkligen Dreieck angeordnet und sind in ein Gespräch vertieft. Die mittlere zieht ihre Badehose aus und wringt sie unter dem Strahl aus, die anderen beiden waschen sich das Shampoo aus den Haaren, sie lachen.
Es sind drei Freundinnen, also schon eine Gang. Am liebsten würde ich neben sie stehen, mich mit Duschgel einseifen und mitreden, mich ihnen anschliessen. Ich beobachte sie aus dem Augenwinkel, bis sie aus dem Duschraum gehen.
Eine schwingt ihr Handtuch wie ein Lasso.


das Vergessene

Der Bademeister hat mir eine Schwimmbrille gegeben, weil ich meine zuhause liegengelassen habe. Er mache das sonst nie und es wäre verboten, hat er gemurmelt. Trotzdem ist er zu einem Schränkchen, hat eine Truhe voller liegengelassener Gegenstände herausgenommen und mir eine Brille in die Hand gedrückt. Kannst sie behalten, hat er gesagt. 
Es ist die beste Brille, die ich je hatte, gestochen scharf, alle Bläschen sind zu sehen, schwebender Schnudder und das Licht scheint wie Scheinwerfer die Leute an, setzt sie in Szene. Ein Mann schwimmt wie eine Meerjungfrau eine ganze Länge ohne Luft zu holen. Bin ihm nach in Brustschwumm, nach jedem Schlag nach unten getaucht und seine schlagenden, wellenartigen Bewegungen beobachtet.


Kartografie der Körper

Im Duschraum geht eine alte Frau nackt an mir vorüber. Bei jedem Schritt drohen die Knie seitlich einzuknicken, sie bleibt kurz stehen und ich schaue auf ihre Waden, auf ihre Beine. Der nackte Körper einer alten Frau wie eine topografische Landkarte.
Die hohen Regionen, die, die am weitesten vom Herzpunkt entfernt sind, sind violett gefärbt, die bläuliche Flecken sind Gewässer und die Venen, die sich durchs Bein ziehen, sind Höhenlinien. Die Adern, die durchs Blau führen, könnten auch Tiefenlinien sein, sie zeigen das Relief der Körperseen.
Es türmen sich Hügel neben den Pobacken, die Frau geht weiter, sie lacht laut und ruft etwas auf Italienisch ihrer Freundin zu, die am Garderobeneingang auf sie wartet. 

Jemand summt ein Lied in der Dusche, ich sehe nur ihre Umrisse hinter der Milchwand. Das Lied kenne ich nicht, trotzdem verfolgt es mich Stunden nachdem ich das Bad verlassen habe und selbst als ich mich schlafen lege, hängt es mir im Ohr.

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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (28.12.20)
Toll beobachtet und sehr plastisch wiedergegeben. Ich bin förmlich eingetaucht in diese alte Welt des Hallenbades...
Ich hatte nach dem Schwimmen immer so aufgedunsene Haut, ganz weiß, und ich mochte den Geruch des Chlors, der einen imprägniert hatte.
Schön müde wurde man auch nach dem Training.
Danke für diesen flash back...
Eiskimo

 atala meinte dazu am 28.12.20:
Danke fürs Lesen, Eiskimo!
Stimmt, die Schwimmhäute und der Geruch, das könnte ich auch noch beachten <3

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 29.12.20:
Nee, eiskimo, da sind einige handwerklich-stilistische Fehle, die das Lesevergnügen schmälern. So das sehr umgangssprachliche "es hat xy", "bevor ich zu einem Wasserwesen werden" und das kuriose "Freischwumm" (?).

Insgesamt jedoch ein sehr interessantes Projekt. ich würde sagen, ein kleiner Rohdiamant, an dem noch viel zu schleifen ist.

P.S.: Leistungssportlich orientierte Schwimmerinnen tragen keine Bikinis.

 eiskimo schrieb daraufhin am 29.12.20:
Der Schriftsteller John von Düffel hat ein Faible für Wasser - der ist auch begeisterter Schwimmer.
Mein Sohn hat ein paa Jahre Wasserball gespielt, das ist auch eine Welt für sich.

 atala äußerte darauf am 29.12.20:
Die Wasserwelt hat wirklich eigene Gesetze und ist sehr gross und verzweigt.
Dieter_Rotmund: ein paar Schweizerdeutsche Wörter sind wohl wieder drin, Freischwumm ist eine Kategorie, in der man den Schwimmstil frei wählen kann. Bei Gelegenheit werde ich mir die Helvetismen mal rauspicken.

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 29.12.20:
Du kannst auch den entgegen gesetzten Weg gehen, die Geschichte klar in der Deutschschweiz verorten und in einem Nebensatz erklären, was ein Freischwumm ist.

 RainerMScholz (05.08.21)
Innenansichten.
Grüße,
R.
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