„Nicht neben dem!“ Jonas M. (38) guckt mit deutlich sichtbarer Abneigung in Richtung eines etwas fülligeren, glatzköpfigen Mannes, der da schwitzend aus dem Security-Check kommt. Jonas hat den vorher noch nie gesehen geschweige mit ihm zu tun gehabt. Trotzdem höre ich nur „Nä! Drei Stunden neben dem eingequetscht sein...Danke vielmals!!!“
Neue Passagiere betreten den Warteraum an Gate 17, und fast angstvoll mustert Jonas weiter die möglichen Sitznachbarn. Sie kommen wie zum Casting langsam an uns vorbei, die einen mit Rollkoffer, die anderen mit Tüten oder Rucksäcken.
„Die bitte auch nicht!“ Jonas´ Kopfbewegung weist ungeniert auf eine Dreiergruppe älterer Damen, die offensichtlich sehr viel Spaß miteinander haben. Jedenfalls bekommen wir in kurzer Folge spontane Lachausbrüche mit, etwas schrill und – okay, ein bisschen laut.
Jonas verzieht jedenfalls in vorauseilender Abscheu das Gesicht, sicher, dass ich mich seiner bösen Vorahnung anschließen würde. „Die werden doch bei so einem langen Flug nicht still halten, das weiß ich doch jetzt schon!“
Kaum hat er in dieser Form mit den drei Grazien abgerechnet, nähert sich ein Pulk von Erwachsenen, wahrscheinlich zwei Familien, die mit ihren Kleinkindern unterwegs sind.. Ein Baby wird auf dem Bauch getragen, vier Halbhohe umrahmen die schwer bepackten Eltern. Erster Eindruck: Alle ordentlich gekleidet, kein Herum-Gehampele, wahrscheinlich gut erzogen.
Jonas muss die Szenerie anders interpretiert haben, denn schon unkt er los: „Oh, nein! Bitte keine Kinder. Lieber ein Sack Flöhe... Ich muss die Zeit im Flieger doch nutzen, ich muss arbeiten.“
Und als wüsste ich nicht um seine Angespanntheit, hält er mir bedeutungsvoll seine Laptoptasche entgegen.
Oh, Jonas, du Workaholic, du willst es uns wieder allen beweisen. Dein ganzes Wohl und Wehe behütest du da in deinem albernen Laptop. Datenschätze, mit denen du den großen Coup landen willst, deinen Durchbruch – klar, aus deiner Sicht alles megawichtig! Dabei... wenn du wüsstst, wie geringschätzig über dich geredet wird.
„Dass die mich nicht endlich upgraden und Business fliegen lassen, das ist eine echte Sauerei,“ kriege ich stattdessen zu hören. „In die Holzklasse muss ich, zum Fußvolk...pahh!“
Und wie, um seine Worte zu untermalen, macht Jonas wieder eine dieser wegwerfenden Handbewegungen. Im Visier diesmal ein Mann mit einem vielleicht 12jährigen Jungen, der mit dem Tablet vor der Nase in die Halle kommt.Die Basball-Cap verkehrt herum, teure Turnschuhe, Gamer-Klamotten – es ist ein deutlicher Kontrast zu dem spießig gekleideten Vater.
Jonas verdreht die Augen. „Entweder habe ich die ganze Zeit dessen Ballerspiele um die Ohren, oder der Vater textet seinen missratenen Sohn pädagogisch zu. Und ich habe keinen Nerv für so ein Sozialdrama...“
Sozialdrama, denke ich leicht empört, das musste jetzt ausgerechnet von Jonas M. kommen. Aber, das ahnen jetzt nicht nur Vielflieger, das Schicksal rächt sich manchmal wie im Fluge!.
Denn ich erkenne den italienischen Chor, der in der Woche in unserer Stadt gastierte. Fast vierzig quicklendige Italienerinnen und Italiener, die zum Gate heranströmen – eine echte stimmgewaltige Armada. Mama mia! Sie alle wollen mit in den Flieger - si, si, sie wollen dieses so enge Zusammen-Sein in einer eng bestuhlten Röhre mit Jonas M. teilen. No, no, no - das wird sicher keine Klausur des Schweigens.
Und ich gebe Jonas einen ermunternden Klaps auf die Schulter. „Wird schon,“ sage ich knapp, und denke beim Verlassen der Halle nur „Man kriegt im Leben doch immer den Nachban, den man verdient.“
Draußen steige ich in Jonas´Auto und kutschiere es nach Hause, in das Haus, neben dem ich wohne.