Psychiatrie-Tagebuch, Teil 5

Text

von  Koreapeitsche

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jedoch nichts erzählt. Das finde ich traurig. Als würde es mich nichts angehen, wie hoch ich mit Risperidon dosiert werde. Ich habe gar keine Lust, das bei Dr. Kruse anzusprechen, da er wieder so liebenswert total sein wird. Er würde mir die Sache liebenswert taktlos plausibel machen. Das kommt ansatzweise wie der Zynismus der Nazis. Ich hatte eben die Arztvisite, nachdem ich einen Artikel im time über Stammzellen zu Ende gelesen hatte. Dr. B. Kruse offenbarte mir, dass ich ab heute schon Ausgang habe, das bedeutet, dass ich bereits heute ab 14 Uhr einen einstündigen Spaziergang machen kann. Ich darf dabei jedoch nicht das Klinikgelände verlassen, dürfte nicht einmal ins Düsternbrooker Gehölz. In den Folgetagen dürfte ich auch in den kleinen Wald gehen. Offiziell bin ich ab Montag 12 Uhr entlassen. Dr. B. Kruse fragte mich jedoch, ob ich darüber hinaus
 
 
 
 
 
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noch länger hier bleiben wolle - auf freiwilliger Basis. Das wäre entweder in der P3, vielleicht auch in der P6. P3 ist Frau Dr. Wilms unterstellt. Die P6 ist für Borderline-Störungen, aber wie Dr. Kruse sich ausdrückt eventuell sogar eine Station für ausschließlich traumatisierte Frauen. Ich entgegnete Dr. Kruse, dass ich vorab über eine Verlängerung auf einer anderen Station informiert werden möchte. Mir wurde jetzt wieder ein Flyer versprochen. Ich sagte, dass mein Bettnachbar eine kleine Informationsmappe über das Zip zur Verfügung hatte. Ich beharrte gegenüber Dr. Kruse darauf, vorab informiert zu werden, sonst kommt eine „Verlängerung" auf freiwilliger Basis für mich nicht in Frage. Das Problem mit der erhöhten Dosis Risperidon sprach ich nicht an, als er mich anfangs fragte: „Was haben Sie heute für Fragen?" Die ganze Sache hier stinkt zum Himmel.Wohin spielt die ich eine Partie Schach gegen einen der Pfleger. Ich verlor durch schachmatt.
 
 
 
 
 
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Ich hielt meinen Mittagsschlaf bis 13.37 Uhr. Danach machte ich einen Spaziergang über das Gelände. Ich trank im Café Kassel einen Kaffee für 60 Cent. Um kurz vor 3 Uhr war ich zurück auf der P4. Kurz nach 15 Uhr kam Herr Wichmann, der extra aus Hohenweststedt angereist war. Er erinnerte mich ein wenig an meinen 1994 verstorbenen Cousin Andreas Scheer. Wir führten ein circa halbstündiges Gespräch über meine berufliche Situation. Er hielt ein Plädoyer über die Scheinselbständigkeit, als hätte er selbst mal als Scheinselbständiger gearbeitet. Er sprach davon, dass ich ihm alte Honorarabrechnungen von Emnid vorlegen solle. Er sprach davon, dass die Möglichkeit besteht, eine geringe Rente zu beantragen. Die Sache wird immer grotesker. Schließlich erzählt die ich von meinen kurzen Recherchen bei Econ-Desk _ftn1">[1] im Institut für Weltwirtschaft über den Freenet Insiderhandel und die Software-Deals der

 
 
 
 
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Landesregierung. Ab dem. Wurde das Gespräch hitzig und er wollte Dr. Kruse hinzuziehen, um zu klären, was dagegen spräche, dass ich nach dem 02.03 2009 noch länger hier bleibe - auf freiwilliger Basis. Ich sprach nämlich an, dass ich ungerne hier bleibe, wenn ein Behandlungskonzept fehlt. Schließlich gingen wir zu Dr.Kruse, der alleine mit Frau Metzner in seinem Büro war. Frau Metzner war bereits angezogen. Ich sagte ihr das, was sie auch vorher zu mir sagte, als ich meinen Spaziergang anfing: „Wehen sie nicht weg!"  Sie sagte mir zuvor wortwörtlich „Verwehen sie nicht!" jedenfalls machte Frau Metzner gerade Feierabend. Jetzt saßen wir eine Weile zu dritt in Dr. B. Kruses Büro. Da merke ich, dass das jetzt mit dem Druck erst richtig losgeht. Es hieß, ich könne mich freiwillig entscheiden, ob ich noch länger hier bleiben wolle. Ich solle mich mit Frau Wilms unterhalten, auf deren Station ich untergebracht würde.
 
 
 
 
 
 
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ich beschwerte mich noch einmal darüber, dass  sie nicht vertrauenswürdig sei, drückte mich  dabei schlecht aus. Ich bezog mich auf die Tatsache, dass sie meine E-Mails nicht beantwortete, genauso wie die Fr. Tümmers. Ich machte einen Vergleich mit Prof. Noam Chomsky und Fr. Prof. Tesch, die täglich hunderte von E-Mails empfangen, und diese nicht alle beantworten können. Nach einer Weile kam ein weiterer Arzt mit in Dr. Kruses Büro. Ich warf Doktor Kruse vor,  dass er die Dosis erhöht hat, ohne mich darüber zu informieren. Er sagte „na klar, ich erhöhte wie geplant von ein auf 2 auf 4 Milligramm“. Das fand ich sehr krass. Ich erreiche die mich wieder sehr. Schließlich wollte Herr Wichmann wieder los.  Im Flur kam ich noch einmal auf die Sache mit Freenet und die andere Sache mit der Software zu  sprechen. Ich tat dies in erster Linie, da ein Pfleger - der mit der tiefen Stimme - schräg gegenüber im Gang stand.
 
 
 
 
 
 
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Bayern hat gestern 5 : 0 gegen Sporting Lissabon in der Champions League gewonnen. Ich sah das ganze Spiel. Der HSV gewann heute mit 1 : 0 gegen Njimwegen. Ich sah die letzten 25 Minuten. Ich mache dir 30 Liegestützen, löste mit anderen Patienten ein Puzzle, machte eben Ki-Übungen, 100 Zukis, lief einmal die Tekki Shodan. Ich freue mich schon morgen auf den Frühsport. Schwester Jennifer empfahl mir, die beiden Physiotherapeuten wegen eines Skateboards zu fragen. Dass Dr. Kruse ein Arzt Marke Schwein ist, wurde ein weiteres Mal klar, als er sagte „Sie können ja wohl nicht erwarten, dass ich mit ihnen die ganzen Nebenwirkungen durch gehe!"
 
 
 
 
 
 
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Fr. 27.02 2009
 
ich hatte heute zum ersten Mal Ausgang in einem vordefinierten Bereich - bis zum Blücherplatz. Ich fragte Dr. B. Kruse während der Visite, ob ich auch zum Geldautomaten in der Düppelstraße gehen dürfe. Er sagte, das sei ok. Später stellte ich fest, dass der Automat in der Wrangelstraße Ecke Gerhardstraße liegt. Ich fragte auch, ob ich ins Institut für Weltwirtschaft gehen dürfe. Er gab sein Okay. Ich ging heute zweimal in die ZBW, einmal morgens, einmal abends. Ich checkte meine E-Mails, drückte mir ein Formular von Barstec aus, das ich später von der P4 aus nach Hamburg faxte. Ich hoffe, dass er das Geld - die rund 150 € - bis einschließlich morgen überweist. Dann wird der Zufluss für Februar berechnet. Nach dem Mittag ging ich ein zweites Mal in die ZBW. Wie schon am Morgen arbeitete ich an „Meine ersten Chaostage" weiter, stellte
 
 
 
 
 
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eine vorläufige Endversion des Textes fertig und lies ihn mir ausdrucken. Neben mir saß später wie der die Russin, mit der ich die Beschwerde startete. In der ZBW fand eine Vorlesung zum Thema "Text-Mining" statt. Wenn ich am Montag um 12:15 Uhr entlassen werde, habe ich eine Woche später bereits den Termin bei Frau Erdag. Er findet am Dienstag, 10.03 2009, um 10:15 Uhr statt. Ich mache eben wieder 100 Zukis, Ki-Übungen und auch 12 Yoga-Übungen (Asanas) im Stehen. Morgen werde ich wohl mal zum Geldautomaten, eventuell wenn ich darf auch zu Rossmann. Ich werde auch irgendwo einen Kaffee trinken gehen. Nächste Woche soll ich wegen des Praktikums bei Bonus Medien anrufen. Ich beantwortete auch eine E-Mail von Herrn Wichmann. Bei Freenet ließen sich die Mails nicht löschen. An den PCs heute nervte, dass ich nichts zum Drucker exportieren konnte. Ich wollte spanische Texte ausdrucken.
 
 
 
 
 
 
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Sa. 28.2.2009
 
ich habe vorhin wieder einen Spaziergang gemacht, ging zu Rewe am Blücherplatz, ging im Metro auf Toilette, trank zwei Tassen Kaffee, eine war entkoffeiniert. Ich Lars ein paar Artikel in der „SZ". Um 11:15 Uhr verließ ich das Metro, entschied mich dazu, beim Antiquariat Eschenbach noch ein Buch zu kaufen. Ich kaufte mir 2 kurz Grammatiken: Spanisch und Russisch, je für 1,50 €. Auf den Tresen lag auch ein Pitigrilli Buch, dessen Titel ich noch nicht kannte. Es heißt betrüge mich gut". Ich fragte Herrn  Eschenbach, ob er mir die drei Bücher, insgesamt 5 €, etwas billiger lassen könnte. Mit ihm war nicht zu handeln. Ich verwies auf einen Knick im Einwand des Pitigrilli-Buches, sagte: „Bei Pitigrilli ist das immer so eine Sache, einige Sachen sind später noch einmal unter einem anderen Titel erschienen. „Vegetarier der Liebe" hieß früher
 

 
 
 
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„Yvette gibt Französischunterricht". Als ich das sagte, drehte sich eine Frau zu mir um, die gerade in einem der Regale links von der Kasse stöberte. Ich bezahlte 5 €, als ich ging, erkannte ich Rechtsanwalt Kruska, der im vorderen Bereich des Antiquariats stand. Er sagte: „Guten Tag Herr Scheller!" ich antwortete mit „Guten Tag". Ich war schließlich zu spät zurück auf der P4. Auf dem Weg sah ich noch die junge Frau, die zu meiner Anfangszeit im Zimmer an der Pförtnerloge saß. Sie ging mit ihrem Hund  Gassi. Sie ging erst auf mich zu, drehte sich um und wollte (sich) wohl mit einer orangenen Tüte Hundekot entfernen. Ich war um 11:43 Uhr zurück auf der P4. Die Wachhabende tadelte mich gleich, sagte, dass sie das notieren werde, dass ich zu spät kam. Ich sagte: „Wenn ihr so harte  Maßstäbe ansetzt, müsst ihr die Patienten auch vernünftig über die Hausordnung informieren. Die Frau
machte sogleich ihre Notizen. Sie sagte mir auch
 
 

 

 
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die Zettel in der Vitrine mit einer Mindesthausordnung. Die hielt ich nicht für ausreichend, denn darauf stand zum Thema Pünktlichkeit bei Ausgängen nichts. Sie zeigte auf den Zeitplan für die Mahlzeiten, berief sich darauf. Ich sagte noch: „die preußischen Sekundärtugenden scheinen hier wichtiger zu sein als die Patienten“. Ich aß Eintopf zum Mittag. Der Nachtisch fehlte wieder, wurde wohl entwendet oder speziell für mich gar nicht erst bereitgestellt. Ich machte kein Drama daraus. Nach dem Essen erhielt ich meine Tablette. Die hätte ich jedoch nachdem Frühstück bekommen müssen. Doch das hatten die
vergessen. Ich werde hier sowieso behandelt wie ein seniler Rentner. Die eine Schwester, die mit mir zum Zahnarzt ging, sagte zu mir, als ich sie kennenlernte und ich mich beschwerte: „Machen sie nicht gleich einen Tanz mit mir!" oder so ähnlich. Irgendwo ist der Wurm drin. Das Cover des Pitigrilli-Buches kommt mir übrigens
 
 
 

 
 
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bekannt vor. Ich fragte nach dem Essen den einen Pfleger, ob die hier eine Art Stationsbuch hätten,  dachte dabei unterbewusst an das Klassenbuch in der Schule. Der Pfleger sagte, jeder Patient hätte eine Patientendokumentation, in die die Pfleger Einträge vornähmen. Ich fragte weiter, er sagte für jeden Patientin würde in jeder Schicht ein Eintrag vorgenommen. Das heißt, es gibt pro Patient drei Einträge. In diese Dokumentation wurde sicher auch der Eintrag wegen meiner Verspätung gemacht. Ich finde das Zip funktioniert wie ein Polizeirevier mit Klinikbetten. So ähnlich sagte ich das auch Fr. Dr. Folgmann. Sie sagte daraufhin: „Das höre ich gar nicht gerne!" ich berief mich in dem Gespräch auf den Sozialwissenschaftler Cooper (Tod der Familie) aus Südafrika, der die Psychiatrie mit Gefängnis und Polizei verglich. Jedenfalls bekam ich heute meine morgendliche Risperidon erst um kurz nach 12 Uhr. Die Behandlung der Patienten hier im Zip 
 
 


 _ftnref1">[1] Recherchesystem in der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft


Anmerkung von Koreapeitsche:

Fortsetzung folgt

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