Der resignierte Professor

Bericht zum Thema Arbeit und Beruf

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  ARBEIT UND BERUF

Er war ein Professor, der bei aller politischen Cleverness letztlich doch an objektive Begriffe glaubte. Deshalb konnte oder wollte er nicht sehen, dass diese immer nur Kristallisationen dominanter Strömungen waren. Formelhafte Verkürzungen von Überzeugungen für die gemeinsame Laufrichtung einer Hammelherde von Kollegen seiner Fachrichtung.
Begriffe wie Kommunikation, Partizipation, Emanzipation, Gleichberechtigung der Geschlechter, die einst vor Energie vibriert haben, waren zum Dauersprech fast Aller geworden. Nach einem semantischen Orgasmus hatten sie allerdings immer mehr ihre Magie verloren. Stattdessen kehrten Begriffe wie Leistung, Anstrengung, ja sogar Elite zurück, welche schon lange als tot erachtet wurden. Sie zeigten sich in gespenstischer Lebendigkeit wieder.

Heute muss Professor Altmann konstatieren, dass in zunehmendem Maße der digitale Erregungszirkus die Meinungsbildung  befeuert. Die überregionalen Zeitungen und die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten verlieren an Bedeutung. Private Sender und Internetdienste pflegen ihre eigenen Fan- und Anhängerkreise. Die großen Streamingdienste fischen die Daten ihrer Nutzer ab und ermitteln so, was diese wirklich wollen, ehe sie es womöglich selbst wissen.

Mit der Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeiten beginnt Professor Altmanns emanzipatorisch-linke Einstellung zu wanken. Rechtskonservative bestimmen zunehmend die Agenda. “Wahrheiten“ kommen nicht mehr in einem gesellschaftlichen Diskurs zustande, um in einen Konsens zu münden. Eher dominiert eine Lust am Dissens bis hin zu Hetzkampagnen. Temporäre Aktionen aktiver Gruppen mit gemeinsamen Zielen können schnell über das Internet organisiert werden. Je nach politischer Couleur im positiven oder negativen Sinne.

Der Glaube, Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit im klassischen Sinne einzuebnen und eine soziale Gerechtigkeit über staatliche Maßnahmen zu erreichen, ist den Menschen abhandengekommen. Das Versprechen vieler Ökonomen, dass Vollbeschäftigung durch staatliche Investitionsprogramme herbeigeführt werden kann und dann angemessen entlohnte Arbeitsplätze für alle entstehen, hat sich nicht bewahrheitet. Dass mit dem Fortschritt die Spaltung in Reiche und Arme sich von selbst überwindet hat sich nicht erfüllt. Im Gegensatz führte das durch die Globalisierung völlig entfesselte, international agierende Kapital in zunehmendem Maße dazu, dass weite Teile der Arbeitswelt entwertet, in den Niedriglohnbereich gedrängt wurden und weiter werden. Abgehängte sind nicht mehr mit der alten Arbeiterklasse identisch. Die Chefs der Internetgiganten sind sowohl Milliardäre als auch Arbeitende. Diese Globalisierungsgewinner sind nicht mehr nur im klassischen Sinne Kapitalisten mit Fabriken, sondern im Internet reich gewordene meist junge Leute mit klugen Ideen.

Aus diesen Erkenntnissen heraus beschließt Professor Altmann in seinem letzten Semester nur so zu tun, als ob sich noch etwas in seinem Sinne ändern könnte. Studenten, die das durchschauen, sind befremdet und es erscheinen immer weniger zu seinen Vorlesungen.
Resigniert rettet er sich in seine Pensionierung, obwohl viele Kollegen über die Altersgrenze hinaus weiterarbeiten.

 

Anmerkung

Die meisten Politiker sind in den 70-er-Jahren sozialisiert, so wie auch viele Professoren (Uni Bremen als Bsp. für eine Linksorientierung). Dem könnte man den Prot dieser Geschichte zuordnen. Der Text ist allerdings frei erfunden.
Aktueller politischer Hintergrund:
Die Parteien haben den Kontakt angesichts rasanter Veränderungen zu den Wählern verloren. Ihnen fehlt ein realistischer Bezugsrahmen. Notwendig ist es, die Konflikte in die Politik zurückzuholen. Die Aufgabe aller Parteien ist es, sich daran abzuarbeiten. Das ist mit den klassischen Mustern nicht mehr möglich, wenn unser demokratisches System überleben soll.
Soziologen, Ökonomen und Politologen sind an den Universitäten gefordert, daran zu arbeiten.



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