Erlösung

Kurzprosa zum Thema Abschied

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  PHASEN DES LEBENS (Prosa)

Anlässlich der Beerdigung trafen sich Bruder und Schwester in dem kleinen Ort ihrer Geburt. Sie hatte sich um den Vater bis zu seinem Tod gekümmert.

„Es war doch gut, dass er endlich sterben durfte“, meinte Petra nach der Beerdigung beim Leichenschmaus. Erwin ergänzte: „Ja, gut für ihn und gut für uns. Ihm war ein ungewöhnlich langes Leben beschieden und er hat sich das Altersheim ersparen können.“

An dieser Äußerung fand er eigentlich nichts Besonderes, aber Petra schluckte ihren Frust hinunter. Sie hatte die zeitintensive Unterstützung ihres Vaters oft als eine Sinnlosigkeit erlebt, sodass Erwins Worte Gewicht bekamen. Jedes einzelne Wort. Natürlich war sie als Frau diejenige, die sich ständig um ihren Vater kümmerte. Ihr Bruder hatte sich weitgehend rausgehalten. Er war ja der Mann, der seine Familie ernähren musste, sie die ledige Schwester. 

Petra beschloss, endlich ihr eigenes Leben zu leben. Als die Obstbäume blühten, die Vögel das Frühjahr begrüßten und die Bienen summten, machte sie eine Entdeckung. Sie konnte endlich aufhören zu denken, die Sorgen und das ewige Geschnatter im Hirn kamen zur Ruhe. Plötzlich wurde alles möglich. Sie hatte Zeit für die Meditationen, die sie schon vor vielen Jahren betrieben hatte, und konnte nach ihrem Rhythmus leben.

Viele Dinge faszinierten sie, Treibholz und Muscheln am Strand und vom Wasser blankgewetzte Steine. Eines Tages fand sie einen polierten mit einer merkwürdigen Äderung - in der Form ähnlich einem Fötus. Sie setzte sich an den Uferrand, blieb dort längere Zeit und musste plötzlich weinen. Zunächst wollte sie ihn mit nachhause nehmen, warf ihn dann aber zurück in die Wellen.

Auf dem Heimweg dachte sie, dass es Dinge gibt, die man nicht verstehen, aber ahnen kann.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (07.02.23, 05:56)
"und er hat sich das Altersheim ersparen können.“

Sie war es, die es ihm erspart und dafür ihr eigenes Leben geopfert hat. Ihr Vater hätte dies nicht annehmen dürfen!
Für eigene Kinder ist es wohl nun zu spät.

 uwesch meinte dazu am 07.02.23 um 15:18:
Es ist wohl schwer für einen Vater, das nicht anzunehmen.
Dane dir für Deine Empfehlung und LG Uwe
Agnete (66)
(07.02.23, 13:09)
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 uwesch antwortete darauf am 07.02.23 um 14:37:
Es ist sicher immer sehr schwierig, eine gute Lösung zu finden. Meine Mutter hat sich völlig gesund in einer depressiven Stimmung selbst umgebracht. Mein Vater hatte sich lange davor eine jüngere Frau genommen und zog nach Baden-Baden. Da das am anderen Ende der BRD geschah und ich in Hamburg berufstätig war, konnte ich natürlich nicht konkret helfen, war sozusagen aus dem Schneider und war froh darüber - so hart wie das jetzt auch klingt.
Meist sind es ja die Frauen, die gefordert sind.
Dank für Deine Empfehlung und
LG Uwe

Antwort geändert am 07.02.2023 um 14:38 Uhr
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