Aron wollte geliebt werden

Erzählung

von  uwesch

Aron öffnete verschlafen die verglaste Tür zur Terrasse seiner Penthauswohnung, räkelte sich energisch, um endlich wach zu werden. Seine Frau Sarah würde Punkt 8.00 Uhr aufstehen und den Kaffee zubereiten. Er mochte es besonders gern, wenn sie es per Hand tat, so wie früher, als sie noch keine Kaffeemaschine hatten.
Nach ein paar Dehnübungen betrat er wie jeden Morgen um 8.15 Uhr die Großraumküche mit moderner Essecke und schaute zu wie seine Frau vorsichtig einen Becher aus dem Schrank über der Spüle nahm, mit sanftem Schwung auf den Tisch stellte und dann den Kaffee einschenkte. Er hatte ihr beigebracht die genau richtige Menge Zucker mit dem Teelöffel in der rechten Hand aus der Zuckerdose zu entnehmen und in den Becher einzustreuen, um eine möglichst zitterfreie und exakte Portionierung zu gewährleisten. Doch dieses Mal nahm sie den Löffel in die linke Hand. Warum tat sie das?
Er schaute sie fragend an.
Mit einem breiten Grinsen warf sie ihm ein Lächeln zu und sagte mit leicht sonorer Stimme:
„Guten Morgen“, und streute den Zucker in den Becher, genau in der Dosierung, die er in dem dunklen Getränk so liebte.
„Danke, aber warum machst du das heute andersherum?“, sagte er und setzte sich an den Tisch.
„Ich möchte etwas Abwechslung und die Feinmotorik beider Arme und Hände trainieren“.
„Ach so, es scheint ja gut zu klappen“.
Er lehnt sich zufrieden zurück, dass es auch so herum funktioniert hat.
Ernster geworden sagt er:
„Aber wir müssen einmal grundsätzlich miteinander reden“.
„Also?“, fragte sie nach einer kleinen Pause und legte ihre Stirn in sehr gerade Falten. Die Gesichtshaut wirkte ansonsten glatt. Ein Kratzer auf der linken Seite ihres Kinns, der ihn offenbar nicht störte, zeigte keinerlei Röte, so als wenn nie Blut geflossen wäre.

Arons erste Frau Sarah war manisch-depressiv, wie auch schon ihre Mutter. Ein Familienproblem, das schon ihre Kindheit belastet hatte. Sie konnte sehr vergnügt sein, aber die immer wiederkehrende bodenlose Traurigkeit hatte sie fertig gemacht. Alles Licht, alle Freude, alle Energie waren dann aus ihrem Leben gewichen, so als wenn jemand einen Stöpsel herausgezogen hätte. Deshalb hatte sie sich vor einigen Jahren eine Überdosis Insulin gespritzt. Er schwor sich, nur noch eine neue Beziehung mit einer perfekten Frau einzugehen, wollte nicht, dass ihm so etwas noch einmal passierte.
Als Softwareentwickler für Künstliche Intelligenz nahm ihn seine Arbeit voll in Anspruch. Oft kam er erst bei Tagesanbruch ins Bett, wenn ihm die Aufgabe des Modellierens der inneren Mechanik seiner Roboter völlig in Anspruch nahm und er Chips für ihre Steuerung und die entsprechende Software entwickelte.
Die Bewegungsabläufe funktionierten inzwischen so vortrefflich, dass er ein neues Projekt in Angriff nahm. Er tat einen Hersteller künstlich hergestellter Menschenabbilder in China auf. Ziel war es, in die importierten, lebensecht mit Echthaar gestalteten Körper Mechaniken und eine intelligente Software zu integrieren, so dass diese Wesen nicht mehr von echten Menschen zu unterscheiden wären.
Inzwischen war er soweit, dass die Augen einer weiblichen Kopie blinzeln und strahlen, wenn gewünscht sogar traurig schauen und mit den Wimpern klimpern konnten. Diese Bewegungen klappten perfekt. Auf Berührungen reagierten die hautechten Körperteile sehr sensibel. Selbst die erotischen Zonen arbeiteten wunschgemäß.
Eines Tages beschloss er, das Abbild seiner verstorbenen Frau bei seinem chinesischen Lieferanten in Auftrag zu geben. Das Ergebnis war perfekt.
Bei seinen Urlaubsflügen mit Sarah musste er natürlich einen Extraplatz buchen, doch keiner merkte, dass ein Avatar neben ihm saß.
Doch Aron war noch nicht zufrieden, wollte immer mehr, mit seiner Frau das Gefühl bekommen, dass sie ihn wirklich über alles liebte. Intelligente Gespräche über das Alltägliche hinaus konnte er schon mit ihr führen. Aber das reichte ihm nicht.

Er stellte die alles entscheidende Frage: „Liebst du mich eigentlich von ganzem Herzen?“
„Ich bemühe mich. Aber wie soll ich das besser und intensiver tun? Ich gehe sehr vorsichtig mit dir um, aber ich habe kein Herz.“
Sie lächelte, wobei sich der Kratzer auf der makellosen Silikonhaut leicht verzog.
Er lächelte verständnisvoll zurück:
„Ich habe dir im letzten Monat ein Herz installiert, aber vermutlich funktioniert der Gefühlsmechanismus noch nicht, meine Liebste. Ich werde nächste Woche mit einer Reiki-Spezialistin sprechen und ergründen wie die Zusammenhänge von Körperfunktionen und Gefühlen genau funktionieren“.
„Ja Aron, tu das. Ich freue mich.“

Nach dem Gespräch mit der Spezialistin, in die er sich nebenbei sofort verliebt hatte, was er aber nicht zeigen mochte, arbeitete er drei Monate lang täglich zwölf Stunden in der Werkstatt, sowohl an der Verbesserung des Herzmodells als auch der Körperfunktionssoftware. Das mechanische Pulsen hatte er weitgehend gelöst, nur mit der Softwaresimulation der Gefühle wie Erregung und Freude klappte es noch nicht so recht. Schmerz, Wut und Angst beabsichtigte er auf keinen Fall bei Sarah zu installieren. Späteren Kunden seiner Avatare würde er auch diese Gefühlssimulationen anbieten, wenn sie es denn unbedingt wollten.

Heute hat er Sarah in Narkose versetzt, d.h. ihre Software gestoppt, das neue Herzmodell eingesetzt und die weiterentwickelte Software geladen.
Als sie erwacht, setzt sie sich auf, strahlt ihn an und säuselt:
„Aron, ich liebe dich“.
Nachdem sie sich ganz erhoben hat, stellt sie sich vor ihn hin und ein plötzlich lodernder Blick trifft ihn voll ins Mark. Sie hebt blitzschnell ihren linken Arm und knallt ihm mit voller Wucht die Hand auf die rechte Wange, so dass er zu Boden geht und beim Aufschlag auf die Fliesen die Besinnung verliert.
Mit schallendem Gelächter verlässt sie den Raum, ruft einen Notarzt an und bucht über das Internet einen Flug nach Ilulissat auf Grönland über Kulusuk auf Island, um endlich das Wesen der Kälte kennenzulernen.
Sie nimmt ein Taxi zum Bahnhof, dann den Zug nach Frankfurt, übernachtet im Flughafenhotel und checkt am nächsten Morgen ordnungsgemäß am Terminal ein. Glücklicherweise war der Nacktscanner defekt und die Tastkontrolle lief ohne Probleme. Dafür war sie ihrem Schöpfer sehr dankbar.

Als Aron in der Intensivstation erwacht geht ihm als erstes der Gedanke durch den Kopf, ob sich seine Sarah geändert hat - seitdem sie die Überdosis Insulin gespritzt hat. Würde sie es wieder tun? Soll ich ihr erklären, dass sie sich schon vor Jahren das Leben genommen hat? Oder ist es meine Aufgabe, Sarah zu töten, die so nie gelebt hat?



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (07.04.23, 07:48)
Wie weit kann KI gehen? Übertölpelt sie am Ende ihre Erfinder? Dieser Frage geht die Erzählung nach. Geschickt in szene gesetzt.

 uwesch meinte dazu am 07.04.23 um 14:06:
Dank Dir für das Lob und die Empfehlung :) 
LG Uwe

 Beislschmidt (07.04.23, 09:58)
Ein guter Text Uwech, der die tiefere Bewusstseinsebene des Menschseins gut und zwiespältig darstellt. Die KI kommt sogar menschlicher rüber, als der Mensch selbst.
Technisch gesehen, frage ich mich, wie das bei der Flugkontrolle und dem Metalldetektor funktioniert. 
Beislgrüße

 uwesch antwortete darauf am 07.04.23 um 14:07:
Du hast die wesentliche Botschaft erfasst.
Danke für Kommi und Empfehlung und LG Uwe

 diestelzie (07.04.23, 11:58)
Es ist ein bisschen gruselig, weil die Grenzen verschwimmen bzw. überschritten werden. Aber ich mag es genau deswegen. 

Liebe Grüße 
Kerstin

 uwesch schrieb daraufhin am 07.04.23 um 14:18:
Na ja - es kann einem schon mal gruselig werden bei der Entwicklung von Informationstechniken.
Ich bin das erste Mal in meinem Leben während meines Ingenieurstudiums als Zwanzigjähriger mit einem Prozessrechner des Erfinders Zuse (ein Deutscher) in "Kontakt" gekommen. Die Programmiersprache hieß bezeichnender Weise PROSA, was bedeutete "Programmieren mit symbolischen Adressen". Da lernt man so eine Maschine in seiner Logik gut kennen.
Später wurden dann problemorientierte Sprachen wie Algol, Fortran und Cobol entwickelt, die es für den Anwender einfacher machten seine komplexeren Aufgaben mit der Maschine zu lösen.
Heutzutage sind die Compuer um ein Vielfaches schneller und im Hinblick auf die Komplexität der zu lösenden Augfgaben wesentlich leistungsfähiger und kaum noch wegzudenken.
Dank für Deinen Kommi und die Empfehlung
LG Uwe

Antwort geändert am 07.04.2023 um 14:18 Uhr

 AngelWings (07.04.23, 13:53)
Das Aron, sowas hin bekommt? Denn ich kenne könnte es, aber als Avatar in spiele. Games können
alles so real aus sehen!

 uwesch äußerte darauf am 07.04.23 um 14:20:
Danke und LG Uwe
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