Auf Kante

Erzählung

von  uwesch

Manchmal kommt er sich in seinem Job vor wie eine Maschine. Immer dieselben Handgriffe, dieselben Gedanken, dieselben Sprüche beim Zusammensein mit Kolleg*innen. In der Freizeit mit Freunden und Bekannten werden die Smartphones gehätschelt, es sei denn man durchkrault gerade eine Bahn im Schwimmbad. Bei ihm konnte sich das allerdings nicht zu einer Art Liebesbeziehung entwickeln, denn er verweigert den Besitz eines Smartphones. Doch wenn er mit mehreren Leuten zusammensitzt, meldet sich irgendein Gerät oder es werden die neuesten Bilder -  meist von erbärmlicher Qualität - herumgezeigt. Interessante Gespräche können zu seinem Leidwesen so kaum mehr geführt werden.
Die Gefühle gegenüber diesen Smartphones und auch anderen informationsverarbeitenden Maschinen haben inzwischen eine breite Spanne erreicht. Das geht von Angst über Liebe bis hin zu Hass oder Langeweile aus Desinteresse.

Immer mehr Menschen werden von softwaregesteuerten Maschinen abhängig, berufsbedingt oder/und teils freiwillig privat. Ein eklatantes Beispiel waren zwei abgestürzte Boeing-Maschinen aufgrund eines Softwarefehlers, der die Flugzeuge beim Start nach unten drückte, ohne dass die Piloten eingreifen konnten. Alle Insassen starben. Beim Gebrauch eines Smartphones ist die Sterbewahrscheinlichkeit individuell betrachtet geringer. Doch immer öfter sieht er Leute damit am Steuer eines Autos, die dann selbst Schuld haben, wenn sie wegen Ablenkung einen Unfall bauen. Aufs Smartphone Starrende übersehen beim Überqueren einer Straße ein Auto, stolpern über einen Kantstein oder rennen gegen einen Laternenpfahl o.ä., so dass es üble Verletzungen bis hin zu tödlichen Unfällen geben kann.

Er fragt sich, wie die Entwicklung laufen wird, wenn selbstfahrende Autos per Software gesteuert werden. Was passiert, wenn der Funkkontakt abreißt oder gestört wird? Was, wenn die Softwaresteuerung im Auto von außen manipuliert wird? Wie soll reagiert werden, wenn plötzlich jemand über die Straße läuft? Es wird Unfälle mit Toten geben.
Er weiß aus eigener Erfahrung, dass es keine völlig fehlerfreie bzw. jeden unvorhergesehenen Fall erfassende Software gibt. Je komplexer eine Aufgabe ist, desto wahrscheinlicher sind Fehler. Bis ein Programm ausgereift ist, kann es sehr lange dauern.

Wenn er seine Gedanken fortschreibt, so werden sicher Entwickler versuchen künstliche Wesen zu schaffen, die ihm ethisch überlegen sind und nach exakt moralisch vorgegebenen Wertmaßstäben handeln. Dann wird er politisch und menschlich ruhiggestellt und sich systemkonform verhalten müssen.
Heute agiert er noch als Mensch, der es mit Regeln nicht immer so genau nimmt. Um sozial halbwegs zurechtzukommen schönt er gern mal Dinge, diffamiert andere Menschen oder lügt gar. Das erachtet er als zutiefst menschliche Verhaltensweisen. Für seine eigenen Schwächen und die seiner Mitmenschen, die er liebt, hat er natürlich viel Verständnis. Das wird dann sicher irgendwann schwieriger, wenn die Informations-Maschinen einschließlich der Roboter immer mehr Macht übernommen haben.


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Kommentare zu diesem Text


 diestelzie (10.04.23, 10:01)
"Und der Mensch heißt Mensch
weil er irrt und weil er kämpft
und weil er hofft und liebt
weil er mitfühlt und vergibt."

Treffender als Herbert Grönemeyer kann man wohl das Menschsein nicht beschreiben und mir fiel das als passender Kommentar zu deinem Text ein. Wie lange wir noch Mensch sein können weiß ich allerdings auch nicht. Die Technik wird das irgendwann wohl nicht mehr zulassen.

Liebe Grüße
Kerstin
kipper (34) meinte dazu am 10.04.23 um 11:40:
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 uwesch antwortete darauf am 10.04.23 um 14:30:
Hallo Ihr Beiden,
Klar, neu entwickelte Technik hat Vor- und Nachteile, die jede*r für sich abwägen muß. Allerdings sollte man immer auch die gesellschaftlichen Auswirkungen, die bei  Neuentwicklungen auftreten (können) mit bedenken. Die Hersteller wollen natürlich Profit machen, was ja legitim ist. Es kommen leider auch sehr viel unsinnige Produkte auf den Markt, die unnötige und knappe Ressourcen verbraten.
Danke für Eure Kommentare und Deine Empfehlung Kerstin

P.S.: Übrigens, wenn ich mal einem Protagonisten die ICH-Form gebe, muss das nicht unbedingt meiner persönlichen Meinung entsprechen - ist literarisch durchaus gängig, um eine intensivere Betroffenheit beim Leser zu erzeugen.
LG Uwe
LG Uwe

Antwort geändert am 10.04.2023 um 14:32 Uhr
kipper (34) schrieb daraufhin am 10.04.23 um 17:30:
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 uwesch äußerte darauf am 10.04.23 um 18:06:
O.K. Ich habe den Text umgeschrieben und lasse ihn (irgendeine männliche Person) im Textsinne agieren.
Zwei Seiten einer Münze müssen nicht unbedingt beschrieben werden. Sie kann auf einem Tisch oder dem Fußboden liegen und ich betrachte nur eine Seite, weil sie mich fasziniert oder sie mehr glänzt - so what.
Danke Dir für die ausführliche Auseinandersetzung und einen schönen Abend.  LG Uwe
kipper (34) ergänzte dazu am 10.04.23 um 23:49:
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 uwesch meinte dazu am 11.04.23 um 08:18:
Die Differenzierung auf GUT und BÖSE zu reduzieren ist mir meistens zu simpel. Die Probleme liegen sehr oft in Details, sind komplexer
Wer ist denn nun Talja? Ich heisse immer noch Uwe.
kipper (34) meinte dazu am 11.04.23 um 09:51:
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