Nachforschungen

Kurzprosa zum Thema Kinder/ Kindheit

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  PHASEN DES LEBENS (Prosa)

Meine Lebenszeit verstreicht und ich erinnere mich zunehmend an die Menschen, die ich einst kannte. Einige würde ich gern noch einmal wiedersehen, über alte Zeiten sprechen. Selbst dann, wenn ich mit ihnen im Streit gelegen hatte. Was macht es schon, dass wir uns damals uneins waren? Wenn genug Zeit verstrichen ist, relativiert sich Vieles.

Bei Nachforschungen für den Wunsch nach einer Kontaktaufnahme muss ich dann leider oft feststellen, dass einige Menschen nicht mehr leben. Besonders traurig stimmt mich der Tod meines Jugendfreundes und Schulkameraden Gerd. In seinem offenen Gesicht war jeder Gedanke sichtbar, so wie ein See jedes Wetter widerspiegelt. Irgendwann stritten wir uns, ich geriet in Wut und verhaute ihn. Die Freundschaft war vorbei. Dann Latze, der mich immer wieder zu verbotenen Aktionen animierte, wie zum Beispiel dem Klauen von Metallgegenständen vom Schrottplatz am Hafen. Ich musste ihn heimlich treffen, weil meine Eltern den Kontakt missbilligten. Unvergesslich meine erste Freundin Anne, eine Fischerstochter, die ihrer Mutter Geld klaute, damit wir Spielzeug kaufen konnten. Mit der ich im Winter riskante Schlittenfahrten in unserer steilen Gasse mit der vereisten und gefährlichen Kurve zelebrierte. Damit konnte ich ihr ganz nebenbei imponieren und beweisen, dass man nicht unbedingt aus der Kurve getragen und gegen die Hauswand prallen musste. Sie fuhr nur noch mit mir Schlitten.

Am schwersten ist es, das Verstreichen der Zeiten hinzunehmen, die mir einst viel bedeutet haben. Sie kommen mir heute vor wie eingehegt in Gedankenstriche.



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (11.05.23, 07:11)
das vergehen ist die gabe der zeit
deren annehmen kaum eine/r bereit.
lg vom harzer

..."die zeit sie ist ein nagetier
ihr zahn der nagt ja nicht nur hier
nein allenthalben schon seit je
an allem ach herrjemine
insonderheit am leben -
mag ihr das wer vergeben?

nein, ihr vergehen öffnet für
antipathie voll tor und tür
bis in des wesens tiefe
auf daß es sich verliefe
wovon einst nietzsche hellwach sprach
der mit viel überkomm'nem brach:
„Der Geist der Rache...war bisher der Menschen bestes Nachdenken - des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr »Es war«.“ (Also sprach Zarathustra)"

https://keinverlag.de/449659.text

 uwesch meinte dazu am 11.05.23 um 10:05:
:)   Vergeben will gelernt sein. Danke Dir.
LG Uwe

 AchterZwerg (11.05.23, 08:58)
Ach ja,
das geht mir oft genauso.
Weil ich häufig umziehen musste, verlieren sich leider viele Spuren.
Liebe Grüße
der8.

 uwesch antwortete darauf am 11.05.23 um 10:07:
Ein Umzug bietet auch immer durch das Loslassen die Chance für einen Neuanfang.
Dank Dir für Kommi und Empfehlung. LG Uwe

 Beislschmidt (11.05.23, 09:33)
Hey Uwech,
Schön, deine kleine Story, deshalb rate ich ab dem gefährlichen Rentenalter von Klassentreffen ab. Es macht Mühe die dort auslaufende Mannschaft von Gesicht und Statur den damaligen "Helden" zuzuordnen, von den politischen Ansichten ganz zu schweigen. Den Aufgalopp der Pharisäer mit Gehhilfen muss ich nicht unbedingt haben.
Beislgrüße

Kommentar geändert am 11.05.2023 um 09:34 Uhr

 uwesch schrieb daraufhin am 11.05.23 um 10:10:
Ich gehe schon lange nicht mehr auf Klassen- und Semestertreffen, weil es mich anödet, wenn die Leute von ihren "Erfolgen" berichten. Außerdem wohne ich weit weg von Hamburg, wo die meisten noch wohnen.
LG Uwe

 Dieter_Rotmund (11.05.23, 13:07)
Nicht schlecht, der Teil mit Anne könnte ausführlicher sein, wenigstens etwas...
kipper (34) äußerte darauf am 11.05.23 um 13:44:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 uwesch ergänzte dazu am 11.05.23 um 14:18:
Dieter: Dank für Deinen Kommi. Ausführlicheres über Anne findest Du im Text <Hausarrest> ebenfalls in diesem Sammelwerk „Phasen des Lebens (Prosa)“. Ich wollte mich da nicht wiederholen.
 LG Uwe

Kipper: Viele Menschen hören im hohen Alter oft nicht mehr zu, labern sich nur noch ab. Es wird schwieriger, ein interessanteres Gespräch zu führen. Im Internet - wie hier im Forum - ist das Klima dafür besser. Man kann sich die Leute aussuchen, mit denen es Spaß macht und intellektuell herausfordert.
LG Uwe


Antwort geändert am 11.05.2023 um 14:49 Uhr

Antwort geändert am 11.05.2023 um 14:53 Uhr

 Moja (11.05.23, 17:22)
Diese Gedanken treiben mich auch immer öfter um, Uwe, das hast du gut beschrieben. Schade, dass ich früher nicht "klüger", geduldiger, nachfragender war, denke ich manchmal.

In diesem Sinne sei herzlich gegrüßt,
Moja

 uwesch meinte dazu am 11.05.23 um 19:04:
Ich denke, dass es immer ein Entwicklungsprozess ist. Wäre es nicht irgendwie auch schlecht, wenn man schon sehr früh in seiner Jugend alles schon einordnen könnte? Jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen machen und ist gut dran, wenn sein Umfeld (Eltern, Schule etc.) das unterstützt. Ansonsten wäre doch ein Leben vielleicht etwas eintönig, wenn man schon alles von Geburt an wüsste. Man sollte nur aufpassen, dass man nicht zu sehr ins Hadern mit sich kommt. Die Ausgangsbedingungen hängen natürlich stark vom Umfeld ab, wie und/oder ob man wohlwollend begleitet wird.
Dank Dir für Kommi und LG von Uwe

 Verlo (11.05.23, 17:45)
Falls es einen Automatismus gibt, ab ungefähr 80 Lebensjahre sich entsprechend zu fühlen, möchte ich gern deutlich vorher diese Welt verlassen.

Oder hat man diese bereits früher und sie werden mit dem Alter stärker?

 uwesch meinte dazu am 11.05.23 um 19:17:
Das kommt ganz darauf an, welche (Selbst-)Erfahrungen ein Mensch gemacht hat. Es wird natürlich vom Umfeld (Eltern, Lehrern, SchülerInnen etc.) abhängen. Und ob sich jemand auf Selbsterfahrungsprozesse einlassen mag, wobei häufig erst mal Ängste überwunden werden müssen.
Im Alter geht´s dann irgendwann in Richtung Demenz - dann wird es sicher schwieriger und man muss sich gegebenenfalls Unterstützung holen. Z.Zt. leben wir allerdings in einem Unterstützungsnotstand, denn die Angebote decken bei weitem nicht die Nachfrage.
Meine Mutter hat sich "rechtzeitig" per Suizid schon mit 70 verabschiedet. In der BRD wird der Wunsch nach einem vorzeitigen humanen Ende nicht unterstützt. Da bleibt dann nur noch die Schweiz.
Dank Dir für Deine Empfehlung und 
LG Uwe

Antwort geändert am 11.05.2023 um 19:20 Uhr

Antwort geändert am 11.05.2023 um 19:20 Uhr
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