Geschichten aus dem Punkhexenhaus: Die Legende vom Alkoholschiss
Kurzgeschichte zum Thema Wunder
von Koreapeitsche
Auch wenn die Legende vom Alkoholschiss im Punkhexenhaus noch spätere Generationen beschäftigen wird, soll vermieden werden, dem Alkoholschiss mit dieser Geschichte ein Denkmal zu setzen.
Das Punkhexenhaus hätte theoretisch überall stehen können, in den Schweizer Alpen, im Australischen Outback, in den Rocky Mountains, doch es stand in F*cking Dänischenhagen nördlich von Kiel. Es war mal eine Party in ebendiesem Punkhexenhaus. Da kamen Punks von nah und fern, um sich einen zu brennen und brandaktuellen Punk zu hören. Die Nacht wurde exzessiv. Es wurde gefeiert, gequatscht und gebaut. Eine Großzahl der Gäste blieb über Nacht und schlief in Betten, auf Couchelementen im Übungsraum, auf dem Teppich, auf Gartenliegen oder in der Stube auf dem Sofa. Es wurde viel eingedreckt und am Ende lagen Partytrümmer herum. Das war alles nicht dramatisch. Doch am folgenden Morgen setze der Drummer einer Ska-Band einen unfassbaren Alkoholschiss in die einzige Toilette des Hauses, dass er allen nachfolgenden Toilettengängern den Tag vermieste. Der Alkoholschiss stank so bestialisch, dass selbst die Punkszene empört war. Streit brach aus, da der Schuldige gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden musste. Vorerst war die Toilette blockiert. Die Gastgeberin musste sich etwas vor Mund und Nase halten, um in der kontaminierten Toilette zum Fenster vorzustoßen und das Fenster aufzureißen. Das geschah mit Höchstgeschwindigkeit, als drohe Gefahr für Leib und Leben. Sie atmete währenddessen gar nicht. Der Alkoholschiss roch chemisch und hochkonzentriert nach Alkohol und Fäkalien, dass kein Mensch der Erde sich dem beißenden Geruch unbeschadet hätte aussetzen können. Inzwischen hatte der Gestank das halbe Haus erfasst, auch den Partykeller und den Übungsraum, besonders das Wohnzimmer und die Küche. Der Gestank des Alkoholschisses drang durch alle Ritzen und Rillen und war deshalb auf unbestimmte Zeit omnipräsent. Es roch deutlich anders als ein herkömmlicher Bierschiss, wirkte eher cremig-zart als flockig-feucht. Jetzt fingen alle in einer Panikreaktion an, wirklich jedes Fenster im Haus aufzureißen, bis Durchzug herrschte. Doch der Alkoholschiss roch widerspenstig und schien in die Wände und in die Tapete eingedrungen zu sein. Als Antwort auf den stinkenden Haufen nahm die Hausherrin des Punkhexenhauses in einer Panikreaktion die frische Wäsche von der Wäscheleine im Heizungskeller, da sie nicht wollte, dass die Wäsche den Geruch des Alkoholschisses annehmen oder sich verfärben könnte. Die meisten Partygäste gingen zur Mundatmung über, um die Dämpfe des Schisses nicht weiter mit ihren Geruchsrezeptoren wahrnehmen zu müssen. Ein kleines bisschen Kotzreiz wurde durch diesen Fruchtschiss getriggert. Auf der Musikanlage lief weiterhin härtester Punkrock, der wie eine aggressive musikalische Untermalung zum Alkoholschiss wirkte. Es war der Soundtrack zum Alkschiss, die Filmmusik zum Gestank. Unter den Partygästen herrschte Panik und Unbehagen wegen des strengen Geruches und der Frage, wie ein Mensch nur so etwas produzieren kann. Inzwischen erhoben die anwesenden Punks schwerste Vorwürfe gegeneinander und beschuldigten sich gegenseitig, den Alkoholschiss platziert zu haben. Es wurde mit dem Zeigefinger auf den designierten Verursacher des Schisses gezeigt. Alle waren sich einig, dass der Schuldige bloßgestellt und bestraft werden musste. Inzwischen hatte der Alkoholschiss nur wenig an Durchschlagskraft eingebüßt. Es war das pure Grauen.
Der Schäferhund der Gastgeberin, der sonst immer friedlich und still war, wirkte durch den Gestank hochaggressiv und bissig. Doch was machte den Hund aggressiv? War es wirklich der Gestank des Alkoholschisses oder die vom Schiss verursachte Panik im Punkhexenhaus? Bald herrschte pure Verzweiflung, und der Verursacher war immer noch nicht eindeutig identifiziert.
Vorerst traute sich keiner mehr auf die Toilette. Die ersten pinkelten in den Garten gegen die Hecke. Es waren Schreie des Entsetzens zu vernehmen, äh, wie kann man nur so pervers riechen, das ist ja abartig. Was hat der denn gegessen. Das war ja purer Alkohol. Das ist ja unmenschlich. Ich dachte, ich ersticke. Der riecht ja richtig krank.
Es war auch kein Aberglaube, dass von Tapezieren und einem neuen Teppich die Rede war und davon, die Sofaelemente durch neue zu ersetzen.
Einige hielten sich immer noch den Pullover oder ein Halstuch vor Mund und Nase, um den Alkoholschiss nicht frontal einatmen zu müssen. Die Punkmusik erzählte von Tod, Verderben und Desaster. Das passte zur Dimension des Schisses. Die ersten sammelten sich wie bei einer Evakuierungsaktion auf der Terrasse und hielten sich immer noch schützend den Stoff vor die Atemeingänge, denn der Alkoholschiss war überall. Es hatte immer noch kein Punk die Verantwortung für das stinkende Etwas auf sich geladen. Anhand der Spuren in der Kloschüssel muss der Alkoholschiss hellbraun und feinkörnig gewesen sein. Es dauerte über 10 Minuten, bis ein Unschuldiger die Verantwortung übernahm und die Reste des Alkoholschisses mit eine Klobürste wegkratzte. Das geschah bei offener Klotür, weit geöffnetem Fenster, mit vorgehaltenem Halstuch und lauter Punkmusik im Hintergrund. Dazu schrie die Person mehrmals laut äh, igitt und so ein Schwein. Dabei war immer noch nicht eindeutig geklärt, wer für den Alkoholschiss verantwortlich war, denn der Drummer leugnete vehement seine Verantwortlichkeit. Erst nach einem Kreuzverhör musste der Drummer den Alkoholschiss auf seine Schulter nehmen. Nachdem er es schlussendlich zugegeben hatte, für den Alkoholschiss verantwortlich zu sein, wurde er als Perversling, Schwein und abartig bezeichnet.
Der Alkoholschiss, Englisch “alcohol shit“, roch zwar fruchtig-herb und hochkonzentriert nach Alkohol, im Prinzip wie ein Fruchtlikör, Obstler oder Danziger Goldwasser, doch es überwog die Nuance des Fäkaliengeruchs durchdrungen mit einer Schnapsnote. Doch dieser Fäkaliengeruch war unerträglich, nicht so wie Pferdeäpfel oder Kuhfladen, sondern eher wie Verwesung oder bei einem Chemieunglück mit Faulgasen. Der Alkoholschiss roch scheußlicher als eine Leiche nach zwei Wochen in einem geschlossenen, ungelüfteten Zimmer. Die Insaßen des Punkhexenhauses machten bewusst ein Psychodrama daraus, verliehen dem Alkoholschiss mehr Bedeutung, als er tatsächlich besaß, sprachen ihm übernatürliche Fähigkeiten zu, die er nicht hatte, übertrieben dessen chemikalische Parameter und begaben sich in eine Opferrolle, die schlimmer hätte nicht sein können.
Inzwischen hatte der Alkoholschiss seine volle Kraft entfaltet, obwohl er längst weggespült und seine Spuren beseitigt waren. Bei den Reaktionen der Insaßen des Punkhexenhauses wäre ein Außenstehender von einem größeren Unglück ausgegangen oder von einem lokalen Supergau. Die freiwillige Feuerwehr hätte wohl das ganze Haus gesprengt. Der Alkoholschiss war für die einen ein Heilsbringer, der Messias, ja sogar ein Zeichen Gottes, das uns sagte, dass es so nicht mehr weitergehen durfte. Für die anderen war der Schiss das Böse an sich, ein Grundübel, das es zu bekämpfen galt, der personifizierte Teufel, der sein Gesicht in aller Schärfe in der Kloschüssel zeigte. Der Alkoholschiss warf Fragen auf. Sollten Sie den Alkschiss verfluchen oder gar anbeten? Sollten sie vor ihm niederknien und ihm huldigen? War der Schiss diesen Aufriss wert? Hätten sie den Alkoholschiss einfach ignorieren sollen, als hätte es ihn nie gegeben? Wie lange könnte der Alkoholschiss seine Energie im Punkhexenhaus entfachen und am Leben erhalten? Sie hatten den Schiss bereits in ihre Herzen geschlossen und behielten sein Gedenken in ihrem Kopf.
Die ersten bekamen Kopfschmerzen ob des bestialischen Geruches. Ein Punk nahm eine Kopfschmerztablette. Der Bruder der Hausherrin fing an, ein Deospray zu versprühen. Andere rauchten Kette, da sie den Geruch des Alkoholschisses mit Zigarettenrauch bekämpfen wollten. Es wurde preiswertes Parfüm wie Weihwasser verkippt. Ein andere schlug vor, ein Lagerfeuer nahe der Terrassentür zu starten, damit der Rauch ins Haus ziehen und den Alkoholschiss übertünchen könnte. Stattdessen wurde ein Spaziergang über die Felder unternommen, wo der Geruch von Dung und Güllepumpe als vergleichsweise angenehm empfunden wurde, da der Landgeruch dem Alkoholschiss nicht das Wasser reichen konnte. Das gemeinsame Frühstück wurde wegen des Alkschisses auf unbestimmte Zeit verschoben und fand schlussendlich erst am späten Nachmittag statt, als die Luft wirklich wieder rein war. Es blieb während es Frühstücks nicht beim Naserümpfen. Manchmal bildete sich einer der Punks ein, noch Reste des Alkoholschisses wittern zu können.
Ein Alkoholschiss per se ist ja nichts Außergewöhnliches und kommt nicht nur in Punkerkreisen regelmäßig vor, wenn übermäßig Schnaps und anderer Alkohol konsumiert wird. Doch dieser Alkoholschiss war in seiner chemischen Zusammensetzung in seiner Konsistenz und Geruchsintensität einzigartig. Dieser Schiss war schlichtweg die Krönung. Wäre Gestank messbar, hatte er auf einer Richterskale den Höchstwert errreicht oder sogar das Messgerät zerstört. Experten sind sich einig, dass solche Alkoholschisse im Vorfeld vermieden, bekämpft und verhindert werden sollten.
Noch viele Jahre später erinnerten sich die betroffenen Punks aus dem Punkhexenhaus an den Alkoholschiss des besagten Morgens und schüttelten die Köpfe, wenn sie sich den scharfen Geruch des Schisses noch einmal vor Augen führten. Sie waren sich einig, dass es nichts Perverseres geben könnte.
Der Alkoholschiss war keine Begegnung mit Gott. Der Alkoholschiss hatte auch keine heilende Wirkung, ganz im Gegenteil.