Raguhn Jeßnitz

Text zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  GastIltis


Wer sich jetzt auf den partei-politischen Hintergrund orientiert oder einen Bindestrich vermisst, liegt völlig daneben.


Eigentlich haben beide Orte nur zwei Gemeinsamkeiten: sie liegen in Mitteldeutschland an der Mulde und sind benachbart. Aber nicht so, dass auf dem Ortsschild vorn der eine Name steht und hinten der andere, dann wäre es ja vernünftig, nein, sie liegen mehr als eine Rufweite auseinander. Und auch historisch haben sie wenig Gemeinsamkeiten, außer bei Hochwasser. Dass Jeßnitz vielleicht hundert oder mehr Jahre älter als Raguhn ist, sei am Rande erwähnt.

Immerhin kann Raguhn damit aufwarten, dass im Ort ein Liebling der Götter, nämlich der viel zu früh verstorbene Gérard Philipe bei Dreharbeiten zum Film Till Ulenspigel seine Spuren hinterlassen hat, bei dem ich als Geuse eine Fahne schwenken durfte, aber das ist auch schon so ziemlich alles. Bei der Auflistung von Persönlichkeiten muss man tatsächlich auf mehrere preußische Generäle und etliche NSDAP-Größen zurückgreifen, damit nicht ein Maler neben einem Komponisten übrig bleiben!

Dass es in Raguhn ein Außenlager des KZ Buchenwald gegeben hat, wissen nur wenige Einheimische. Und dass eine Gefährtin von Anne Frank, nämlich Auguste van Pels dort am 9.4.1945 ihren Tod gefunden hat, noch viel weniger.


Ganz anders ist es in Jeßnitz/Anhalt: Ein Schriftsteller und Dichter (Hermann Conradi) tummelt sich neben einem Olympiasieger im Kanurennsport (Christian Gille) ebenso wie mehrere Fußballspieler höchster Spielklassen, die dort ihre Wurzeln hatten, so Kurt Seidlitz oder Rudolf Kersten, ohne dass sie überhaupt erwähnt worden sind. Ähnlich ist es mit dem Kunstmaler Gunter Herrmann, der zwar in Bitterfeld zur Welt kam, dessen Eltern aber im Ort einen „Lebensmittelladen“ bis ins hohe Alter hinein führten, während ihr Sohn, neben dem ich zeitweilig im Religionsunterricht gesessen hatte, in Dresden, Pillnitz, Moritzburg und Radebeul studierte und malte. Und auch ein bekannter Journalist und Moderator beim RIAS, Barry Graeves, war ein Sohn der Stadt. Und auch nicht ungenannt bleiben sollte der Dramatiker und Publizist Otto Ernst Hesse, von dem u.a. das Lied stammt:

„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da!“


Ähnlich ist es mit dem langjährigen SPD-Politiker Otto Körting, der während der Weimarer Republik in verschiedenen Funktionen, so auch als Betriebsratsvorsitzender in der Filmfabrik Agfa Wolfen tätig war, (wo auch ich später unter der Betriebsnummer 61317 eine Lehre absolviert habe,) in der Nazizeit jedoch in den KZ Oranienburg und Buchenwald einsitzen musste und nach dem Krieg erster Vorsitzender der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) in Sachsen.Anhalt war, bevor man ihn wieder wegen fadenscheiniger Anschuldigungen einsperrte.

Die Reihe ließe sich ziemlich weit fortsetzen. Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben soll auch unser langjähriger Musiklehrer Thiele, ein ehemaliger Thomaner, in der Grundschule II, die heute den Namen Hermann Conradis trägt, der nicht nur eine traumhaft schöne männliche Stimme hatte, sondern durch seine überragende Musikalität zu überzeugen wusste und insgesamt ein Muster-Beispiel an humanistischer Bildung darstellte.


Was ist schon ein erbärmlicher Typ wie der jetzige AfD-Bürgermeister Hannes Loth dagegen!




Anmerkung von GastIltis:

Empfohlen von: plotzn, AlmaMarieSchneider, Saira.
Die Nacht ist nicht ...

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Kommentare zu diesem Text


 Saira (10.07.23, 17:46)
Lieber Gil,
 
es ist interessant, von dir die geschichtlichen Hintergründe von Raguhn und Jeßnitz zu erfahren.


Dass es in Raguhn ein Außenlager des KZ Buchenwald gegeben hat, wissen nur wenige Einheimische. Und dass eine Gefährtin von Anne Frank, nämlich Auguste van Pels dort am 9.4.1945 ihren Tod gefunden hat, noch viel weniger.

 
Nun wurde der erste AfD-Politiker Deutschlands in Raguhn-Jeßnitz zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt. Die Sorgen wachsen. Haben wir nicht aus der Geschichte des Dritten Reiches gelernt?
 
Sehr nachdenkliche Grüße
Sigi

 GastIltis meinte dazu am 10.07.23 um 22:10:
Danke liebe Sigi, so ist es leider

Haben wir nicht aus der Geschichte des Dritten Reiches gelernt?

Offenbar wohl nicht! Nun weiß ich von meinen Verwandten, dass die hoch über 48 % der Wähler, die gegen den AfD- Kandidaten stimmten, dies nicht rein zufällig gemacht haben, sondern bewusst. Aber die Stimmen für ihn und die hohe Enthaltung reichten eben aus, um ihn ins Amt zu heben. Trotz aller Widersprüche und Verwicklungen. 
Aber wer eben die Entwicklung in den Städten kennt, muss sich nicht wundern. Ein weiteres Beispiel, nämlich Wittenberg, ist für mich viel drastischer, weil die Stadt die Weltgeschichte mit geprägt hat, ohne unbedingt auf Luther und die Kirche eingehen zu wollen. Von der Kunst, Bildung und Wissenschaft der Zeit mit Cranach, Melanchthon, um nur diese zu nennen, bis in die Gegenwart ist soviel an Niveau in dieses Land getragen worden, dass man sich fragt, warum die Weichen heute so gestellt sind, diesen Fluss verebben zu lassen. Und das trifft auf alle umliegenden Städte in ähnlicher Weise zu: Coswig, Bad Schmiedeberg, Bad Düben, Torgau, Gräfenhainichen, Burgkemnitz usw. Es ist schon ein Trauerspiel und es lässt leider noch viel Schlimmeres erwarten. 
Sei dennoch vielmals sehr herzlich gegrüßt von Gil. 
Agnete (66)
(11.07.23, 11:22)
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 GastIltis antwortete darauf am 11.07.23 um 16:23:
Ach Agnete,
wer den Wald vor Bäumen nicht sieht, dem fallen auch die blühenden Landschaften ringsum nicht auf. Vor allem, wenn sie vor lauter Begeisterung voll entflammt sind. Sei vielmals vom wegen der negativen Darstellung der Medien zu den Ereignissen im Osten* genervten Gil gegrüßt.
*Der Osten beginnt kurz vorm Ural!
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