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Text

von  Elisabeth

Innerhalb eines guten Monats hatte sich Niels Matheleistungen dramatisch verbessert. Nach dem, was er abends so von seinem Tag erzählte, war ich davon überzeugt, daß diese Besserung auf Ahmet zurückzuführen war, den Praktikanten in der Betreuung. Der junge Mann hatte meinen Sohn dazu gebracht, sich auch jenseits des Schulstoffs mit mathematischen Themen zu beschäftigen. Es war wirklich schön, daß es so engagierte Jugendliche gab.

"Kümmert er sich um jeden in der Betreuung so intensiv?" fragte ich Niels eines abends beim Essen, als er erzählte, welche mathematischen Probleme er mit Ahmet am Nachmittag besprochen hatte.

"Ne, nur um Niels", erklärte Ole. "Der ist der einzige, den dieser esotische Mathekram interessiert."

"Exotisch", verbesserte ich automatisch. Bei Ole hatte die anfängliche Begeisterung schon nach einer Woche deutlich nachgelassen, weil der Betreuer, obwohl er so ein toller Fußballspieler war, trotzdem darauf bestand, daß die Kinder ihre Hausaufgaben machten. Dann sah ich aus dem Augenwinkel, daß Niels plötzlich rot geworden war. "Hey, es ist doch keine Schande, sich für Mathematik zu interessieren."

"Die anderen machen sich ja auch nicht deshalb über ihn lustig", petzte Ole. "Nicht wahr, mein süßer Schwuli?" triezte er seinen Bruder dann.

"Halt's Maul!" schrie Niels da plötzlich, sprang so heftig auf, daß sein Stuhl nach hinten kippte, und lief aus der Küche. Kurz darauf hörte man seine Zimmertür knallen.

"Das hast du ja fein hingekriegt", tadelte ich Ole und stellte den Stuhl wieder hin. "Warum mußte das denn nun sein? Und worüber machen die anderen sich denn lustig, wenn es nicht die Mathematik ist?" verlangte ich zu wissen.

"Na, weil er immer Ahmet am Rockzipfel hängt. Weil er schwul ist."

"Wieso sollte dein Bruder schwul sein." War Niels nicht noch ein bißchen jung für wie auch immer geartete sexuelle Erfahrungen? Und erst einmal Ole, der konnte doch mit seinen gerade einmal zwölf Jahren noch gar nicht wissen, was er da sagte.

"Ne, Ahmet ist schwul, deswegen machen sich die anderen über Niels lustig. Wir haben ihn mit einem anderen Typen knutschen sehen."

"Ihr habt Niels mit einem anderen Typen knutschen sehen?" vergewisserte ich mich erschüttert.

"Ne", kam es mit himmelwärts verdrehten Augen von Ole, "Ahmet hat mit einem anderen Typen geknutscht. Also Papa, manchmal glaube ich, du bist doch ein bißchen schwer von Begriff."

Nach einem Moment merkte ich, daß mir der Mund offenstand. Die ließen also einen schwulen Praktikanten die Jungs der Mittelstufe betreuen? "Der hat mit einem der Jungs aus der Betreuung geknutscht?" fragte ich endlich schockiert.

"Oh, Papa!" rief Ole aus. "Herrgott! Hör mir doch einmal richtig zu!"

War das nicht mein Spruch? "Ich höre dir sehr aufmerksam zu, junger Mann. Wenn du mir alle nötigen Informationen gibst, verstehe ich sogar, was du sagst", bemühte ich mich um Ruhe. "Also, wer hat wen, wann und wo abgeknutscht?" Zu jedem Fragewort hob ich einen Finger, damit Ole sehen konnte, daß ich vier Eckdaten erwartete.

"Ahmet hat irgendeinen Typen vor dem Schulgelände abgeknutscht, einen Kerl, einen... Erwachsenen halt. Vielleicht hat der ihn hingefahren zur Arbeit oder so."

Eine Frage war noch offen. "Und wann war das?"

"Na, heute Mittag."

"Kam das öfter vor?" wollte ich wissen.

"Hey, woher soll ich das denn wissen? Interessiert mich das?"

"MICH interessiert es", fuhr ich meinen Sohn an.

"Dann frag Niels!" schrie Ole nun zurück. "Den interessiert das auch!" Und jetzt sprang Ole auf, lief hinaus und knallte seine Tür.

"Scheißkerl", entfuhr mir und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich damit eher Ole, Niels, Ahmet oder mich selbst meinte.

*



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