4. Den Wandel annehmen

Text

von  Elisabeth

Die Sättel, von denen jeder in der Uniformausgabe einen erhielt, waren ähnlich wie die Oshey-Sättel gemacht, aber nicht in der typischen Weise mit stilisierten Bildern der Stammestiere verziert. Statt dessen trugen sie an beiden Seiten die gleichen Zeichen, mit denen auch die Betten der Schlafräume gekennzeichnet waren, es war also immer ganz klar, wem welcher Sattel gehörte. Und zur Uniform gehörten tatsächlich auch Stiefel mit fester Sohle und doppelt genähtem seidenen Schaft, so daß er mit den Steigbügeln gut zurecht kommen würde.

Das Lanzen-Training kostete Nefut mehr Energie, als ähnliche Übungen in der Vergangenheit. Der ungewohnte lederne Brustpanzer, den er wie die anderen Panzerreiter tragen mußte, war überraschend schwer und scheuerte bei jedem Schritt des Pferdes über die kaum verheilten Wunden an seinen Schultern und Rücken. Es würde ihn nicht wundern, wenn sich die eher graue als hellblaue Tunika, die er wie die anderen Rekruten unter dem Panzer trug, am Abend als blutdurchtränkt erweisen würde.

Wieso hatte er es für eine gute Idee gehalten, sich anwerben zu lassen? Er fluchte stumm vor sich hin und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als er auf dem großen Platz neben den Ställen der Kaserne mit den anderen Rekruten zum wiederholten Male die Marsch- und Angriffsformationen übte. Immerhin kannte er diesen Drill, wenn auch aus der begeisterten Perspektive eines kindlichen Zuschauers, der wollte, daß sein Vater stolz auf sein kriegerisches Wissen war, weil dies doch den Vater, den viele ehrfürchtig oder furchtsam den Städtezerstörer nannten, vor anderen Männern auszeichnete.

Irgendwie ging der Tag herum, sie brachten schließlich ihre Pferde weg und die Männer aus Nefuts Wannim standen vor ihrem Gehege noch einen Moment beisammen und überlegten lautstark, ob sie sich ihr Essen im großen Saal der Küche besorgen oder lieber ein Bordell in der Stadt aufsuchen sollten.

"Ich halte mein Geld zusammen", erklärte ihr Wanack. "Ich werde in der Kaserne essen und dann das Haus der Hawat aufsuchen."

"Ist das 'Haus der Hawat' nicht einfach ein Ama-Schrein, Renim... äh... Wanack?" fragte einer der anderen.

Renim grinste. "Es ist das Bordell des letranischen Heeres - und viel preiswerter als alles, was man in der Stadt finden kann."

"Aber sind das nicht alles Südlerfrauen in dem Haus?" fragte ein anderer und machte keinen Hehl daraus, das dies nicht seinem Geschmack entsprach.

"Ja, genau, deswegen ist es ja so billig. Es ist für die Frauen Dienst an ihrer Göttin, sich Männern für den Preis des Weihrauchs hinzugeben, den sie dabei abbrennen. Wollen wir zusammen hingehen? Vorher müssen wir dann aber noch ins Bad, es ist ja schließlich ein Gottesdienst." Und er grinste zufrieden.

Nefut hatte vorgehabt, sich nach dem Essen zur Ruhe zu begeben, aber das Bad klang nach dem anstrengenden Tag sehr verlockend. Danach konnte er sich immer noch von der Gruppe absetzen.

*



Letztlich waren es nur sechs Mann der Wannim, denen Renim während des Essens erzählen konnte, daß man in den städtischen Bordellen ebenfalls baden und deutlich besser essen konnte, doch dann sei man an einem Abend allein dafür leicht zwei oder drei Tar los. Und da er sich in ein paar Jahren einen eigenen Hof kaufen wollte, hatte er vor, weiterhin sein Geld sparen, ohne auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Er kam aus einem Dorf nahe Tetraos, doch da der Hof seines Vaters nach dessen Tod an Renims ältesten Bruder gegangen war, hatte er sich vor ein paar Jahren von den Anwerbern aus Letran überzeugen lassen, im Dienste Letrans das grüne Tal des Amaar mit seinen Pferdeherden vor den Banditen aus Irim zu schützen. Und nun sah er es, nicht nur als ihr Wanack sondern insbesondere als der Alteste der Wannim, als seine Aufgabe an, ihnen das Haus der Hawat zu zeigen.

Nefut fragte sich, in welchem Zusammenhang das Haus der Hawat, das ja zugleich ein Ama-Schrein sein sollte, mit dem Hawat-Heiligtum auf dem Gelände stand, aber er stellte die Frage nicht laut, um von den anderen nicht genötigt zu werden, sich nun selbst ein Bild machen zu müssen.

Im Bad stellte er fest, daß sein Rücken zum Teil zwar wund gerieben war und das Waschwasser unangenehm an diesen Stellen brannte, die Tunika aber nur wenige Blutspuren aufwies. Er wusch die Uniform aus und da er seine Sachen aufhängen mußte, damit er sie am nächsten Morgen wieder tragen konnte, hatte er eine gute Ausrede, sich wieder zur Kaserne zu begeben und bis zum Einschlafen in den Schriften zu lesen, während sich die anderen voller Vorfreude auf den Weg zum Haus der Hawat machten.

*



Natürlich sprach ihn Renim am nächsten Morgen auf sein Fernbleiben an. "Wolltest du nicht mitkommen, weil du noch nie bei einer Frau gelegen hast?" fragte er überraschend mitfühlend.

Zumindest sich selbst gegenüber mußte er wohl ehrlich sein. Er war deswegen nicht mitgegangen, weil er schon bei einer Frau gelegen hatte. "Nein, Wanack, ich war einfach müde", sagte er aber nur.

"Heute abend kommst du aber mit", bestimmte der Ältere entschieden, auch wenn er genau wußte, daß er über die Zeiten außerhalb des Trainings keine Befehlsgewalt hatte.

Wieder war Nefut widerwillig und verkrampft bei den Schwertübungen, auch wenn er mit dem Holzschwert in der Hand, das eher einem Oshey-Schwert als einem städtischen Schwert glich, schon fast von selbst die richtigen Bewegungen machte. Streifen, genannt nach den Streifen an ihren Vorderbeinen, hatte wirklich ein ganz anderes Naturell als ihre Schwester, versuchte tatsächlich, ihn zu beißen, als er die Satteldecke auf ihren Rücken legte, bei einem Wettrennen der Wannim aber ließ sie sich nicht auf den zweiten Platz zurückdrängen. Und am Abend fand Nefut wieder eine Entschuldigung, die anderen nach dem Bad nicht zu begleiten.

Das Training hatte er als weniger anstrengend empfunden als den Tag zuvor, was einerseits sicher der Gewöhnungseffekt gewesen war, andererseits aber wohl auch auf den fortschreitenden Heilungsprozess seines Rückens zurückzuführen war. Tatsächlich war im Badehaus diesmal kein einziger Blutfleck in der Tunika zu sehen gewesen.

*



Und wieder ein neuer Morgen, wieder die Schwertübungen, die ihn an seine Zeit unter der Herrschaft seines Vaters erinnerte und an das was danach folgte, und endlich wieder Fleck, die vielleicht nicht so schnell rannte wie ihre Schwester, aber auch nicht davor zurückscheute, direkt auf ein Ziel zuzulaufen, das Nefut mit einem Stoß seiner Lanze aus dem Weg räumen mußte. Wieder zusammen mit den Kameraden im Küchensaal essen, wieder ins Badehaus und erfreut feststellen, daß abermals keine frischen Blutflecken in der Tunika zu sehen waren. Damit erklärte er seinen Rücken als geheilt, auch wenn er natürlich merkte, daß die Verletzungen noch immer zum größten Teil mit dicken Schorfschichten bedeckt waren, die aber an einigen Stellen schon begannen, sich von selbst zu lösen. Seine Uniformtunika allerdings war trotz der Auswascherei inzwischen so fleckig, daß Nefut nach dem Bad direkt zum Waschplatz am Amaar wollte, um sie vernünftig zu reinigen. Mit der notwendigen Pflege seiner Uniform hätte er sogar wieder eine Ausrede für seinen Wanack gehabt, wenn der ihn noch einmal gefragt hätte.

Nefut nahm auch noch das geschenkte städtische Untergewand mit, um es ebenfalls richtig zu waschen und lief den gewohnten Weg zwischen den Kasernen hindurch zum seitlichen Tor, den er in seiner Kinderzeit genommen hatte, um sich an einem heißen Tag mit seinen Sa'atik-Freunden nahe dem Waschplatz im kühlen Wasser des Flusses zu tummeln.

Der Waschplatz sah genau so aus wie früher, Sa'atik-Kinder spielten nackt im Wasser, ihre Mütter in farbenfrohen Wickelkleidern wuschen die Wäsche - nur das es nicht die selben Kinder waren und natürlich auch nicht die selben Frauen, die dort für ihre Familien oder für das Hawat-Heiligtum die Wäsche machten.

Ta'at hatte ihn vor vielen Jahren sogar dazu gebracht, ihr mit der Wäsche zu helfen. Die Erinnerung an die Frau, die einen Sohn in Nefuts Alter gehabt hatte, ließ ihn lächeln. Sie war immer so freundlich, ja liebevoll im Umgang mit ihm gewesen, hatte ihn so oft getröstet oder Mut zugesprochen. Und sie hatte so ein schönes und ausdruckstarkes Gesicht gehabt, daß man den Eindruck hatte, man schaue immer direkt in ihr Herz. Sein Vater hatte stets nur einen Gesichtsausdruck gehabt, ganz der taribischen Tradition folgend, den des strengen Vaters, der für seine Fürsorge und Lehren Gehorsam und Ehrerbietung erwarten durfte.

"Was ist passiert?" sprach ihn plötzlich eine der Frauen am Waschplatz auf Sa'atit an. "Hast du dich an etwas im Wasser oder in der Wäsche verletzt?" Mit besorgtem Gesicht hielt sie mit ihrer Arbeit inne, legte den feuchten Stoff beiseite und erhob sich, um ihm zu helfen.

"Nein, es ist nichts passiert", gab Nefut in der gleichen Sprache zurück. Er hatte nur an seinen Vater gedacht, das hatte das Lächeln vertrieben. Doch die Fürsorge dieser Fremden brachte es fast von selbst zurück.

Das Lächeln beruhigte sie anscheinend und sie ging zurück an ihre Arbeit, und Nefut versuchte, seine finsteren Gedanken zum Schweigen zu bringen und sich ganz auf die Reinigung seiner beiden Oberteile zu konzentrieren. Doch die Sa'atik lenkte ihn ein wenig ab. Sie war ähnlich hübsch wie Ta'at, einige Jahre älter als sie damals und damit wahrscheinlich mehr als zehn Jahre älter als er selbst, aber mit wohlgeformten Hüften und offenbar einem guten Herzen, das sich ebenso wie bei Ta'at in ihrem Gesicht spiegelte.

"Anscheinend ra'scharba'ar", sagte sie, als sie seinen Blick mit ihren Augen eingefangen hatte. Ihr liebenswürdiges Lächeln wurde ein bißchen anzüglich. Was hatte sie gesagt? Diese Wendung, er machte irgend was, wollte etwas... Er hatte es schon früher gehört, es war nichts, was Kinder zu anderen Kindern sagten, oder Erwachsene zu Kindern, es war sowas wie ... sein Begehren, seine Lust auf sie? Schnell senkte Nefut seinen Blick auf seine Wäsche. Wenn er es sich richtig zusammengereimt hatte...

"Es ist nichts Verwerfliches, wenn die Göttin dich berührt", flüsterte sie plötzlich dicht bei seinem Ohr. Sie hockte neben ihm, wieso hatte er ihre Schritte auf dem Kies des Flußbettes nicht gehört? Sie beugte sich so weit vor, daß der Anhänger der dünnen silbernen Kette, der zuvor zwischen ihren stoffumhüllten Brüsten geruht hatte, nun frei vor ihrem schönen Busen pendelte und in der untergehenden Sonne blitze. Die fliegende Schlange der Hawat, zwei Flügel und etwas, das wie ein... erigierter Phallos aussah... Wieso hatte er früher nie erkannt, was die Novizinnen und Tempeldienerinnen da als Amulett ihrer Göttin um den Hals trugen?

Sie strich mit ihren Fingern sanft über seine bärtige Wange, hob dann ganz leicht sein Kinn an, so daß er ihr wieder ins Gesicht sah. Sie lächelte so liebenswürdig. "Beruhige dich", flüsterte sie. "Versuche zu hören, was die Göttin dir rät, dann wird sie dich heilen. Wenn du Hilfe dabei brauchst, findest du mich fast immer im Tempel, ach, im Haus der Hawat... Ama, wie sie hier sagen. Frag nach Schelschér." Sie nahm die Hand von seinem Gesicht und erhob sich mit einer fließenden Bewegung. "Oh", sagte sie dann, ihre Augen folgten dem Verlauf des Amaar, "deine Wäsche schwimmt grad davon", und lief los.

Nefut war zu verwirrt, um gleich zu verstehen, warum sie fortlief. Er drehte sich um und sah ihr hinterher... seine Uniform und das Untergewand hatten einen deutlichen Vorsprung vor Schelschér, die nun durch das Wasser watete. Auch er sprang auf und lief am Ufer entlang, bis er die zuvorderst schwimmende Uniformtunika überholt hatte, sprang wie in seiner Kinderzeit ins Wasser und griff danach, geschafft. Gleich darauf landete ein weicher Körper in seinen noch ausgestreckten Armen und ein nasses Stoffstück in seinem Gesicht - Schelschér hatte das Untergewand gerettet.

Nach einigen Augenblicken hielt er die schöne Frau noch immer umfangen, obwohl sie schon wieder Boden unter den Füßen hatte, doch sie blieb, wo sie war. Und er hatte nicht vor, diese wohltuende Umarmung jemals wieder zu lösen.

Schelschér hatte nun auch ihre Arme um seinen nackten Oberkörper geschlungen, ertastete ganz vorsichtig die Spuren der Urteilsvollstreckung auf seinem Rücken, entließ einen kleinen Seufzer, der voller Mitleid und Zuneigung zu sein schien. "Die Göttin wird dich heilen. Komm zu mir, wenn du deine Wäsche zum Trocknen aufgehängt hast, Soldat." Sie streckte sich, um ihn auf die Wange zu küssen, dann löste sie sich langsam aus seiner Umarmung, hielt ihm das nasse Untergewand hin. "Bring etwas Silber für den Weihrauch mit, damit Hawat wohlgesonnen ist."

"Mein Name ist Nefut", erklärte Nefut, dann nahm er das Untergewand in Empfang. "Ich werde zu dir kommen, Schelschér."

Schelschér ging zurück zu ihrer eigenen Wäsche, und der nasse Stoff ihres bunten Wickelkleides betonte ihre verlockenden Rundungen bei jedem Schritt, als sie sich nach ihrer Wäsche bückte, als sie den Waschplatz verließ. Wie in Trance sah Nefut noch weiter in die Richtung, zu dem Tor in der Mauer um die Kasernen, durch das sie verschwunden war, als wäre ihm die Göttin selbst erschienen.

Nach einer Weile nahm er das Planschen und Lachen der Kinder um sich herum wahr, erinnerte sich wo er war und was er Schelschér zugesagt hatte. Also würde er heute abend noch das Haus der Hawat aufsuchen und zu Schelschér gehen, um sich umarmen zu lassen, denn welches größere Glück, welcher stärkere Heilzauber konnte existieren als diese Umarmung?

* * *



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