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Text

von  Elisabeth

Ich konnte diese Nacht nicht schlafen. Der Tag war sehr heiß gewesen und unsere Obergeschoßwohnung war entsprechend aufgeheizt, dazu hörte ich durch die dünnen Wände noch immer Niels zorniges Trommeln. Ich hatte versucht, mit ihm zu sprechen, aber er hatte seine Zimmertür natürlich von innen abgeschlossen. War mein Erstgeborener wirklich schwul? Aber Niels war doch noch viel zu jung, um... um eine Schwärmerei von echter Liebe unterscheiden zu können. Viel entscheidender war die Frage, ob Ahmet wirklich schwul war und sich vielleicht an die pubertierenden Jungs ranmachte, die er betreuen sollte. Was verstand Ole eigentlich unter 'rumknutschen'? Vielleicht nur eine Umarmung, einen Kuß auf die Wange, wie es in einigen südlichen Ländern ja durchaus auch zwischen Männern üblich war?

Die drückende Hitze und meine wirren Gedanken machten mir Kopfschmerzen. Ich riß das Fenster auf, aber die Luft draußen war auch nicht viel kühler und völlig unbewegt. Trotzdem blieb ich am Fenster stehen, versuchte das Problem auf einen zentralen Punkt einzugrenzen. War Ahmet wirklich schwul? Aber war das nicht völlig egal? Fragte einer die Lehrerinnen, die die Betreuung machten, ob sie auf Kerle standen? Die könnten doch genauso auf die heranwachsenden Knaben fliegen, wie ein junger Mann, der schwul war. Wieso sollte Ahmet die Jungs manipulieren wollen, vor allem, wenn er tatsächlich jemanden von außerhalb der Schule hatte, mit dem er rumknutschen konnte? Er war engagiert in seinem Betreuungsjob und bot den Kindern mit dem Fußballspiel noch etwas, was sie sonst nicht kriegten. Das war doch großartig. Und wenn Niels wirklich schwul war – das sollte heutzutage doch auch kein Problem mehr sein, er blieb doch mein Sohn. Nun, irgendwann würde er mir dann vielleicht einen Kerl als seinen Freund vorstellen und nicht ein junges Mädchen, und Enkelkinder würde es wohl auch nicht geben. Aber wichtig war doch nur, daß Niels glücklich war. Und einen Moment hatte ich das Gefühl, daß meine Frau neben mir stand und zufrieden die Hand auf meine Schulter legte. Ich war sicher, daß sie meine Meinung teilte.

Wieder das Trommeln – zur Zeit war Niels jedenfalls nicht glücklich.

Ich holte noch einmal tief Luft am Fenster, genoß das Gefühl der Erinnerung an Beates sanfte Art, dann ging ich auf den Flur und probierte die Türklinke von Niels Zimmer noch einmal. Mit seinen Kopfhörern würde er ein Klopfen ohnehin nicht hören.

Die Tür war nicht mehr verschlossen, und ich öffnete sie einen Spalt, spähte hinein. Da saß er, ganz in seine Trommelei versunken, mit dem Rücken zur Tür. Mein Blick fiel auf das schon seit Jahren über seinem Bett hängende Plakat von einem schwarzhaarigen Rockstar und erst jetzt fiel mir plötzlich auf, daß das ja ein halbnackter Mann mit Schlafzimmerblick war. Vielleicht fühlte Niels sich ja wirklich eher zu Jungs als zu Mädchen hingezogen. Aber was wußte ich schon darüber, mit wem er sich vorzugsweise die Zeit vertrieb, denn zu seinen Klassenkameraden hatte er noch nie viel Kontakt gehabt, im auffälligen Gegensatz zu seinem Bruder. In seiner Freizeit las er allein in seinem Zimmer, hörte Musik aus seiner Anlage und trommelte gelegentlich dazu mit den Händen auf den Schreibtisch. Er hatte sich schon vor Jahren ein Schlagzeug gewünscht, aber hier, in einer Mietwohnung über einem kinderlosen Ehepaar, dem das Fußgetrappel von den beiden Jungs schon zu viel war - da war das einfach nicht drin.

Ich ging in das Zimmer, legte ihm sanft die Hand auf die Schulter, aber er zuckte trotzdem heftig zusammen, riß sich den Kopfhörer herunter. "Was soll das?!" fuhr er mich viel zu laut an. Nach dem kräftigen Beat aus den kleinen Lautsprechern des Kopfhörers zu urteilen, hatte er seine Anlage wohl bis zum Anschlag hochgedreht.

"Hey, beruhige dich. Du solltest schlafen. Morgen..."

"Morgen ist Sonnabend", erinnerte Niels mich. "Da haben wir keine Schule."

"...und keine Betreuung", ergänzte ich.

Ein vernichtender Blick traf mich. "Ach, laß mich doch in Ruhe."

"Hey, ich bin hier. Sprich mit mir, Niels. Ich will doch nur wissen, was mit dir los ist. Vielleicht kann ich dir helfen, irgendwie."

"Du kannst mir nicht helfen", kam die Antwort. "Ist sowieso alles Scheiße."

So wütend und so verschlossen kannte ich Niels gar nicht. Hatte er sich wirklich in seinen Betreuer verguckt, der ja nun gerade einmal drei Jahre älter war als er, dazu noch eine Identifikationsfigur, wenn sie die gleiche sexuelle Orientierung hatten, und hatte nun feststellen müssen, daß sein Betreuer gar kein über die Betreuung hinausgehendes Interesse an ihm hatte, sondern bereits anderweitig vergeben war? "Hast du Probleme in der Schule oder mit deinen Klassenkameraden?" fragte ich, um ihn ein bißchen aus der Reserve zu locken.

"Ach, laß mich in Ruhe, Papa", sagte er nur traurig. "Ich sag' doch, daß du mir nicht helfen kannst."

"Liebeskummer?" fragte ich dann vorsichtig.

Nun traf mich ein sehr mißtrauischer Blick. "Was hat Ole dir erzählt?" wollte er wissen.

"Über dich haben wir gar nicht gesprochen", beruhigte ich ihn.

"Mußtet ihr ja auch gar nicht. Er hat ja beim Essen alles schon...", resignierend ließ Niels den Kopf hängen.

Ich überlegte, was Ole in Niels Gegenwart gesagt hatte. "Daß du angeblich schwul bist?"

Niels sah mich mit großen Augen an, als könne er gar nicht glauben, dieses Wort aus meinem Munde zu hören. "Ich bin nicht... ach Scheiße, ich weiß es doch auch nicht!" brach es dann aus ihm heraus, "aber als ich gesehen habe, wie Ahmet diesen Typen da geküßt hat... das hat so weh getan, Papa, so als würde mir das Herz auseinander brechen, wirklich." Und nun stiegen ihm auch noch Tränen in die Augen.

Ich nahm meinen Sohn fest in die Arme. "Hey, so ist das Leben", versuchte ich ihn zu trösten. "Wie oft ich schon jemanden toll fand und feststellen mußte, daß gerade diese Person jemand anderen viel interessanter fand als mich, viel mehr liebte als mich..."

"Aber du meinst Frauen, Papa, bei dir waren das keine Typen", kam es halb erstickt aus meinem T-Shirt.

"Ja, das waren Frauen, aber das ist für das Gefühl des Verletztseins doch unerheblich, Kind."

"Tut es dir noch weh, daß Mama gestorben ist?" fragte Niels plötzlich, sah mit rotgeweinten Augen zu mir hoch, sah Beate für einen Augenblick erschreckend ähnlich.

Jetzt zog sich ein Band fest um meine Brust, ich mußte schlucken, um meinem Kind antworten zu können. "Ja, es tut noch weh, Junge. Und ich glaube, es wird immer weh tun. Aber das ist nicht vergleichbar. Deine Mutter hat meine Gefühle für sie erwidert, und sie ist nicht zu einem anderen Mann gegangen."

"Aber ich dachte doch, er erwidert meine Gefühle", flüsterte Niels schwer verständlich wieder in mein T-Shirt. "Er war immer so nett und freundlich zu mir und hat sich so viel Zeit dafür genommen, mir zu erklären... Scheiße!" Nun weinte er hemmungslos und ich streichelte seinen von den Schluchzern erschütterten Rücken.

Was sollte ich dazu sagen? Daß ich froh war, daß der Betreuer sich nicht an meinen minderjährigen Sohn rangemacht hatte, obwohl Niels nicht abgeneigt gewesen wäre? Tatsächlich war das das überwiegende Gefühl, neben dem unverhofft aufgeflackerten Schmerz über Beates plötzlichen Tod vor vier Jahren. "Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich fühlst", versicherte ich Niels, das Kinn auf seinen Scheitel gestützt. "Es kam so oft vor, daß ein Mädchen, das ich anhimmelte und das sich von mir ins Kino ausführen ließ, dann in meiner Gegenwart mit jemand anderem rumknutschte. Und trotzdem habe ich Mama gefunden. Sie war eben diejenige, die für mich bestimmt war. Und du wirst auch irgendwann jemanden finden, der deine Gefühle erwidert, ganz sicher. Aber vielleicht erst, wenn du schon zwanzig bist. Du bist doch noch viel zu jung für..."

"Aber jetzt tut es so weh", stöhnte Niels, schmiegte sich in meine Arme wie ein Baby.

"Ja, jetzt tut es weh, aber er ist eben nicht für dich. Und es ist nicht sehr anständig, jemand anderem das gefundene Glück zu neiden."

*



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