Gegen Gewalt - Gegengewalt

Bericht zum Thema Gewalt

von  Graeculus

In dem Film „Steiner – Das Eiserne Kreuz“ aus dem Jahre 1977 (Regie: Sam Peckinpah, Romanvorlage: „Das willige Fleisch“ von Willi Heinrich) wird eine Phase aus der Zeit des deutschen Rückzugs am Kuban 1943 geschildert, bis zur Ebene eines Regiments hinauf. Was immer die Männer an Wertvorstellungen von zu Hause mitgebracht haben, es ist in zwei Jahren Vernichtungskrieg zerrieben worden. Der Protagonist Steiner ist ein desillusionierter Feldwebel, der inmitten eines sinnlosen Krieges immerhin Reste von Menschlichkeit und persönlicher Integrität zu bewahren versucht.
 
Frauen? Spielen kaum eine leibhaftige Rolle, sind Phantasien von Männern, und näher kommt Steiner nur einer Krankenschwester in einem Feldlazarett. Seine intensivste Beziehung ist sein eigener Zug, für den er verantwortlich ist und in dem er etwas wie Kameradschaft erlebt. Wenigstens das.

Eine Szene, die mich stark beeindruckt hat, ist die folgende: Steiner gerät mit seinem Zug hinter die russischen Linien und muß sich nach Westen zu den deutschen durchschlagen. Dabei ist es überlebenswichtig, der Roten Armee möglichst wenig aufzufallen. Auf diesem mühsamen Marsch stoßen sie auf eine Gruppe russischer Partisaninnen, die sich in einer Hütte aufhalten. Sie müssen diese Frauen nicht nur entwaffnen, sondern auch möglichst daran hindern, den Feind, die Roten zu informieren.

Steiners Plan ist der, den Frauen die Uniformen abzunehmen und sie in Unterwäsche in einem Raum der Hütte einzusperren. Das Funkgerät unbrauchbar zu machen, ist einfach; aber sein Zug aus ausgehungerten Männern im Angesicht von wehrlosen Frauen erweist sich als schwierig. Zwar verbietet Steiner jede Vergewaltigung, aber weil er gleichzeitig erschöpft eine Rast einlegt und döst, kommt es dazu, daß einer seiner Leute sich eine der Frauen schnappt und sie in einer Kammer zur Fellatio zwingt, in Soldatensprache: sich einen blasen läßt. Das tut er sehr gewaltsam, aber die Frau weiß sich zu wehren: Sie beißt ihm den Schwanz ab.

Von den Schreien des Soldaten alarmiert, kommen Steiner und die anderen seines Zuges, ebenso die restlichen Partisaninnen herbei und sehen die Lage. Der Mann hält sich den blutenden Unterleib, die Frau sitzt verschreckt in einer Ecke und rechnet mit ihrer Erschießung. Von Faschisten erwartet sie keine Gnade.

Steiner muß eine Entscheidung treffen, und er trifft eine, die mich überrascht hat: Er läßt den Mann, seinen eigenen Kameraden, zurück und schließt ihn mitsamt den Frauen in der Kammer ein. Danach erfolgt der Aufbruch mit dem Rest seines Zuges.

Es ist sonnenklar, was die Partisaninnen jetzt mit dem verbliebenen Deutschen machen werden.

Als ich das gesehen habe, hatte ich ein starkes Gefühl. Was immer die Ethik über Gewalt („hat noch nie ein Problem gelöst“) und Rache („menschlich niedrig“) und Kameradschaft („durch Dick und Dünn“) sagen mag: Ich empfand es als vollkommen richtig, was Steiner in dieser Situation getan hat. Und das, was die Frauen dann anschließend sicher gemacht haben (wir sehen es nicht), übrigens ebenso. Ich hätte nichts anderes tun wollen in dieser Lage. Aber die Intensität meiner Emotion hat mich selbst überrascht.



Anmerkung von Graeculus:

"Steiner - Das Eiserne Kreuz" ist gestern abend auf arte gesendet worden und hat mich in der geschilderten Weise angeregt.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (21.11.23, 17:38)
Hallo Graeculus,

ich finde Steiners Entscheidung richtig, bin mir aber nicht sicher, was die Partisaninnen jetzt machen werden.
Vielleicht meinen sie, dass der entmannte Vergewaltiger genug bestraft ist.

 Graeculus meinte dazu am 21.11.23 um 17:53:
Stalin hatte in einer berühmten Rede nach dem deutschen Überfall  im Juni 1941 gesagt: "Die Deutschen wollen einen Vernichtungskrieg gegen uns führen. Gegen uns, das Volk von Puschkin und Tschaikowskij. [Pause] Gut. Sie sollen ihn haben."
Es war ein Vernichtungskrieg, geprägt von Haß. Und die Gesichter der russischen Frauen drücken nichts anderes aus. Erst recht nicht nach der erlebten Vergewaltigung.
Da sie keine Waffen mehr haben, werden sie den Deutschen mit bloßen Händen töten. Erwürgen, zertrampeln, was auch immer. Kein Zweifel. Sie sind zu zehnt gegen einen Verwundeten.
Dem hat Steiner seinen Kameraden ausgeliefert. Recht so.
Recht so! Ist das nicht seltsam? Keine Moral sagt soetwas, und doch empfinde ich es so.

 Graeculus antwortete darauf am 21.11.23 um 18:05:
Der ehemalige Kultusminister von NRW, Jürgen Girgensohn (SPD), während des Krieges Angehöriger der Divison Wiking der Waffen-SS, hat in einem Interview einmal gestanden, daß er im Nahkampf einen Rotarmisten totgebissen hat. Solch ein Krieg war das!

Antwort geändert am 21.11.2023 um 18:06 Uhr

 Augustus (22.11.23, 13:29)
Verweigerung von Befehlen von Oben im Nazi-Deutschland bedeutete ja gleich die Erschiessung des Verweigerten. Andere Bestrafungen waren sicherlich denkbar, aber in einer angespannten Situation schaffte eher die triviale Ansicht von „Freund und Feind“ Abhilfe. 
Der Soldat missachtete den Befehl, Gnade war wie beschrieben nicht zu erwarten. Die Deutschen waren eben gnadenlos, auch gegenüber Abweichlern aus eigenen Reihen. 

Die deutsche Gnadenlosigkeit gegenüber dem deutschen Soldaten, der den Befehl missachtet, darf nicht mit der Gnade der verschonten, russländischen Frauen gleichgesetzt und missverstanden werden. 
Der Befehlshaber erschoss zwar nicht den Feind in Frauengestalt, er schloss sie als Widersacher ein, sowie er den eigenen Soldaten als Widersacher einschloss. Der Feind ist jeder gleich, der sich seinem Befehl widersetzt, ohne graduelle Unterscheidung. Dabei spielt Rasse gar keine Rolle, sondern, wie vornweg erwähnt, „Freund-Feind“ Weltbild.

Kommentar geändert am 22.11.2023 um 13:30 Uhr

 Graeculus schrieb daraufhin am 22.11.23 um 13:56:
Das ist eine mögliche Interpretation. Kennst Du den Film aus eigener Anschauung?

Ich habe zwei Einwände:
1. Steiner ist nicht der Befehl-ist-Befehl-Typ. So unterläuft er an anderer Stelle den Befehl, den er erhalten hat, einen ganz jungen russischen Gefangenen zu erschießen.
2. Wenn es ihm in der anstehenden Situation bloß darum gegangen wäre, Ungehorsam zu bestrafen, hätte er den Mann mitnehmen und vor ein Kriegsgericht stellen ... oder ihn direkt selbst erschießen können. Aber nein, er überläßt ihn den Frauen. Das hat nach meinem Empfinden etwas damit zu tun, daß genau dies zu der Tat paßt. "Ich überlasse euch meinen Kameraden zur Rache, weil er ein Schwein ist."

 Augustus äußerte darauf am 22.11.23 um 18:19:
Kameraden teilen untereinander Kameradschschsft, also Zusammengehörigkeit, ja aber auch Identität. Wenn nun aber ein Kamerad ungehorsam wird, einen Befehl verweigert, hören Identität und Zusammegehörigkeit auf.

Dies passiert dem Soldaten, der vergewaltig, er wird aus der Gruppe ausgestoßen. Die Gruppe identifiziert sich nicht mehr mit ihm, gleichwohl er Deutscher und Soldat ist, der gegen russländischenSoldateska kämpft. 
Auf einen Schlag hören Gemeinsamkeiten, die geteilt wurden, auf. 
Grund: Befehlsverweigerung. 

Nach diesem Prinzip wird die Rassentheorie „ad absurdum“ geführt, sobald die eigene Rasse sich gegen die eigene Rasse stellt, wird sie degradiert zur Rasse der Untermenschen, die eben noch über den Bararen höher stand. 

Einzelnes Moralisches Handeln in sonst unmoralischem übergeordnetem Handeln eingebettet, erscheint etwa so, im Falschen gibt es nix Richtiges. 

Da der Offizier den Befehl von Oben verweigert, und gleichzeitig als Verweigerer einen anderen Verweigerer seines Befehls abstraft, müsste ein objektiv Dritter zu einem irrationalen Schluss kommen, dass verweigerte Befehle stets moralisch positive Auswirkungen im Handeln der Menschen haben. 

Der moralische Zwiespalt in dem sich der Offizier befindet, gleichzeitig Richter als auch Angeklagter zu sein, entscheidet sich für die Rolle des Richters, da er militärisch im Rang über dem Angeklagten steht, gleichwohl er an anderer Stelle selbst als Angeklagter - aufgrund eigener Befehlsverweigerung - stehen würde. 

Ein Angeklagter klagt gegen einen Angeklagten. Es wäre also hier genauer zu erfahren, ob die Anklage sich auf die Befehlsverweigerung bezieht oder die darüber hinaus gehende Vergewaltigung sich richtet. 

Insofern sie allein bloß nur auf die Befehlsverweigerung zielt, handelt der Offizier tatsächlich unmoralisch, da er selbst dieselbe unmoralische Befehlsverweigerung praktiziert. Aus Unmoral plötzlich moralisches Handeln abzuleiten ist ein fehlsschluss.

 Graeculus ergänzte dazu am 23.11.23 um 16:27:
Nochmal:
1. Steiner ist in dem Roman bzw. Film kein Offizier, sondern Unteroffizier (Feldwebel).
2. Er ist kein Vertreter des "Befehl ist Befehl!", was an einer anderen Stelle sehr deutlich wird, als er den Befehl, einen jungen russischen Gefangenen zu erschießen, verweigert.

Ich habe den starken Eindruck, daß es in der hier geschilderten Szene nicht um die Befehlsverweigerung als solche geht, sondern darum, daß der Soldat eine Frau vergewaltigt hat. Und darum, wie Steiner das bestraft.

 Augustus meinte dazu am 24.11.23 um 11:05:
Nun ja, die Frau wehrt sich gegen die Vergewaltigung und beißt dem Soldaten seinen Schwanz ab. Durch die Notwehr macht sie sich nicht schuldig. Das Opfer bleibt Opfer und wird nicht als Täter plötzlich umgemünzt. 
Der eigentliche Täter erleidet durch seine Tat körperliche Schmerzen; die Notwehr heißt hier Selbstverschulden. 

Die Denkweise Steiners ist die eines zivilen Richters. Vor Gericht sind alle gleich. Sowohl die russländische Frau als auch der deutsche Soldat. 

Rassentheorie, Kameradschaft, Freund-Feind-Bild verschwinden. 

Es ist aber unklar, welcher Grund Steiner wichtiger bei der Beurteilung seines Urteils ist. Die Befehlsverweigerung oder die Vergewaltigung. Vllt eine mischung aus beiden. 

Die Befehlsverweigerung entlarvt den Soldaten als Verräter. Der Schutz der Gruppe wird dadurch aufgehoben. Der Soldat kann nicht mehr mit der Gruppe rechnen. Er wird ausgestoßen. 

Auf der 2 Ebene wird er dann durch die Vergewaltigung der anderen Gruppe überlassen. 

Steiner hat bloß auf der 1 Ebene geurteilt: Befehlsverweigerung. 
Auf der 2 Ebene urteilt die Frau(en) dann selbst: Die Vergewaltigung.

Da Steiner aber an anderer Stelle selbst Befehlsverweigerung betreibt, übersieht er an dieser Stelle, dass er im Grunde nicht anders ist als der Soldat, der seinen Befehl verweigert.

 Graeculus meinte dazu am 27.11.23 um 16:25:
Steiner verweigert den Befehl, um einen Unschuldigen zu schützen. Der Soldat verweigert den Befehl, um seier Lust ohne Rücksicht zu folgen.

Steiner urteilt wie ein ziviler Richter? Der müßte doch beide Seiten anhören vor seinem Urteil. Steiner aber urteilt ganz spontan.

Daß sich der Vorgang auf mehreren Ebenen entwickelt, mag sein. Auch meine Reaktion war nur spontan.

 Teichhüpfer (22.11.23, 22:10)
Frauen als Gewaltmotiv, bei mir nicht. Ich habe hier Probleme auf kv mit Doppelanmeldungen.

 Graeculus meinte dazu am 23.11.23 um 16:24:
Dich habe ich hier auch nicht gemeint, Teichhüpfer.

 Teichhüpfer meinte dazu am 23.11.23 um 20:42:
Konkreter geht es nicht, aber deine alte Freundin, Terminator ...

 Graeculus meinte dazu am 24.11.23 um 08:54:
Huch, Terminator ist meine alte Freundin? Sachen gibt's!

 Teichhüpfer meinte dazu am 24.11.23 um 13:03:
Ihr seid da doch im Forum der neue Verein?

 Graeculus meinte dazu am 27.11.23 um 16:27:
Aber nein, Teichhüpfer - ich nehme hier an keiner Gruppe oder gar einen Verein teil. Davon abgesehen ist Terminator meines Wissens männlich.

 Teichhüpfer meinte dazu am 28.11.23 um 06:51:
Das war bei Isaban auch so, aber da sind so Gruppen wie Trollmörder?

 Graeculus meinte dazu am 28.11.23 um 23:29:
Zwar mag ich Trolle nicht, aber sie zu ermorden, käme mir nicht in den Sinn.

 Teichhüpfer meinte dazu am 29.11.23 um 06:58:
Sie das mal so, Graeculus, ich habe mich bemüht in das Gespräch zu kommen.

lg Teichi

 Graeculus meinte dazu am 29.11.23 um 14:49:
Und das ist - bis zur Feindseligkeit - gescheitert?

 AngelWings meinte dazu am 29.11.23 um 15:29:
Doppel Anmeldung, gegt nicht! 🙄

Gewalt, gibt es  alle Krieg!

 Graeculus meinte dazu am 29.11.23 um 22:35:
In jedem Krieg, ja - das ist Krieg. Und immer wieder gehören Vergewaltigungen dazu.

 S4SCH4 (29.11.23, 15:07)
Hallo, 

Danke für den super geschriebenen Text. Ich musste mir ein "Aua" verkneifen. Den Film kenne ich zwar vom Hörensagen, habe ihn aber, anscheinend nie geschaut, oder, was ich irgendwie bezweifele, in Anbetracht der eindringlichen Szene mit der Beißerei, vergessen.
Das Dreieck aus Trieb, Gewalt und Selbstjustiz (in Form des Überlassens an die Frauen) klingt spannend in Anbetracht der Frage, was an Wertvorstellung nach Jahren im Vernichtungskrieg noch übrig ist. Auch die Frage was danach wohl passiert ist spannend...ich denke er kann-, darf aber nicht, auf Mitleid "hoffen".
Grüße

 Graeculus meinte dazu am 29.11.23 um 22:34:
Nein, der Vergewaltiger darf nicht auf Mitleid hoffen, nicht der "Faschist" bei russischen Partisaninnen. Das weiß Steiner, und dennoch (deswegen?) läßt er ihn dort zurück.

Gerade habe ich mir gedacht: Wie kommt man aus einem solchen Krieg heraus, mit welchen Wertvorstellungen?

 S4SCH4 meinte dazu am 29.11.23 um 22:38:
Gute Frage...und bald werden wir kaum noch jemanden antreffen, der das noch persönlich mitteilen könnte...es verschwindet alles in der digitalen Wolke, oder in Kisten die langsam verstauben.

Nachtrag:...aber was rede ich...Krieg gibt es nach wie vor. Meine Sicht war gerade auf WW eingeschränkt / fokussiert.

Antwort geändert am 29.11.2023 um 22:41 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 29.11.23 um 23:39:
Ich habe das durchaus auf alle Kriege bezogen, zumal ich an der Filmszene nichts gesehen habe, was sich ausschließlich auf den Weltkrieg II bezog. Man erlebt im Krieg den Menschen als Bestie ... und kommt dann wie nach Hause?

Viele werden das Erlebte verdrängen, schätze ich.
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