Gestern im Gau

Kurzgeschichte zum Thema Alltag

von  RainerMScholz

„Können Sie `mal die Musik leiser machen?“

„Was?“

Im Hintergrund läuft Kreator, Morsüre oder Destruction.

„Die Musik ist zu laut.“

„Das ist Helene Fischer.“

Der Vermieter scheint verblüfft, seine ob des Alters gebrechliche, aber immer noch massige Gestalt schwankt hin und her.

„Die Musik ist zu laut.“, sagt er mit Nachdruck.

„Alles klar.“

Er will die Wohnungstür schließen. Eigentlich hat er das Klingeln schon nicht gehört, erst das penetrante Klopfen mit der Faust, das sich mit dem Rhythmus von Venom nicht vertragen hat.

„Moment noch.“

„Was?“

„Einen Moment noch, ich wollte Ihnen noch sagen, dass...“

„Moment, Herr Freising, ich mach´ `mal Helene Fischer leiser.“

Er geht ins Wohnzimmer und dreht die Musikanlage herunter. Ramones: Pet sematary.

„Es ist ja auch Fasching.“

„Was?“, Herr Freising dreht vergeblich an seinem Hörgerät.

„Fasching.“, insistiert er, „Gestern war Weiberfasching.“

„Meine Frau ist erst am Knie operiert worden, und...“

„Weiß ich doch, die Hüfte.“

„Nein, die ist erst in einem halben Jahr dran. Jetzt hat sie ein neues Knie, und die Reha hat...“

„Aha.“

„Die 'Musik', die sie da hören, die...“

„Wie?“

„Ja. Und der Flur müsste `mal wieder...“

„Ach was, und dass bei den Umlagen.“

„Wie?“

„Ich sagte, die Juden, dann wäre es bestimmt billiger geworden mit der Reha, das Knie und so.“

„Ja, dauernd muss man draufzahlen, obwohl wir solange eingezahlt...“

„Die Juden.“

„Ja, das Weltjudentum. Neulich habe ich gelesen, dass...“

„Schrecklich. Ich mach´ dann `mal die Helene leiser, und der Flur...“

„Ach, nur wenn Sie Zeit haben, Sie wissen ja.“

„Die Juden.“

„Wir sprechen das nächste Mal, nicht wahr, meine Frau hat Knie. Der, 

hier, wie heißt er, der Gesundheitsverrecker Lauterbach, der sieht selbst auch schon wie so ein Judd aus; und was ich da gelesen habe; früher in der Firma, bei den Gaswerken Unterhinnerbach, aber das habe ich bestimmt schon...“

„Ja, und dann alle in Frührente, ich weiß.“

„Ja, schauen Sie, meine Hände, ich kann gar nicht...“

„Wir machen das schon, Herr Freising.“

„Alles klar, Herr, äh...“

Die Tür schließt sich. Er verdreht die Augen zur Zimmerdecke. Er hört das Fallen und Quietschen und Scheppern des Abtritts des Treppenlifts, der wie ein Windzug durch das Treppenhaus klingt nach oben in den ersten Stock.

Die Musik wird nicht viel leiser. Es ist nicht Helene Fischer, die nichts dafür kann, und auch sonst kein Karneval mit roten Plastiknasen, Luftschlangen und Gedöns.


© Rainer M. Scholz



Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram