Behütet

Text

von  Mondscheinsonate

Glück kann man am intensivsten spüren, wenn einem das Unglück nicht fremd ist. Früher empfand ich meine Situation nicht als unglücklich, ich nannte es nie Unglück, nur das Wort Angst, was auch ziemlich negativ ist, weil dieses in Schrecken und Panik versetzt, das kannte ich gut, täglich. Viele Ängste auf einmal ist pures, reines Unglück, das war mir nicht bewusst. Jeden Tag drehte ich den Schlüssel im Schloss um, hatte Angst im Bauch, fragte mich, was mich heute wieder erwaŕten würde? Welche Laune? Welcher Zustand? Das war grausam. 

Quartalssäufer sind die schlimmsten, schlimmer als tägliche Säufer, denn man weiß nie, ob es schon wieder so weit ist oder ob es noch anhält.

Im Unglück, also wieder in einer Angstphase, als ich alleine in der Nacht war, der Horror könnte minütlich nachhause kommen, schlich ich mich davon, lief die paar Stufen hinauf und verkroch mich unter einer rot-karierten Wolldecke auf einer hässlichen Couch, starrte auf einen Fernseher, war dann nicht alleine, sondern zu Zweit, sicher, beschützt, behütet. Meistens bis eins, zwei oder drei Uhr Früh, man hörte dann Lärm aus der Wohnung darunter, aber ich war sicher und weil der Lärm zu hören war, hielt er mich fester, sagte nie "Ich beschütze dich", beschützte mich ohne es zu sagen. Und man merkte, die bleierne Müdigkeit ging durch all seine Glieder, aber er hielt mich fest und ich lag da, starrte auf den Fernseher, machte keine Anstalten mich zu lösen, das war Glück, tief empfundenes Glück und Dankbarkeit. Und, das war kein begieriger Arm, so wie Mann und Frau liegen, das war ein Arm, den ein Vater um sein Kind legt, so fühlte ich es auch, es war Liebe, die nie gesagt wurde, jedoch vom Arm durch meinen Körper floss. 

Der Lärm hörte nach ein paar Stunden auf, dann war ein Gehen in Gange, all das hörten wir, erst dann löste sich der Arm und er sagte: "Ich bin so müde, geh jetzt schlafen." Ich stand auf, bemerkte, die Angst fiel ab, Müdigkeit machte sich breit, sagte: "Gute Nacht" und ging wieder die Stiegen hinunter, ging in die Wohnung, sah den verwüsteten, mit Asche und Dreck übersäten Esstisch, den vollen Aschenbecher, Bier, Wein oder Schnaps stehen, mehrere Gläser, der Rauch stand in einer dicken Wolke im Zimmer, sagte: "Casi, komm!" zu meinem Setter,  huschte in mein Bett, der Hund legte sich daneben, und wir schliefen fest ein. 

Mein Bruder kaufte mir wunschgemäß dieselbe Decke für Weihnachten, so eine Geschmacklosigkeit gibt es immer, Jahrzehnte später noch, so murmle ich mich in die Decke und alles ist gut, nur der Arm fehlt sehr, manchmal bräuchte ich ihn wieder, nein, eigentlich immer, aber er rieselt jetzt durch meine Finger.




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Kommentare zu diesem Text


 Subordination (22.09.24, 00:09)
Schließe die Finger und fang ihn auf.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 22.09.24 um 00:14:
Der Tod rieselt immer durch.

 Subordination antwortete darauf am 22.09.24 um 00:18:
Den Tod muß man auch nicht auffangen.

Ich meinte mit "ihn" den Arm.

Aber vermutlich hab ich den Text falsch verstanden, und dann ist mein Kommentar sinnlos.

Trotzdem gefällt mir der Text. Vielleicht, weil ich ihn nicht verstehe ...

Antwort geändert am 22.09.2024 um 00:56 Uhr
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