Ein Brief

Text

von  Mondscheinsonate

Liebster,


natürlich steht mir eine Routine-OP bevor, jedoch die Narkose macht mir Sorgen, daher möchte ich Dir einen besonderen Brief schreiben, einen, als ob es der letzte wäre.

Was schreibe ich da? Eine große Erklärung? Nein, jeder Satz ist eine der tiefen Gefühle, das brauche ich nicht auf einen Satz runterbrechen, außerdem wenn Du es noch nicht gespürt hast, was ich fühle, würdest Du eine einzige Erklärung auch nicht aufnehmen und im Übrigen denke ich, Du spürst meine Sätze immer, somit ist es nicht notwendig. 


Es ist Samstag, 19:46 und bereits stockdunkel, wir sind wirklich im Herbst angekommen. Wieder fast ein Jahr um und wir haben uns wieder nicht gesehen. Du wolltest mir ein Stündchen einräumen, ... ein Mittagessen... das ist ein Stündchen. Wenig. Das ist eigentlich traurig - bitte kein Vorwurf, ich schreibe, was ich denke, aber die OP kam dazwischen, in dem Stündchen schreibe ich Dir immer. Ich habe schon viele Stündchen geschenkt. Nochmals, kein Vorwurf, ich konstatiere nur. 
Meine Handyrechnungen amüsieren mich immer, was die Zonen angeht, ich sehe dann immer, wo Du überall bist. Nur nie bei mir. 
Wirst Du vermutlich auch nie sein. Du bist ein geliebter Geist, ich schrieb Dir im ersten Brief, der junge Mann auf dem Skateboard, der immer schnell weg war, unaufhaltbar. Nur abends, wenn die Sonne unterging, der Mond hervorkroch, bist Du zum Stillstand gekommen, dann konnten wir in Ruhe reden, bis uns beiden die Augen zufielen. Und ich nahm die Schmutzwäsche aus dem Wäschekorb und bettete mich am Badezimmerboden, der einzige Ort wo Ruhe war, kuschelte im Eck, während Du in Deinem Bett gelegen bist. 
Dazwischen ein ganzes Leben. 
Weißt Du, einmal saß ich auf einem der Hin Ta Hin Yai - Felsen auf Koh Samui und dachte, dass mir etwas fehlt, ich konnte es nicht greifen, schämte mich in dem Moment, es kann ja nicht jeder dort sitzen, dachte, ich bin wohl sehr undankbar, aber dennoch war das Gefühl groß, dass mir etwas fehlt, sah auf das Meer, das Gefühl kam, blieb weitere zwei Jahrzehnte. Jetzt sitze ich beim Küchentisch und ich fühle Deine Präsenz trotz Absenz und denke, dass mir nichts mehr fehlt. Das Gefühl des Fehlens ist weg. Ja, ich vermisse Dich, Du bist nicht dem Greifen nah, dennoch bist Du immer bei mir.
Ich werde jetzt den Brief beenden, mehr ist sowieso nicht mehr zu sagen. 
Mehr wäre auch jetzt zu viel. Bis bald, ich bin mal off.

Bussi
C.



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