Ein Brief

Text

von  Mondscheinsonate

Lieber, 


ich stehe an die Wand gelehnt, Du ganz nah vor mir und ich flüstere Dir ins Ohr...

Der Gedanke zieht sich bis in die kleinste Zehe hinunter, kitzelt. 


Reflexion ist gut, das müssen wir immer wieder machen. Wir sind im Getriebe gefangen, machen und tun, nehmen uns zu wenig Zeit über das, was wirklich bewegt nachzudenken. Während das Leben an uns vorbeizieht. Ach, schon wieder ein neuer Tag... was steht heute an? - 

Wichtige Fragen: 

Was will ich? Wer bin ich? Ist alles nach meinem Wunsch? Und ja, immer weitergehen, dennoch sich die Frage stellen: Habe ich richtig reagiert? Was habe ich daraus gelernt? Was hat das mit mir gemacht? Wer bin ich jetzt danach? Jede Zwischenmenschlichkeit verändert.

Wir sind beide jetzt im reflexiven Alter, der zynische Volksmund nennt es Midlife-Crisis, soll so sein. Ich nenne es "Persönlichkeitsveränderung". Das, durchaus nicht immer negativ gemeint. 

Letztens sagte eine Kollegin: "Du bist aber auch nicht auf den Mund gefallen!" - Ein Ritterschlag. Ich war mein Leben lang ein Duckmäuschen, wenn mich etwas bedrückte, sonst - Du weißt - frech wie Oskar. Jetzt gehe ich hin und sage: "Das geht so nicht, belastet mich, Lösungsvorschläge?"

Ich halte mir psychische Belastungen so gut es geht vom Hals. Es gelingt nicht immer.

Schau, diese Woche war ich bei einer Leichenbeschau (Juristen müssen in Wien bei ungewöhnlichen Todesfällen dabei sein, ich wurde einmalig zugeteilt im Zuge des Strafrechts) und danach in der Gerichtsmedizin (freiwilliger Kurs). Ich erzähle Dir jetzt nicht, was ich sah, aber auch diese Ereignisse brachten zwei Erkenntnisse, eigentlich drei: 1. Ich will das nie wieder sehen, 2. Das Leben ist tatsächlich zu kurz (und die Gier ist ein Tier!) und 3. Im Zuge des 2. Erkenntnisses habe ich keine Lust mehr, nicht mehr zu sagen, was ich wirklich fühle und denke - dies, selbstverständlich, wenn es passt und nur Menschen, die mir wichtig sind. 

Ausgesprochene Gedanken werden zu Erinnerungen. Irgendwann wirst Du irgendwo sitzen und dann falle ich Dir ein, da denkst Du dann an ein "Du bist mir wichtig". Jemanden wichtig zu sein, das ist schön. 


Abhängigkeit - Nein, ist nie gut. Das ist ja, was ich Dir schon ein paar Mal schrieb - "Ich halte Dich für einen Moment fest, aber dann lasse ich los".

Auch, wenn es weh tut. - Nicht abhängig sein.

Hingebung. Das eine ist unfreiwillig, das andere freiwillig. Besser. Geben wir uns hin...


Ja, wir ändern uns, ob wir wollen oder nicht. Gefühle verändern einen, liegen an manchen Tagen auch schwer auf der Brust. Jetzt. 

Ich habe ja das große Glück, dass ich Dich ansehen, ja, sogar Deine Stimme hören kann. Dann mache ich die Augen zu und stelle mir vor, wie Dein Mund meinen Bauch küsst. Ein kalter Schauer wandert über den Rücken. 


Es wird Zeit... 

Vereinigung zweier Seelen. 

Das verändert auch. Das ist sicher. Hat schon alles mein Rückzug verändert, einfach alles. Uns beide. Da haben wir bemerkt, dass nichts so einfach ist, dass zwischen uns ein unsichtbares Band ist. Nicht Abhängigkeit, nicht so nennen, bloß nicht, - Erfolg über Erfolg, ich sah Deine Augen, es fehlte etwas und dann sah ich in den Spiegel - dort fehltest Du. 


So, jetzt pfeif ich auf Papas Worte: "Geh bitte, wenn Dir kalt ist, dann zieh dir was an! Du hast ja keinen Geldscheißer!" Nein, aber ich dreh' jetzt die Heizung auf, es ist zu kalt. Oma sagte immer: "Der Himmel weint!" - Ach, ich vermisse diese Jesus Christus voll der Gnade - Sprüche. Die amüsierten mich stets.

Ja - und ich vermisse Dich, immer, so sehr.


Bussi

C.



P.s.: Nächstes Wochenende zerrt mich C. wieder auf einen Fetzenmarkt. Haben wir wieder etwas zu lachen! Ich glaube, ich kaufe mir einen Trainingsanzug aus Plastik in lindgrün mit lila Streifen. Ich sollte endlich echte Floridsdorferin werden. Grins. 




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