Eigene Gedanken

Text

von  Mondscheinsonate

Einmal fuhr ich länger mit dem Zug. Zu mir setzte sich ein junger Mann, mit dem ich ins Gespräch kam. Ich glaube, ich sprach ihn an, weil er ein philosophisches Buch las, keine Ahnung mehr, um was es ging. Jedenfalls führten wir ein interessantes Gespräch über Moral und Ethik, das weiß ich noch. Er zitierte zwei Stunden lang Philosophen, bezog sich ständig auf sie. Irgendwann fragte ich: "Und was sind deine eigenen Gedanken dazu?" Daraufhin blickte er mich böse an, nahm wortlos sein Buch und las weiter. 

Das fand ich lustig, denn er hatte keine eigene Meinung zu den angesprochenen Themen, das war deutlich. Er war so in seinem universitären Pseudo-Intellektualismus gefangen, dass er die ganze Zeit über Geschriebenes nachdachte, anstatt sich selbst Gedanken zu machen.

Unsere Professoren lassen ebenfalls wenig eigene Gedanken zu, meinen immer: "Wenn jemand gut argumentiert, sind auch andere Meinungen zulässig." Anscheinend hat das noch nie jemand geschafft. 

In Verhandlungen muss genau zugehört werden und in Sekundenschnelle eine gute Gegenantwort gefunden werden. Das lernt niemand, absolut niemand auf der Universität, sondern in der Praxis. Jeder, der aus dem Studium kommt, fängt wieder bei Null an. 

Wenn ich jetzt Menschen lese, die zu 99 Prozent zitieren, denke ich: "Und, was denkst eigentlich du?" Sich hinter fremden Zeilen verstecken, das ist ein Leichtes, die eigenen sind aber wichtig, denn die sagen etwas über den Menschen aus, keine fremden. Zitiertes sagt nur etwas über die Gedächtnisleistung oder Internetfertigkeit aus, sonst gar nichts. 

Ich gebe zu, ich liebte in der Schule Erörterungen. Zumeist wurde ein Zitat hingeschmissen, dann durfte man sich austoben. 


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Kommentare zu diesem Text


 Gabyi (07.12.24, 21:04)
Ich musste in meiner Diss (Naturwissenschaft) auch ganz viele, sogar sehr viele Zitate anbringen. Das ging gar nicht ohne. Aber ich habe auch sehr viele eigene Schlüsse gezogen und viele eigene Gedanken zum Thema gehabt und geschrieben. Das hat am meisten Spaß gemacht.

LG, Gabyi

 Mondscheinsonate meinte dazu am 07.12.24 um 21:13:
Na gut, Diss muss so sein, hingegen eine Diplomarbeit ist nachgeplapper.

 Gabyi antwortete darauf am 07.12.24 um 21:30:
Hatte vorher eine Diplomarbeit geschrieben, die war auch kein Geplapper ;).

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 07.12.24 um 21:32:
Im Normallfall hast du zu zitieren und Quellen zu analysieren. Das empfinde ich als schweres Geplapper.

 Gabyi äußerte darauf am 08.12.24 um 10:29:
In meinem Fall (nicht normal ?) habe ich zitiert, Quellen gelesen und mit Geplapper hatte das gar nichts zu tun. Konnte meine eigenen Gedanken zum Thema zum Ausdruck bringen und formulieren.

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 08.12.24 um 11:07:
Du hast auch nicht Geisteswissenschaften studiert, vielleicht deshalb..

 Gabyi meinte dazu am 08.12.24 um 11:13:
Am allerersten Anfang hatte ich noch 3 Semester Germanistik studiert. Und DA wurde mir wirklich viel zu viel geschwafelt  :P

 Mondscheinsonate meinte dazu am 08.12.24 um 11:16:
😂😂😂😂
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