Wer heute die Presse und Social Media verfolgt hat, wurde doch sehr an Raymond Queneaus „Exercices de Style“ (1947) erinnert, die Stilübungen, bei denen der französische Autor 99mal dieselbe kleine Geschichte zum Besten gibt, jedesmal aber in einem anderen Duktus.
Die Begebenheit, die heute, am 10. Februar 2025, durch unterschiedlichste Stil-und Betrachtungsmöglichkeiten hindurch konjugiert wurde, spielt aber nicht in Frankreich, sondern in einem deutschen Fernsehstudio. Da trafen zum Fernseh-Duell die beiden aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten aufeinander, zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Es gab (statt Tatort!) neunzig Minuten lang Rede und Gegenrede, alles gerecht verteilt.
Wer im Anschluss daran Markus Söder (CSU) hörte, der musste von einem verkrampft-rechthaberischen Olaf Scholz ausgehen, der allzu Ich-betont und realitätsfern deutlich abfiel gegenüber einem überzeugenden Friedrich Merz ; Lars Klingbeil (SPD) sah degegen einen nicht immer faktensicheren und für ihn nicht mehr vertrauenswürdigen CDU-Kandidaten.
Etliche Wahlforscher sahen tatsächlich Olaf Scholz als „Punktsieger“, während die Kommentare in der überregionalen Presse es genau anders herum werteten – der Herausforderer habe die bessere „performance“ gezeigt. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht wiederum fand beide schwach, sie habe „Not gegen Elend“ gesehen bzw. „geeinte Ideenlosigkeit“.
Juli Zeh, renommierte Autorin zu Gast bei Lanz, wollte sogar erkannt haben: „Leise Gro-KO-Töne lagen in der Luft!“
Detaillierter die Ergebnisse der Forschungsgruppe Wahlen: Während Scholz bei Frauen besser ankam und 43 Prozent der Zuschauerinnen von sich überzeugte (Merz: 29 Prozent), konnte CDU-Chef Merz mit 40 Prozent (Scholz: 30 Prozent) eher die Männer von sich überzeugen. Unter den jüngeren Befragten lag Scholz wiederum deutlich vorn: Von den 18- bis 34-Jährigen entschieden sich 47 Prozent für Scholz und nur 25 Prozent für Merz.
Bei meinen Freunden im Fahrradladen hatte nur einer das Duell gesehen, Markus (32), und der fand, „dass dieser Scholz erstaunlich lebhaft agierte, sich aber viel zu sehr selbst beweihräucherte!“ Und Merz sei souveräner rübergekommen als er erwartet hatte.
Meine Frau, die zuvor immer ein Herz für Scholz hatte und Merz als „zu sehr von oben herab empfand“, gab beiden Kontrahenten die Note „Gut minus.“ Beide hätten erstaunlich sachlich und klar argumentiert – „im Vergleich zu einem Trump oder einer Le Pen können wir in Deutschland froh sein!“
An den Stammtischen werden heute noch ganz andere Versionen dieses Fernseh-Duells zu hören sein. Auch in verschiedensten Dialekten, vielleicht völlig einseitig und total voreingenommen. Vielleicht höhnisch oder defaitistisch. Damit wär dann das Tableau komplett, um Raymond Queneau nahe zu kommen.