Wer schläft sündigt nicht – oder etwa doch?

Bericht zum Thema Schlaf/ schlafen

von  IngeWrobel

 

Von Somnambulismus las ich zum ersten Mal in Günter Grass’ „Blechtrommel“. Er spricht von der „großen Somnambule“ in liebevollem Ton, sodass ich meinte, das müsse etwas Erstrebenswertes sein. Als ich es genau wissen wollte, wurde ich schnell ernüchtert, da die Angehimmelte schlicht und ergreifend eine Schlafwandlerin war.

Allgemein bekannt ist das Bild des Schlafwandlers, der in tranceähnlichem Zustand durch die Wohnung läuft, und manchmal vermeintlich unsinnige Dinge tut. Dabei ist sein Gesichtsausdruck starr und zeigt keinerlei Emotionen. Am nächsten Morgen weiß der Mensch nicht mehr, was er nachts gemacht hat. War sein Wandeln von körperlichem Handeln begleitet, ist er entsprechend müde und entkräftet – zum Beispiel, wenn er Möbel verrückt hat oder handwerkliche Arbeiten beendete, die er am Tag nicht mehr geschafft hat.
Gefährlich wird Somnambulismus in der Regel nur für den Schlafwandler selbst, da er den Drang hat, geradeaus zu „wandeln“ – auch wenn dieser direkte Weg zur Tür oder zum Fenster hinaus führt. In der Regel, wie gesagt.

Doch da lässt mich eine Meldung von stern.de aufhorchen:
Hier wird von dem Fall des Brian Thomas berichtet, der seine Frau erwürgte, und nun nach knapp einem Jahr Untersuchungshaft ohne Strafe wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft in Swansea, Großbritannien, attestierte ihm, für seine Tat nicht verantwortlich zu sein, da er sie „während eines Alptraums“ begangen habe. Thomas gab an, unter Schlafstörungen zu leiden, und seine Frau für einen Eindringling gehalten zu haben. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sprach von einem „einmaligen Fall unter einmaligen Umständen“. (1) 


Eigenartig an der Sache ist, dass ein Schlafwandler normalerweise nur während der ersten Tiefschlafphase aktiv wird – also in der Phase des Schlafablaufs, in der nicht geträumt wird.
Der Fachmann Prof.Dr.med. Volker Faust weist als Ursache für das Schlafwandeln bei Erwachsenen auf „unverarbeitete psychosoziale Konflikte“ hin. (2)

 

Psychosoziale Probleme hatte wohl auch Jules Lowe, auch GB, dessen Stiefmutter gerade gestorben war, als er – angeblich schlafwandelnd – seinen Vater mit einem Hammer erschlug. (3)

Und dann gibt es da noch den Fall von Kenneth Parks, diesmal nicht aus dem UK, sondern aus Kanada, der seine Schwiegereltern attackierte und dabei seine Schwiegermutter erstach. (4) 

Lowe landete auf unbestimmte Zeit in einer psychiatrischen Verwahrung. Parks und Thomas wurden freigelassen, da man sie aufgrund von Somnambulismus für unschuldig erklärte.

Ich finde den Umstand, dass diese drei Tötungsdelikte im engsten sozialen Umfeld, nämlich der eigenen Familie, geschahen, zumindest nachdenkenswert. Schwelte da schon lange ein Hass, eine gewalttätige Phantasie, die nun im Zustand der Trance in Aktivität umschlug?
Mein Rat: Hüten Sie sich vor somnambulen Verwandten, denen sie Böses getan haben. Diese könnten sich „mit schlafwandlerischer Sicherheit“ nächtens an Ihnen rächen.

 


Quellen:

(1) http://www.stern.de/panorama/einmaliger-fall-schlafwandler-erwuergt-ehefrau-verfahren-eingestellt-1523451.html

(2) http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/schlafwandel.html

(3) http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/uk_news/4362081.stm

(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Kenneth_Parks




 




Anmerkung von IngeWrobel:

Heute sah ich eine TV-Sendung über Schlafen & Träumen. Im Verlauf der Dokumentation fiel auch der Name Brian Thomas. Ich erinnerte mich, dass ich über seinen Fall in einer Kolumne berichtete ... voilà, hier ist sie.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (09.03.25, 17:56)
Das habe ich mal erlebt:

Mit einem Freund befand ich mich auf einer Fahrradtour und habe mit ihm in einer Jugendherberge genächtigt. Morgens sagte der Freund: "Das war ja ein Ding, heute nacht, was?"
Es stellte sich heraus, daß es mitten in der Nacht in der Nachbarschaft gebrannt hatte, wir beide am Fenster gestanden, zugeschaut und uns darüber unterhalten hatten.
Ich wußte nichts davon.

Jetzt, nach der Lektüre des Textes, denke ich: Wer weiß? Vielleicht habe ich den Brand sogar schlafwandelnd gelegt?
Das wäre dann 60 Jahre her und - Rechtsprechung hin, Rechtsprechung her - verjährt. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn.

 IngeWrobel meinte dazu am 09.03.25 um 18:02:
Oje, Wolfgang, was schlummert da eventuell in Dir? Muss man/frau sich Sorgen machen?  :D

 Graeculus antwortete darauf am 09.03.25 um 18:15:
Falls es sich um einen Fall von Schlafwandeln handelte, kann ich nur versichern, daß es nie wieder vorgekommen ist bei mir. Insbesondere bin ich niemals neben einer toten Leiche aufgewacht.

 IngeWrobel schrieb daraufhin am 09.03.25 um 18:30:
Mit der Aussage kommst Du bei Gericht nicht durch: "Angeklagter, definieren sie den Unterschied zwischen einer lebenden und einer toten Leiche." 
Die Angst vor Dir bleibt ... huahhh ... zitter ...  :O

 Graeculus äußerte darauf am 09.03.25 um 22:17:
Dann können wir nur hoffen, daß wir einander nicht im Schlaf begegnen.

 Quoth (10.03.25, 18:22)
 Wie Schlafwandler sind wir auf den Abgrund zugetaumelt. Nun steht auf dem Spiel, was wir in den vergangenen 200 Jahren mühsam geschaffen haben: Gesellschaften, die weitgehend friedlich, frei und sicher sind. 
Jeffrey S. Kopstein im Gespräch mit dem SPIEGEL.


Es gibt auch diese Form des Schlafwandelns, und sie ist vielleicht sogar die gefährlichere. Hermann Broch hat ihr in der Romantrilogie "Die Schlafwandler" ein warnendes Denkmal gesetzt, das ich  hier besprochen habe ...

 IngeWrobel ergänzte dazu am 11.03.25 um 01:16:
Ich danke Dir für Dein Lesen und den Kommentar, besonders auch für die Rezension des Broch-Buches, welche ich gerne gelesen habe. Deine Sprache gefällt mir – sagte ich das schon? 
♥ Inge
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