In Parthenope

Bericht zum Thema Schönheit/ Schönes

von  Graeculus

Der Film „Parthenope“ des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino (2024) handelt von einer sehr schönen Neapolitanerin namens Parthenope, die allen Menschen, die es mir ihr zu tun haben, insbesondere den Männern, den Kopf verdreht, dabei aber eigentümlich unvorhersehbar und beinahe unbeteiligt bleibt. (Sie sagt: "Begehren ist ein Mysterium, Sex ist dessen Tod.") Auch läßt sie sich nicht auf Schuldvorwürfe ein. Wo sie stärkere Gefühle zeigt, handelt es sich um ihre Stadt und die oft merkwürdigen Menschen, die sie bewohnen: die morbide Schönheit, kontrastiert mit extremer Häßlichkeit, die Oszillation zwischen Glauben und Aberglauben (das Blutwunder des San Gennaro!), die Eleganz neben der kaum beschreiblichen Armut.


Die Annahme, es handele sich „nur“ um einen Film über eine Frau, wird in Frage gestellt, sobald man sich den Hintergrund bewußt macht, beginnend beim Namen dieser Frau. Parthenope war in der antiken Mythologie der Name einer der drei Sirenen (die beiden anderen: Leukosia und Ligeia), welche den Odysseus und seine Männer zu Schiff mit ihrem Gesang betört haben, um sie zu sich zu locken und damit in einen Schiffbruch zu treiben. Odysseus, der diese Gefahr kannte, veranlaßte seine Männer, sich die Ohren mit Wachs zu verstopfen und ihn selbst – neugierig, wie er war – mit offenen Ohren an den Schiffsmast zu fesseln. Der Gesang war dermaßen betörend, daß er seine Matrosen anflehte, ihn von den Fesseln zu befreien; allerdings konnten sie auch diesen Befehl nicht hören.

Der Sage nach haben sich die drei Sirenen ins Meer vor Italiens Küste gestürzt, dabei die Parthenope dort, wo Griechen, die Süditalien besiedelten, später die Stadt Neapel gegründet haben. „Neapel“ ist ein wenig ansehnlicher Name: Νέα πόλις, d.h. neue Stadt oder Neustadt. In der Antike trug die Stadt aber noch einen zweiten Namen: Parthenope (Παρθενόπη); die Frau wurde dort mit jährlichen Festen gefeiert. Und damit wird klar, daß die Frau im Film, in all ihrer Ambiguität, nicht nur Neapolitanerin ist, sondern auch diese ihre Stadt verkörpert. Das macht den Film hintergründiger, als es zunächst scheint. Eine faszinierende Frau, eine faszinierende Stadt.

Ich bin zweimal dort gewesen, beide Male mit Gruppen von Oberstufenschülern, und kann die Faszination bestätigen – übrigens auch die der in der Bucht von Neapel gelegene Insel Capri, über die im Film gesagt wird: „Neapolitaner fahren dort nicht hin – entweder sind sie zu arm oder zu träge.“

Bestätigen kann ich auch etwas anderes: Die Jugend ist nicht so schlimm, wie Alte es ihr oft nachsagen. Einmal sind wir mit dem Reisebus in die Stadt hineingefahren, und der Busfahrer bemerkte, daß er an dem Parkplatz für Busse vorbeigefahren war. Was tun? Er entschloß sich zu wenden, obwohl das Wenden an dieser Stelle ganz eindeutig verboten war. Sobald der Bus seine Nase um 180 Grad gedreht hatte, sahen wir, welche Folge das hatte: Er fuhr geradewegs, nein, nicht auf eine Sirene, sondern auf einen Polizisten zu, der dort neben seinem Motorrad wartete. Zu spät, nichts mehr zu machen, Schiffbruch unvermeidlich!

300 Euro verlangte der Beamte – 300 Euro, die der Busfahrer aus seinem karg bestückten Portemonnaie begleichen mußte. Und jetzt kam die Überraschung: Spontan entschlossen sich die Schüler, dieses Geld unter sich einzusammeln und dem Mann zu erstatten.

Parthenope kann auf ganz verschiedene Weise Liebe auslösen.


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Kommentare zu diesem Text


 Saudade (01.06.25, 22:53)
❤ Neapel, Capri, Amalfi! 
Der Text ist zu schön, um ins "moderne" Schema zu passen, welches gerade "in" ist. Aber, das muss dir egal sein. Sprachlich wunderbar, schöne Übergänge und endet mit der Caritas.

Den Film habe ich mir seit drei Wochen notiert, warte auf das VOD-Kino oder Prime/YouTube.

 Graeculus meinte dazu am 02.06.25 um 13:59:
Neapel, Bucht von Neapel, Bucht von Sorrent - im Film sagt jemand: "Dies hier ist die schönste Gegend der Welt." Nun, ich kenne nicht so viel von der Welt, aber es ist die schönste Gegend, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte.

Falls Du den Film gesehen hast, bin ich auf Dein Urteil gespannt.

Die Caritas ... ich bin davon ausgegangen, daß Neapel freundlich und wohlwollend stimmt. Zugegeben, den Polizisten nicht.

 Saudade antwortete darauf am 02.06.25 um 18:00:
Dann warst du noch nie in Unawatuna :)

 Graeculus schrieb daraufhin am 02.06.25 um 18:17:
Ist das Dein Lieblingsort?
Ich habe mir mal ein paar Bilder angeschaut. 
Mir würde nach diesen Eindrücken die Verbindung von Natur und antiker Kultur fehlen, die Neapel und Sorrent auszeichnet: kein Neapel, keine antiken römischen Villen, kein Pompeji, kein Herculaneum, kein Capri mit der Villa Iovis ... und - vergessen wir dieses eindrucksvoll-dräuende Objekt nicht - kein Vesuv.

Die Antike ist meine geistige Heimat, und die bildet dort mit der Natur eine harmonische Einheit. Badestrände habe ich dort gar nicht in Erinnerung, und die reizen mich auch nicht sehr.

Jedem Tierchen sein Pläsierchen, aber mir, bitte, die Meer-Villa des Tiberius in Sperlonga.

Antwort geändert am 02.06.2025 um 18:17 Uhr

 Graeculus äußerte darauf am 02.06.25 um 18:20:
Selbstverständlich bist Du mehr rumgekommen in der weiten Welt als ich, und vieles, was ich nie gesehen habe, ist gewiß faszinierend. Doch wie ich Dich kenne, würdest Du nichts davon gegen Wien eintauschen, weil das Deine Heimat ist, die Dich geprägt hat. 
So ähnlich steht es bei mir ... nur weiter südlich, in dem Land, in dem die Zitronen blühen.

 Saudade ergänzte dazu am 02.06.25 um 18:27:
Schönster Ort, ja, aber Lieblingsorte sind Nizza und Paris. SOFORT würde ich Wien verlassen! Es ist nicht mehr so schön...

Antwort geändert am 02.06.2025 um 18:28 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 02.06.25 um 18:53:
Beides, wie Du vielleicht weißt, antike Gründungen: Nizza/Nice: Νίκη (Sieg, Siegesgöttin) von griechischen Kolonisten, Paris: Lutetia von den Römern.
In Paris habe ich nie etwas Antikes gesehen (außer natürlich im Louvre, z.B. die Νίκη von Samothrake), und in Nizza war ich noch nie. Gibt es dort noch Überreste der antiken Siedlung?

 Saudade meinte dazu am 02.06.25 um 19:25:
Ich wüsste jetzt gar nicht. Könnte mich nicht erinnern.

 Graeculus meinte dazu am 02.06.25 um 19:48:
Warum sagt man eigentlich fast immer ital. Nizza, obwohl es doch schon seit Napoleon III. eine französische Stadt ist?

 Tula (01.06.25, 23:13)
Hallo Grec
Den Film kannte ich nicht, aber sehenswert sollte er sein. Neapel habe ich vor vielen Jahren besucht, d.h. bei meinem ersten Urlaub in der freien Welt. Damals ging es mit Bus für 10 Tage auf einen Zeltplatz im Golf von Sorrento. Neapel stand ebenfalls auf dem Programm, wenn auch nur kurz. Chaotisch alles. Parkplätze von der Mafia kontrolliert. Dort hätte man sein Auto mit offenen Türen lassen können, zumindest wenn man die Gebühren bezahlt.

Zurück zum Thema: Die Sirenen sind wohl nicht zuletzt auch das uralte Sinnbild der Frau als Verderben (für den Mann, na klar). Odysseus war ja besonders ehrenhaft und hat allen Versuchungen mehr oder weniger wider- und überstanden. Oder das zumindest nach seiner Rückkehr seiner Gattin erfolgreich erklärt. Die Jahre bei Kalypso ... war natürlich gegen seinen Willen.

LG Tula

Kommentar geändert am 01.06.2025 um 23:15 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 02.06.25 um 06:59:


Du kennst die Männer!

 Graeculus meinte dazu am 02.06.25 um 14:05:
Golf von Sorrento ... ist Dir der Name des Regisseurs aufgefallen?

Die Mafia, d.h. die Camorra soll die Schattenseite Neapels sein. Im Film hat Parthenope auch eine Beziehung zu jemanden, von dem das nicht ausdrücklich gesagt wird, wir aber den Eindruck hatten, daß es sich um einen Mafioso handelte.

Bei einem mittäglichen Essen in einem Ristorante, damals, als wir dort waren, saßen an einem Nachbartisch zwei junge Männer, die wir vor allem wegen ihres üppigen Goldschmucks im Verdacht hatten.

Die Sirenen sind ein altes Symbol für die verlockende Frau; auffällig ist an diesem Mythos, daß sie durch ihren unwiderstehlichen Gesang reizen.
Und Odysseus, das ist ein Trickser, ein Schlawiner; "der Listenreiche" heißt er bei Homer.

 AchterZwerg (02.06.25, 07:05)
Ja, ja,

die Jugend ist weit besser als ihr Ruf,
weder sonderlich faul noch bösartig. 
Und der Schönheit der Sirenen bereits in jungen Jahren zugetan, was in Neapel allerdings nicht besonders schwierig ist.  :D - Falls die nicht durch Polizisten ausgelöst werden.

Kurzweilig erzählt und deshalb gern gelesen.

Grüße aus dem Zwergenland

 Graeculus meinte dazu am 02.06.25 um 14:15:
Die Jugend ist, wie sie immer war: mal so  mal so, jedenfalls ein Reizthema für viele Alte, die sich mitten im Untergang des Abendlandes wähnen.
Gibt eigentlich heute noch Sirenen: Frauen, die durch ihren Gesang verzaubern? Ich zögere, Taylor Swift in diesem Zusammenhang zu erwähnen.
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