Professor Tütelmanns evolutionäres Feature

Satire zum Thema Verwirrung

von  Saira

Professor Dr. Dr. Theobald Tütelmann war eine Koryphäe auf seinem Gebiet – und ein wandelndes Rätsel für die Hausmeister, die seine Aktentasche regelmäßig zwischen Reagenzgläsern im Chemielabor oder im Kopierraum zwischen Papierstapeln und Tonerkartuschen fanden. An diesem Montagmorgen sollte er vor einer vollbesetzten Aula eine Rede über das Verhalten verwirrter Menschen halten. Die Studenten waren gespannt, der Professor suchte – wie so oft – seine Brille.

 

Mit der Würde eines Mannes, der schon vor dem Frühstück drei Theorien widerlegt hatte, trat er ans Rednerpult, räusperte sich und begann:

 

„Meine Damen und Herren, das Verhalten verwirrter Menschen ist ein faszinierendes Forschungsfeld. Nehmen wir den klassischen Fall: Der Betroffene sucht einen Gegenstand, der sich – wie durch Zauberei – stets an dem Ort befindet, an dem er ihn selbst abgelegt hat.

 

In der Verhaltensforschung unterscheiden wir zwischen geplanter Verwirrung – auch bekannt als Montagmorgen – und spontaner Orientierungslosigkeit, die meist dann auftritt, wenn man vor Publikum steht. Besonders spannend ist das Phänomen der sogenannten Pawlowschen Professoren: Sie hören eine Glocke und beginnen, nach dem Hörsaal zu suchen, obwohl sie sich bereits darin befinden.“

 

Er blätterte in seinen Notizen, die sich als Speisekarte der Mensa entpuppten. Darunter fand er den Einkaufszettel seiner Frau: Bananen, Butter, Brot, Milch.

 

„Unsere jüngsten Studien zeigen: Setzt man verwirrte Probanden – zum Beispiel Professoren – in ein Labyrinth, finden sie den Ausgang erstaunlich schnell. Allerdings nur, wenn dort am Ende ein Büchergutschein winkt. Fehlt dieser Anreiz, beginnen sie, mit den Wänden über Kant und den kategorischen Imperativ zu diskutieren – und verlieren regelmäßig gegen die logische Stringenz des Mauerwerks.“

 

Mit einer ausholenden Geste, die beinahe das Wasserglas zu Fall brachte, resümierte er:

 

„Das Verhalten verwirrter Menschen ist also hochgradig situationsabhängig. Mal suchen sie den Sinn des Lebens, mal ihre Brille. Und manchmal beides gleichzeitig. Die Grenze zwischen Forscher und Forschungsobjekt ist dabei fliessend.“

 

Er warf einen Blick auf seine Uhr und schloss:

 

„Abschließend bleibt festzuhalten: Verwirrung ist keine Schwäche, sondern ein evolutionäres Feature. Sie hält das Gehirn flexibel – und die Studenten wach. Gibt es noch Fragen? Oder hat jemand zufällig meine Brille gesehen?“

 

Tosender Applaus. Ein Student zeigte winkend auf die Brille, die aus der Jackentasche von Dr. Tütelmann lugte.

 

Professor Tütelmann nickte dankbar: Die Wissenschaft war wieder ein Stück weitergekommen – zumindest in Sachen Verwirrung.

 

 

 

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025




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