Das letzte Abendmahl in vier Akten

Satire zum Thema Gesellschaftskritik

von  Saira

Es war alles so schön geplant. Endlich mal wieder alle Lieben um mich herum, dachte ich, als ich die Einladung für meinen Geburtstag verschickte. Elf Gäste, die Crème de la Crème meines Lebens:

 

Hildegard (meine Schwiegermutter, die alles besser weiß)

Josef (mein Schwiegervater, der schweigende Kritiker)

Oma Gerda (die sentimentale Traditionalistin)

Onkel Rolf (der ironische Besserwisser)

Beste Freundin Lisa (die Veganerin mit Mission)

Bester Freund Tom (der Foodie mit Instagram-Account)

Schwester Anna (die Perfektionistin)

Mein Ehemann (der schlimmste von allen – der Nörgler, der alles und jeden übertrumpft)

Mein Sohn (der Friedensstifter, der nur will, dass es seiner Mutter gut geht)

Meine Schwiegertochter (die diplomatische Vermittlerin)

Zwei Enkelkinder (die kleinen Wirbelwinde)

 

Das Restaurant ist chic, die Tische sind weiß gedeckt, das Licht ist schmeichelnd. Ich bin stolz auf meine Wahl. Endlich mal ein Abend, an dem alle zusammenkommen, ohne dass jemand kocht oder abwäscht. Was sollte da schon schiefgehen?

 

Der erste Akt: Die Vorspeise

 

Kaum saßen wir, begann Hildegard: „Also, die Stühle sind aber unbequem. Und warum ist es hier so dunkel? Ich kann ja kaum die Speisekarte lesen.“


Josef brummt zustimmend und schiebt die Karte so weit von sich, dass er sie garantiert nicht mehr entziffern kann.


Oma Gerda seufzt: „Früher gab’s wenigstens noch eine Suppe vorweg. Und nicht so neumodischer Kram.“


Onkel Rolf grinst: „Ach, Gerda, das nennt sich jetzt Amuse-Gueule. Klingt halt besser, wenn’s teuer ist.“


Lisa blättert durch die Karte und fragt die Kellnerin: „Gibt es hier auch vegane Optionen? Und ist das Wasser gefiltert?“


Tom zückt sein Handy: „Das Licht ist echt schlecht für Fotos. Wie soll ich das posten?“


Anna mustert die Servietten: „Die sind aber nicht gebügelt. Das ist ja peinlich.“


Mein Ehemann schnaubt: „Typisch, wieder so ein überteuerter Laden, den du ausgesucht hast. Hätten wir doch einfach Pizza bestellt, da weiß man wenigstens, was man bekommt.“


Mein Sohn lächelt tapfer: „Mama, ich finde es richtig schön hier. Und Hauptsache, wir sind alle zusammen, oder?“


Meine Schwiegertochter lächelt freundlich in die Runde: „Ich finde es auch sehr gemütlich. Und die Kinder freuen sich schon auf das Essen, nicht wahr?“


Die beiden Enkelkinder zappeln auf ihren Stühlen und rufen durcheinander: „Gibt es hier Pommes? Und Nachtisch?“


Der zweite Akt: Der Hauptgang

Das Essen kam.


Hildegard stochert im Salat: „Der ist aber trocken. Und die Tomaten sind sicher nicht bio.“


Josef schneidet sein Steak: „Medium rare? Das ist ja noch roh.“


Oma Gerda schiebt die Beilagen beiseite: „Früher gab’s wenigstens Kartoffeln, keine Quinoa.“


Onkel Rolf hebt das Glas: „Na dann, auf den Geburtstag! Hoffentlich ist wenigstens der Wein trinkbar.“


Lisa inspiziert ihr Gericht: „Sind die Nudeln wirklich ohne Ei?“


Tom fotografiert sein Essen: „Wartet, bevor ihr anfangt! Ich brauche noch ein Bild für meine Story.“


Anna prüft die Tischdeko: „Die Kerzen sind schief. Das hätte ich besser gemacht.“


Mein Ehemann probiert sein Gericht und verzieht das Gesicht: „Das ist doch kein richtiges Essen. Zuhause wäre es besser gewesen.“


Mein Sohn reicht mir das Salz: „Mein Essen ist lecker!“

 

Meine Schwiegertochter hilft den Kindern beim Schneiden und sagt: „Lasst es euch schmecken, ihr Lieben.“


Die Enkelkinder schieben das Gemüse beiseite und fragen: „Wann gibt’s Nachtisch?“

 

Der dritte Akt: Das Dessert

 

Hildegard: „Also, ich hätte lieber einen Apfelstrudel gehabt.“

 

Josef: „Das ist mir zu süß.“

 

Oma Gerda: „Früher gab’s wenigstens noch einen Schnaps danach.“

 

Onkel Rolf: „Was soll das, Oma, du bist doch gerade erst trocken!“

 

Lisa: „Ich kann das nicht essen, da ist Gelatine drin.“

 

Tom: „Das Dessert ist völlig überbewertet.“

 

Anna: „Die Deko ist schief.“

 

Mein Ehemann lehnt sich zurück, verschränkt die Arme und verkündet laut: „Das war der schlechteste Geburtstag aller Zeiten. Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden.“

 

Mein Sohn sieht mich mit großen Augen an und flüstert: „Mama, ich hab dich lieb. Nächstes Jahr kommst du zum Essen zu uns.“

 

Meine Schwiegertochter: „Schwiegermama, du hast diesen Mann geheiratet und damit auch den Rest der Familie.“

 

Die Enkelkinder staunen über die schlechte Laune der Erwachsenen.

 

Der letzte Akt: Das Finale

 

Ich blicke in die Runde. Die Stimmen werden lauter, die Beschwerden schriller. Mein Ehemann und Onkel Rolf liefern sich ein Duell im Nörgeln, Hildegard und Anna streiten über die richtige Falttechnik von Servietten, Lisa hält einen Vortrag über Tierwohl, Tom postet ein Bild mit dem Hashtag „FoodFail“, Oma Gerda schimpft über die Jugend von heute und Josef schweigt so laut, dass es fast knallt.

 

Ich stehe auf, hebe mein Glas und sage mit eisiger Ruhe:

„Danke, dass ihr alle gekommen seid. Es war… unvergesslich. Nächstes Jahr feiere ich allein. Mit Pizza. Und Rotwein. Und Netflix. Ohne euch!“ Meinem Sohn blinzle ich zu. Er versteht mich, meine Schwiegertochter auch.

 

Ich setze das Glas ab, drehe mich um – und lasse sie alle sitzen. Das letzte Abendmahl. Endlich vorbei!

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025




Anmerkung von Saira:

Wer jetzt denkt, das sei meine Familie, der täuscht sich. Ähnlichkeiten sind rein zufällig. :)

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Kommentare zu diesem Text


 Moppel (25.07.25, 20:26)
sowas gibt es, Saira. Und gar nicht so selten. Unsere Familienfeiern waren immer schon, harmonisch. Wirklich. Aber leider sind alle schon gestorben...
Und heute feiere ich nicht mehr großartig. Die Kinder kommen, Töchterchen kocht und wir machen es uns einfach gemütlich.
lG- gern gelesen und geschmunzelt von M.

 Saira meinte dazu am 26.07.25 um 09:02:
Moin Moppel,

glücklicherweise habe ich diese Art von Familienfeiern auch nicht erleben müssen, aber in kleinen Teilen gibt es durchaus Prallelen, die ich beobachten konnte. 

Ich freue mich, dich zum Schmunzeln gebracht zu haben.

LG

Saira

 Teo (25.07.25, 21:36)
Hm...also, du hättest schon früher dazwischen gefunkt, so schätze ich dich ein. Ansonsten sitzen da schon eine Menge Menschen, die unbedingt ihren Senf dazugeben müssen. Wir hatten nun auch eine große Familie. Dazu eine zahlreiche Verwandschaft. So völlig harmonisch liefen da die Feiern und Festessen auch nicht ab. 
Du beschreibst natürlich eine sehr lebendige und mitteilsame Familie.
Dazu noch unterhaltsam.
Aber, wie Anfang beschrieben...du hättest zeitig für Ordnung gesorgt.
Trotzdem...lesenswert.
Es grüßt 
Teo

 Saira antwortete darauf am 26.07.25 um 09:03:
Moin Teo,

wenn andere angegriffen werden, stehe ich auf und zeige meine Widderhörner.  Geht es um mich, dann kann ich auch schweigen, aber ich ziehe Konsequenzen.

Danke für dein Feedback!

Liebe Grüße
Sigi

 eiskimo (25.07.25, 21:45)
Du zeigst nicht nur eine schwer zu ertragende Familie - Du zeigst vielmehr das Auseinanderfallen einer Gesellschaft, die von Egoismus und Respektlosigkeit getrieben ist und keine Antenne mehr hat für höhere Werte (altmodisch ausgedrückt:  Dankbarkeit, Einfühlungsvermögen, Herzensgüte, Gemeinsinn...)
Dass viele bei Pizza, Rotwein und Netflix enden, ist die Quittung. 
LG
Eiskimo

 Saira schrieb daraufhin am 26.07.25 um 09:04:
Moin Eiskimo,

mit deiner Interpretation triffst du genau meine Intention zu dieser Satire. Sie soll ein Spiegelbild unserer immer stärker werdenden empathielosen Gesellschaft darstellen. Alles dreht sich nur noch um das eigene Ego.

Ich danke dir!

Liebe Grüße
Saira

 AchterZwerg (26.07.25, 06:48)
So - oder ähnlich, spielt sich manches Familientreffen ab.
Nach außen hin wird aber die scheinbare Idylle aufrecht erhalten ("Wissen Sie, mein Sohn ist, Gottseidank, sehr fürsorglich ...")
Wie die Legende des Muttermythos ... die stimmt ebenfalls oft nur zu einem geringen Anteil mit der Realität überein.  ;)
Sicherlich gibt es sie, die wirklich glückliche Familie, aber eben eher selten.

Gern geschmunzelt
Heidrun

 Saira äußerte darauf am 26.07.25 um 09:06:
Liebe Heidrun,

die Fassade zu erhalten ist bei vielen, da bin ich mir sicher, ganz wichtig. Wie oft wird Doppelmoral gelebt. 

Ein Beispiel möchte ich gerne erzählen, aus meiner eigenen Familie:
Es ist Jahrzehnte her und zwei Onkel von mir stritten sich gerne auf Familienfeiern bei uns. Der eine war im Zweiten Weltkrieg bei der SS und bis zu seinem Tod (er wurde 99 Jahre alt) Ehrenmitglied bei der NPD. Der andere Onkel: reich, arrogant, egoistisch. Die beiden wurden einmal sogar handgreiflich. 

Im Umfeld war der Onkel von der SS erstaunlicherweise ein herzensguter Mensch, der im Ostblock unterwegs war und arme Menschen mit seiner guten Rente unterstützte. Der andere Onkel umgab sich nur mit „angesehenen“ Menschen aus der Politik und Wirtschaft und sah zu, sein Eigentum zu vermehren. Soziales Denken war ihm fremd. Nach außen hin zeigte er sich als gläubiger Christ. 

Mit herzlichen Grüßen
Sigi

Antwort geändert am 26.07.2025 um 09:07 Uhr

 TassoTuwas (26.07.25, 09:15)
Moin Sigi,

alle die jetzt schmunzeln denken insgeheim, "Kommt mir sehr bekannt vor!"
Familie ist eben beides, manchmal Idylle, manchmal Hölle, aber immer Baustelle!

Wenn aber die Geschichte mit so viel Augenzwinkern und Humor geschildert wird, kann man vermuten, der/die Erzähler*in lässt sich nicht unterkriegen  :) !

Ich wünsche dir ein harmonisches Wochenende
TT

 Saira ergänzte dazu am 26.07.25 um 13:11:
Moin Tasso,
 
Familie ist der einzige Ort, an dem man gleichzeitig geliebt und in den Wahnsinn getrieben wird.  :ermm:
 
Ich wünsche dir ein entspanntes Wochenende, möglichst ohne Familien-Großbaustelle!
 
Herzliche Grüße
Sigi

 plotzn (26.07.25, 12:05)
Gut getroffen, Sigi!

Erinnert mich ein bisschen an die Gerhard Polt Serie "Fast wia im richtigen Leben".

An der "FoodFail" stelle musste ich laut auflachen. Passt zum Zeitgeist.

Liebe Grüße
Stefan

 Saira meinte dazu am 26.07.25 um 13:11:
Servus Stefan,
 
ich nehme das als Ritterschlag … Polt ist schließlich der Meister des Alltagswahnsinns.
 
Wie schön, dass ich zum Lachen bringen konnte. :)
 
Liebe Grüße
Sigi
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