Das Bürgergespräch

Satire zum Thema Ignoranz

von  Saira

Der Zettel hing seit drei Tagen am schwarzen Brett. Zwischen Sperrmülltermin und Chorprobe.

„Bürgergespräch. Teilnahme freiwillig.“ Darunter in kleiner Schrift: „Begrenzte Plätze.“

Oma Trientje Janssen blieb stehen. Las langsam. Nicht alles. Nur die Uhrzeit. Dienstag passte. Dienstag war nichts. Vielleicht gab es Kaffee und Kuchen.

˜ ˜ ˜

Am Dienstag kam außer Oma Trientje niemand. Die einen arbeiteten. Die anderen hatten Arzt. Ein paar blieben weg, weil sie nichts Falsches sagen wollten. Andere, weil sie nicht ganz sauber waren. Wegen der falsch angegebenen Stunden. Wegen der Freundin, die noch mitwohnte. Wegen des Einkaufs letzte Woche, der ohne Piepen durchging. Man weiß ja nie, wer zuhört. Und was plötzlich relevant wird.

So war Oma Trientje Janssen die Einzige. Im Büro der zuständigen Stelle roch es nach Kaffee und Drucker. Eine junge Frau mit Ordner fragte nicht viel.

„Sie wohnen schon lange hier?“
– „Jo.“

„Sie können ruhig erzählen, wie es Ihnen geht.“
– „Dat kann ik.“

„Es geht nicht um Forderungen.“
– „Gut.“

Das klang machbar. Man gab ihr einen Stuhl. Nicht den guten. Den mit dem wackelnden Bein. Oma Trientje sah ärmlich aus. Der Mantel alt. Zu dünn. Die Nylonstrumpfhose hatte ein Loch am Knie. Sie zog den Rock ein Stück nach unten.

 Ein Mann mit Headset kam kurz rein. Schaute auf seine Liste. Sah den leeren Raum. Nickte trotzdem. Im Flur wurden Kabel ausgerollt. Leise. Routiniert.Zwei Kameras wurden aufgebaut. Eine von vorn. Eine schräg von der Seite. Für Nähe.

Ein Licht ging an. Nicht grell. Beruhigend.

Oma Trientje zog die Jacke aus. Zog sie wieder an. Ihr war kalt. Und ein bisschen leer im Bauch. Sie hatte nicht gefrühstückt. In der Hoffnung, dass es Kaffee gäbe. Und vielleicht ein Stück Kuchen. Irgendwas mit Streuseln.

„Sie müssen nichts vorbereiten“, sagte jemand. „Einfach erzählen.“

Sie dachte an Ostfriesland.
An den Wind am Haus.
An den Mann, der die Fenster selbst eingesetzt hatte.
An den Brief mit der Steuer.
An den nächsten Brief.
Und den nächsten.

Sie dachte nicht an Politik.

„Wir holen Sie gleich“, sagte die junge Frau. Lächelte. Viel zu breit.

Oma Trientje nickte.

Im Flur hörte man Schritte. Mehrere. Gedämpft. Dann Stimmen. Ruhig. Geübt. Eine Tür weiter öffnete sich.
Jemand lachte kurz. Ein anderer sagte: „Noch zwei Minuten.“ Die Kameras liefen schon. Dann ging die Tür auf.

Bundeskanzler Merz kam herein. Nicht hastig. Nicht langsam. Begleitet von zwei Leuten, die stehen blieben.

Er lächelte und bedachte Oma Trientje mit einem Dackelblick. Er reichte ihr die Hand.

„Guten Tag, Frau Janssen. Schön, dass Sie da sind.“

Sie blieb sitzen. Nahm die Hand. Drückte vorsichtig.

„Jo“, sagte sie.

Der Bundeskanzler setzte sich. Ordnete seine Unterlagen. Sah kurz in die Runde. Sah, dass niemand sonst da war. Sagte nichts. 


Journalist:
Herr Bundeskanzler, Frau Janssen, danke, dass Sie sich Zeit nehmen. Herr Merz, was geben Sie den Menschen mit ins neue Jahr?

Merz:
Stabilität, Zuversicht und Vertrauen. Gerade jetzt ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden.

Oma Trientje:
Ruh heff ik.
Ik kann ruhig.
Dat heff ik lehrt.

Journalist:
Herr Merz, viele Menschen sorgen sich um ihre finanzielle Lage.

Merz:
Wir haben gezielt entlastet und unterstützen Menschen mit kleinen Einkommen.

Oma Trientje:
Ik krieg 947 Euro.
Miet: 623.
Stroom: kummt, geiht.
Eten: wat dor is.
Den Rest hol ik mi ut de Busken
un ut de Mülltünnen.

Der Bundeskanzler ignoriert den Vorwurf.

Merz:
Gerade ältere Menschen sollen würdevoll leben können.

Oma Trientje:
Wüürdig?
Man leevt.
Dat mutt langen.
Ik sammel Buddels.
Frööh.
Wenn dat noch still is un keen tokiekt.

Journalist:
Frau Trientje, Sie kommen aus Ostfriesland. Warum leben Sie heute hier im sozialen Brennpunkt Mümmelmannsberg?

Oma Trientje:
Ik bün van Ostfreesland.
Dörp achter Leer.
Huus dicht bi d’See.
Wind üm’t Huus.
Solt in de Luft.
Dat Huus hett mien Keerl Fiete baut.
Mit Hannen.
Na Fieravend.
Johr för Johr.
Denn is he doodgahn.
Un denn keem de Briefe.
Grundsteuer.
Heizung.
Reparaturen.
All seggt:
„Dat schaffst du nich mehr.“
Dat Meer blifft.
Ik mutt weg.

Journalist:
Warum Hamburg?

Oma Trientje:
Se seggt:
Hier is dat billiger.
Hier gifft dat Hülp.
Ik heff nix mehr hört.
Bloots Autos.
Un de Bahn.
Dat Meer hör ik nich mehr.
Dat fehlt.

Merz:
Wir setzen auf soziale Teilhabe und gezielte Hilfen.

Oma Trientje:
Ik krieg Post.
Stapels.
All seggt:
„Keen Anspruch.“
„Nich zuständig.“
Dat heet denn mitmaken.
Bloots ahn Geld.
Un ahn een,
de mi tohöört.

Merz blickt gelangweilt in die Luft

Journalist:
Herr Merz, viele Menschen frieren im Winter.


Merz:
Wir haben umfangreiche Energiehilfen beschlossen.

Oma Trientje:
Ik heff de Heizung ut.
Pullover an.
Noch een.
Un noch een.
Wenn dat nich langt,
kook ik Tee
un holl de Beeker fast.
Dat maakt warm.
Kort.

Merz:
Energieeinsparung ist auch ein Beitrag zum Klimaschutz.

Oma Trientje:
Ik bün keen Klima.
Ik bün een Oolt.
Un ik bün kalt.

Journalist:
Fühlen Sie sich von der Politik gesehen?

Oma Trientje:
Wenn ik stöör, ja.
Wenn ik leev, nich.

Merz:
Niemand wird in diesem Land zurückgelassen.

Oma Trientje:
Doch.
Bloots still.

Journalist:
Herr Merz, Sie sprechen oft von Leistung.

Merz:
Leistung ist das Fundament unseres Wohlstands.

Oma Trientje:
Ik heff 46 Johr putzt.
Scholen.
Trappen.
Büros.
Nu kriech ik in Parks rüm.
Na Buddels.
Wohlstand seh ik nich.
Bloots dat, wat över is.

Merz:
Es ist wichtig, dass Unterstützung verantwortungsvoll eingesetzt wird.

Oma Trientje:
Verantwortungsvoll?
Nich bi mi.

Journalist:
Viele Menschen empfinden Entscheidungen als alternativlos.

Merz:
Alternativlos ist manchmal Ausdruck von Verantwortung.

Oma Trientje:
Alternativlos is:
Eten
oder Medizin.
För beides reicht dat nich.
So süt dat ut.

Merz:
Wir wollen soziale Sicherheit stärken.

Oma Trientje:
Ik heff Angst.
Dat is seker.

Journalist:
Wovor haben Sie Angst?

Oma Trientje:
Vör de AfD.
Dat segg ik klor.
Dat is Faschismus 2.0.
Nich mit Stiefel.
Mit Jacket.
Se snackt fein.
Se seggt Ordnung.
Un meint:
Minsken sorteren na Nationalität.
De niee Genozid.

Merz:
Populismus lebt von Verunsicherung und einfachen Antworten.

Oma Trientje:
Nee.
De leevt vun Hunger.
Un vun Kälte.
Un vun Minsken,
de nix mehr to verlieren hebbt.

Journalist:
Was macht Ihnen konkret Angst?

Oma Trientje:
Mien Grootkinner.
De sünd nich blond.
De sünd nich still.
Ik heff Angst,
dat se seggt kriegt,
dat se nich passt.
Oder to veel sünd.

Merz:
Unsere Demokratie ist stark und wehrhaft.

Oma Trientje:
Se snackt bloots.
Se doot nix Goots.
Dat is allens bloots Snack.

Journalist:
Herr Merz, ist die Demokratie in Gefahr?

Merz:
Sie steht unter Druck, aber wir werden sie schützen.

Oma Trientje:
Dat seggt ji johrlang.
Un ji maakt nix.

Journalist:
Ein letztes Wort zum neuen Jahr?

Merz:
Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam die Herausforderungen meistern.

Oma Trientje:
Ik bün nich toversichtlich.
Ik bün vörsichtig.
Un müüd.
Un ik pass op
op de Kinner.

Journalist:
Vielen Dank für das Gespräch.

Merz:
Vielen Dank.

Oma Trientje:
Jo.
Ik mutt nu los.
Pfand sammelt sik nich
vun sülvst weg.

 

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025



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