Nerven wie Drahtseile, Teil II

Erzählung zum Thema Familie

von  tastifix



Es bimmelte. Bimmeln? Nein, da hieb jemand auf die arme Schelle unseres Hauses ein, als ob er die Meinung vertrat, die wäre nun wirklich mehr als lange  genug funktionstüchtig gewesen.

Ich hatte mich, meine Zwillingstöchter waren in der Schule, zum Relaxen auf die Wohnzimmercouch gelegt und war offensichtlich fest eingenickt. Ein frustrierter Blick auf die Uhr genügte, um infolge noch frustrierter folgerichtig festzustellen: Mamas Schonzeit war vorbei, und was sich da die Seele aus dem Leib klingelte, war keiner dieser unverschämten Möglichst-in-der-Mittagszeit-an-der-Tür-Verkäufer, sondern weiblichen Geschlechts, 20-jähriger Zwilling und hieß Kati. Tinas Schellen klang dezenter. Wenn Tochter Nr.3 überhaupt ´mal schellte. Im Gegensatz zu ihrer um zwei Minuten jüngeren Schwester und zu meinem Glück liebte dieses Kind seinen Hausschlüssel über alle Maßen und vergaß ihn fast nie.

„Hallo Töchterchen! Sag` ´mal, ist etwa dein Schlüssel weg?“ Hilflos-verlegenes Grinsen der jungen Dame vor mir. Fast unhörbar brummelte sie: „Irgendwo unten in der Tasche!“ Moment, sollte das etwa heißen, dies süße Geschöpf ließ Mama nach Herzenslust flitzen, nur weil es zu faul war...??! Ich rang gar nicht so ganz unhörbar nach Luft, hub an zu einem gepfefferten Begrüßungsdonnerwetter: “Das ist doch wohl...!“ Weiter kam ich nicht. Hinter Katis gelbblondem Lockenschopf zeigte sich ein bräunlicher Fast-Bubikopf, der mit Tinas Stimme nun zweifelsohne Partei fürs Schwesterchen ergriff: „ Ach Mama. Du hast ja null Ahnung, wie anstrengend das heute in der Schule war. Der blöde Direx spinnt. Noch nicht einmal, wenn`s draußen kocht, gibt der frei!“

Charakteristisch für Tina, ihre Schwester zu verteidigen. Bekanntlich ein für Zwillinge typisches Verhalten. Kam es drauf an, hielten die zusammen. Meine notfalls auch gegen mich. Schon halb weich gekocht und willens, ein Auge zuzudrücken, verbarg ich aber noch(!) diese Regung innigster Mutterliebe und meckerte: „Was hat denn das mit dem Hausschlüssel zu tun?“ Ich drehte mich zu Kati: “Noch einmal bringst du mir das nicht. Beim nächsten Mal stehst du so lange da vor der Tür ´rum, bis Tina nach Hause kommt! Selbst wenn`s Stunden dauern sollte!“ Ende der Diskussion. Finito! Bescherte mir diese doch recht Furcht einflößende Gardinenpredigt vielleicht sogar für den restlichen Nachmittag aufmerksame, rücksichtsvolle Töchter und somit Ruhe und Frieden?

Mamas hofften immer, auch nach über zwanzig Jahren des Umganges mit den lieben Kleinen noch. Eigentlich hätte ich ja längst spitz gekriegt haben sollen, dass derart liebevolle mütterliche Ansprachen am Nachwuchs in der Regel einfach abprallten. Zumal meine Kati mit ihren Gedanken garantiert bei ihrem „Sting“ weilte. Ging es um dessen musikalischen Ergüsse, hätte sie sich doch glatt noch ein Hörgerät besorgt, um auch ja keinen einzigen Ton zu verpassen. War ja auch „Sting“ und nicht Mama.

Also, die Rücksichtsnahme währte gerade ´mal fünf Minuten. Nämlich so lange, bis ich mich ahnungslos der Treppe nach oben näherte. Was entdeckte ich denn da mittig vor der untersten Stufe? Das waren unzweifelhaft Tinas Turnschuhe. Deren Kürübung: Stolperhilfe! Ungewöhnlich ordentlich standen sie da Seite an Seite. Sonst flegelten die sich meistens munter kreuz und quer im Abstellraum herum.  Ich stöhnte auf. Konnte sie denn nicht...? „Tina!“, rief ich in Richtung Keller, „was sollen denn deine Schuhe schon wieder da vor der Treppe?“ Einen Moment Stille, dann kam pikiert von unten: „Mama, die brauch ich doch gleich wieder...!“ Ich war geplättet. Von wem hatte sie das bloß??

„Du bequemst dich jetzt sofort hierher und beförderst die Dinger schnellstens in den Abstellraum!“, verlangte ich. Nanu, kein Widerspruch? Tina fischte sich ihre Schuhe, stolzierte langsam mit versteinertem Gesichtsausdruck an mir vorbei zur Rumpelkammer. Es machte klatsch. Aus der nicht unbeträchtlichen Höhe von circa einem Meter knallten die Latschen auf den Boden. Noch immer stumm wie ein Fisch schloss sie dann sogar die Türe des Abstellraumes. Stand Tina etwa unter Schock? Normal war das nicht. Normalerweise blieb diese Luke weit offen, damit auch jeder Neuankömmling sich beim Betreten der kleinen Vordiele zur Begrüßung erst einmal eine hübsche, dann die Stirn deutlich sichtbar zierende Beule holte. Autsch.

Die Schuh-Episode war nicht unbeobachtet geblieben. Zu meiner Familie zählte ja ein vierbeiniges Kind namens „Knödelchen“. Und Knödelchen hatte alles von Beginn an aus großen braunen Hundeaugen aufmerksamst verfolgt. Vielleicht wäre es ja doch einen Versuch...? Trabte los, holte seinen Lieblingsknochen unter der Kücheneckbank hervor und ließ ihn mitten auf den Teppich in der Diele fallen. So mitten, dass jeder gezwungen war, wollte er auf diesem Ding nicht ausrutschen und sich dabei schlimmstenfalls den Hals brechen, staksig wie ein Storch darüber hin weg zu stelzen. „Knödel, der gehört nicht hier hin. Bring den in dein Körbchen!“ Mein Hund rührte sich natürlich nicht von der Stelle, legte den Teddykopf schief und guckte mich keck an: „Wau!“ Ach nein, bitte bitte nicht! Ein letzter zaghafter Beschwörungsversuch: „Den brauchst du doch nicht...etwa auch gleich schon wieder...? Keine Chance. Seine rigorose Antwort: „Wuff!“ Ich hatte es ja befürchtet. Also der auch. Mit keckem Seitenblick aus den Augenwinkeln zu mir legte sich Bärchen ostentativ nieder, schnappte sich sein Schluckerzeug und kaute genüsslich drauf rum. Soo(!) musste Hund(!) nichts irgendwohin bringen.

Der Nachmittag würde heiter werden. Ja,  und sogar noch heiterer.
Nachwuchs, der erschöpft aus der ollen Schule zurück war, hatte Hunger. Also her mit dem Mittagessen! Nur gut, dass ich auf alles gefasst war. Den Tisch nett gedeckt, (schließlich isst das Auge mit). Und: „Katja, Tina!“ Mir blieb keine andere Wahl. Aufs Haustelefon reagierten meine Töchter nämlich schon lange nicht mehr. Das ignorierten sie tunlichst. Das störte ja nur beim Chatten.

Natürlich schwieg sich auf meinen ersten Lockruf hin wie üblich alles aus. Weder hörte ich Tinas leise Schritte auf der Treppe von oben noch auch nur den leisesten Antwortpiepser aus dem Hobbyraum im Keller, wo aber unter Garantie Katja wie in Trance die arme Computertastatur quälte, um mit ihrem Chatfreund leidenschaftlich Stings Qualitäten zu diskutieren. Komisch, so fertig Tochter Nr.4 von der Schule war...dafür(!) reichte die verbliebene Energie selbst im angeblich halbtoten Zustand denn doch noch.

Es vergingen die Minuten. Ich war schon leicht angesäuert und entsprechend heftiger fiel die zweite Aufforderung zum Appell aus. Aber immerhin fügte ich diesmal noch(!) das Wörtchen „bitte“ hinzu. „Kommt jetzt bitte zum Essen. Es wird alles kalt.“ Was war denn das? Da rührte sich doch etwas. Nein, Knödelchen meinte ich jetzt ausnahmsweise nicht, obwohl der natürlich sofort begeistert in Richtung der geliebten Küche spurtete. Tina hatte offensichtlich Hunger und zeigte sich bereits nach wenigen Sekunden. „Mama, Katja telefoniert bestimmt gerade!“, meinte sie beschwichtigend, als sie meine Unheil verkündende Miene sah. „Quatsch! Sie hockt garantiert vor´m Computer und flirtet sich die Seele aus dem Leib!“,  gab ich wütend zurück.

Ein letzter Versuch: „Katja, würdest du die Güte haben und endlich kommen? Sonst essen wir halt ohne dich!“ brüllte ich mit voller Kraft durchs Haus. Offensichtlich hatte ich diesmal die richtige Phonzahl erwischt. Nach einer weiteren Minute waren bedächtige Schritte auf der Treppe zu vernehmen. Und noch eine weitere Minute später stand sie tatsächlich im Türrahmen, mit einer Mimik, die deutlich besagte: „Ich hoffe, dir ist klar, welch eine Gnade es bedeutet, dass ich meine überaus wichtige virtuelle Kommunikation allein eines dermaßen banalen Ereignisses wie dem eines Mittagessens wegen unterbreche.“

„Oh Gott!“, dachte ich dazu. „die hat eindeutig Mattscheibe.“ Und fragte in ironisch-bissigem Tonfall: „Hat der da unten etwa eine negative Äußerung über Sting fallen lassen, dass du doch tatsächlich bereits nach dreimaligem Rufen endlich hier auftauchst...??“ Blasiertes Schulterzucken, ein verständnisloser Blick meiner Tochter: „Häh?“ Diese überaus intelligente Reaktion ließ mich darauf schließen, dass Kati jetzt tatsächlich körperlich und nervlich mit ihren Kräften am Ende war. Ich schonte sie und verbiss mir eine zweite, dann unter Garantie noch  biestigere Bemerkung. Aber: „Die..Gedanken..sind..frei...!“

Wir saßen am Tisch. Endlich.  Saßen? Ja, hm, so konnte man das eventuell mit viel gutem Willen nennen. Zwilling Nr.1 ließ die Beine im Halbspagat seitlich am Tisch herum baumeln, Zwilling Nr.2 bevorzugte den Schneidersitz. Deren Beine also baumelten nirgendwo herum. Schon gar nicht unterm Tisch, wo sie eigentlich hin gehört hätten. Klar, dass ich bei diesem charmanten Anblick mich schon wieder auf den Weg auf die berühmte Palme machte, erstaunlich schnell von einem Wedel zum nächst höheren kletterte. Was hatte ich all die Jahre meinen Kindern „von wegen Tischsitten“ gepredigt? War das das Ergebnis? Mir graute es. Ich machte mir Luft: „Ellbogen vom Tisch, Beine gefälligst unter den Tisch!“

Mit dem, was dann kam, hatte ich nicht gerechnet. Meine Beiden schossen blitzschnell, dann zu schnell für mich, ihre Mama, wie auf Absprache ihre verbalen Geschütze ab. „Mama, kann man sich nicht erst einmal ausruhen?“ Das war Kati. Ich kam gar nicht dazu, auf diese so hilflose Anfrage meines offensichtlich total erschöpften Töchterchens das Richtige zu erwidern, denn da ereilte mich schon die noch deftigere Offensiv-Kugel meines Tinchens. „Mensch, Mama, heute ist das alles anders!“ Ich konterte: „Weisste was, gute Tischmanieren haben noch nie jemandem geschadet. Früher nicht und heute auch nicht!“

Kati verdrehte die Augen zur Zimmerdecke. Tina sah mich erst belustigt, dann zunehmend besorgt an: „Mama, in welchem Jahrhundert lebst du eigentlich...?!! Ich: „Allerdings im jetzigen!“ Spöttisches Grinsen. „Nee, wahrscheinlich 1800 oder besser 1700 oder...vielleicht...?? Oha, Töchterchen hatte mich gedanklich in eine Zeitmaschine verfrachtet, die bemerkenswert fix rückwärts rauschte. Doch, was sie garantiert nicht erahnte, war mein sich mit jedem weiteren Jahrhundert zurück ganz beachtlich steigerndes Vergnügen bei dem Gedanken, dass ich ihren Plan zur Rettung des eigenen Images sehr bald durchkreuzen könnte. Ihr sowieso an den Haaren herbei gezogenes Argument ad absurdum führen würde..

Inzwischen waren wir bereits im frühen Mittelalter angelangt. Ich las an ihrer angespannten Mimik ab, wie es in ihr arbeitete. Amüsiert gönnte ich ihr noch eine kurze Galgenfrist. Nur noch wenige Sekunden und ich setzte mein altkluges Töchterchen „schachmatt“. Zu meinem Pech mutierten die „ein paar Sekunden“ zu Kaugummi-Ausgaben. Meine Ungeduld und die Freude auf hämischen Triumph ertrugen es nicht länger. Ich platzte los: „Tina, falls du vor hast, mich in die Steinzeit zu verfrachten, bist du aber mit deiner These aufgeflogen. Ich glaub`, die kannten noch keine Tischmanieren. Da gab` es, soweit ich mich erìnnere, nämlich noch keine Tische!“

Hach, war das schön, sie sprachlos da sitzen zu sehen. Das überhebliche Getue war urplötzlich wie weggeblasen. Tina blieb mir doch wirklich eine ihrer sonstigen schlagfertigen Antworten schuldig. Ironisch grinsend setzte ich noch eins drauf: „Damals hieß es höchstens:  „Spuck nicht so unverschämt in der Gegend `rum. Und dein durchgelutschter Fleischklumpen gehört nach draußen, nicht auf Papas Fellschlafstatt.“ Meinem geliebten doppelten Nachwuchs verschlug diese hochintellektuelle Erklärung ihrer Mama fast die Sprache. Ihre deshalb umso weniger intellektuelle Antwort erschöpfte sich denn auch in: „Ha ha, weisste...!“ 100%-iger Sieg auf der ganzen Linie. Deshalb beinahe übermütiger Stimmung wandte ich nach beendeter Mahlzeit dem Mittagstisch den Rücken und mich anderen Hausarbeitspflichten zu.

Ich ahnungsloser Engel. Mein täglicher Kontrollgang in punkto Aufräumen war an der Zeit. Hätte ich das doch nur auf den nächsten, besser den übernächsten Tag verschoben. Meine Nerven sollten gehörig flattern. Dass meine lieben kleinen großen Töchter alles, aber auch wirklich alles da stehen und liegen  ließen, wo sie es gerade gebraucht bzw. benutzt hatten, war ja nichts Neues. Doch diese ätzende Angewohnheit bauten sie in Zwillingssolidarität zu einem ihrer Lieblingshobbys aus, was mich dann öfters zur Weißglut brachte. 

Kennen Sie diese sog. grünen Flaschen? Richtig, die mit dem Sprudel ohne Kohlensäure? Neuerdings galt ja z.B. der Gerolsteiner Sprudel, da „mit“, als gesundheitsschädlich. Darum waren meine Töchter denn schleunigst auf dieses Pseudoleitungswasser umgestiegen und versuchten, auch mich davon zu überzeugen. Als letzte Begründung führten sie jedes Mal an: „Mama, und außerdem kann man davon viel mehr auf einmal trinken. Das strengt das Herz nicht so an.“ Mir egal: Mein Herz musste sich anderer Dinge wegen noch viel mehr anstrengen. Das(!) würde es also gerade noch schaffen. Genau das verklickerte ich meinem Nachwuchs und erntete verständnisloses Kopfschütteln. Zusätzlich eine wachsend fürsorglich-ängstliche Miene, als ob ich des Gerolsteiner Kribbelwassers wegen schon zu den Todeskandidaten der nächsten Tage zu zählen wäre.

Das Nest dieser besagten Fläschchen befand sich, wie sich das für ordentliche Flaschen jeglicher Art ziemt, in Gestalt hübsch bunter Kästen im Vorratskeller. Doch deren Inhalt erwies sich eindeutig als Rekordnestflüchter. Gemessen an der Zahl der pro Tag vermissten Flaschen hatte ich anscheinend ein vierblättriges Säuferkleeblatt groß gezogen. So fix, wie diese Behältnisse in sämtliche Winde verschwanden, konnte einfach kein Mensch trinken. Und weil das nun mal so war, zog ich die logische Schlussfolgerung: Die flogen alle noch irgendwo im Hause herum. Aber wo...?

Kommissarin Mama zäumte auf der Spurensuche das Pferd von hinten auf. Anstatt zuerst einmal die Jugendetage vom Neongrün zu befreien, setzte ich da an, wo ich gerade war, nämlich im Keller. Waschküche: Nichts. Papas Arbeitszimmer war auch verschont worden. Doch dann...im Hobbyraum: Der Herdentrieb alles Lebendigen galt augenscheinlich auch, wie ich sekundenschnell erfasste, für leblose Dinge. Ja, anders konnte es gar nicht sein bei dem Stillleben, dass sich meinem forschenden Auge bot. Drei halbvolle grüne Flaschen allein unter der Tischtennisplatte, zwei weitere auf den umstehenden Regalen, zur Abwechslung nur zu einem Viertel gefüllt. Auf der rechten Raumseite ebenso viele auf dem von meinen Töchtern heiß verehrten Computertisch. Mein innerer Computer rechnete: „Macht zusammen doch tatsächlich ´4000 ml`!“ Keine Bange, für diejenigen, die seit Erfindung des Taschenrechners nicht mehr so recht wissen, was Kopfrechnen ist: „4000 ml sind, einfach ausgedrückt, sage und schreibe vier ganze Liter!“ Vier ganze Liter moderne Gesundheit, die mittlerweile leicht frustriert verschalte, ohne jede Hoffnung, doch noch ihrer Bestimmung zugeführt zu werden. Achtlos ins Aus gestellt, vorbei.

Mit einem raschen Griff sammelte ich die armen Verschmähten ein, entleerte sie ins Spülbecken der Waschküche und beerdigte sie leicht seufzend neben den anderen Flaschenleichen in einem der leeren Kästen. Mit Rücksicht auf mich selber ersparte ich mir jedoch die passende Grabrede. Damit war der Keller abgegrast. Das Resultat bewegte sich ja nur „mittel“ über dem Normalbereich, tröstete ich mich.

Weiter im Text, nächste Etage, das Erdgeschoss. Schon fast Besorgnis erregend...aber ausschließlich in unserem doch beachtlich großen Wohnzimmer entdeckte ich ein einziges vereinsamtes Fläschchen, das sich verschämt gegen das hintere rechte Bein eines Stuhles drückte. Kein Wunder, es hatte nicht mehr all zu viel vorzuweisen. Ich schätzte: „Nur einen wenzigen Schluck!“ Und den Stuhl hatte mein Nachwuchs natürlich da mitten im Raum einfach stehen lassen, nachdem er sich sicherlich nach schweren inneren Kämpfen vom Fernseher gelöst hatte. Entweder war Formel I zu Ende oder Sting hatte gepatzt.

In die Jugendetage marschierte ich anschließend mit sehr gemischten Gefühlen. Aus gutem Grund, wie sich dann heraus stellte. Da ging es nämlich richtig los. In der oberen Diele begrüßten mich zwei grüne Gesellen. Im Badezimmer fanden sich drei derer Artgenossen, keiner von ihnen richtig leer, sondern nur fast leer. Was suchten die überhaupt im Bad? Mein Zimmer konnte ich aussparen. Ich tat so etwas nicht. In Tinas Privatgemächern tummelten sich auch mehrere Behältnisse mit dieser die Gesundheit fördernden Flüssigkeit.

So langsam sah ich nur noch „grün“. Ich bildete mir ein, selbst ihr orangefarbener Store trüge einen neongrünen Schimmer. In meinem Magen grummelte. Hastig verließ ich den Raum. Bliebe nur noch Katjas Zimmer. Gäbe es noch eine Steigerung??

Die Türe war nur angelehnt. Nichts Gutes ahnend, lugte ich durch den Spalt. Das hatte zur Folge, dass mein Magen nicht mehr nur zurückhaltend grummelte, sondern rotierte wie die Trommel meiner Waschmaschine Jonathan. Jonathan wegen Kishon. Grün, wohin ich auch sah. Auf dem Bett, auf den Regalen, auf dem Schreibtisch...ja sogar im Kleiderschrank hielt sich ein solches Ding versteckt. Eindeutig hatten die Fläschchen hier eine Nestfiliale eröffnet. Fassungslos starrte ich auf die neongrün blitzende Flaschengroßfamilie. Meine Nerven spielten nicht mehr mit. Es flimmerte mir vor den Augen. Das Bild verschwamm. Mir trat der Frustschweiß auf die Stirn und wackelten munter die Beine. Kraftlos hielt ich mich am Türrahmen fest. Mein Magen begnügte sich nicht mehr mit vornehm-dezentem Grummeln, sondern rotierte inzwischen wie die Trommel meiner Waschmaschine Jonathan. Jonathan wegen Kishon. Mir wurde schlecht. Ich fühlte mich zum Kotzen.

„Badezimmer, wo ist das Badezimmer?“, schoss es mir nur noch durch den Kopf. Das(!) Malheur würde mir nicht passieren. Nicht hier mitten in der Diele. Halb wankend angelte ich mich an der Wand entlang von Türgriff zu Türgriff, schaffte es bis zum Bad und schwankte zum Klo. Wenigstens bis dahin schaffte ich es noch. Gerade schleppte ich mich hinterher zum Waschbecken, da flüsterte es entgeistert in meinem Rücken mit Katjas Stimme: „Mama, um Gotteswillen, wie siehst du denn aus? Ist dir nicht gut??“

Ich klammerte mich am Beckenrande fest, hob entsetzt mit letzter Willensanstrengung meinen Blick und musterte mein Konterfei im Spiegel. Mir guckte ein typisches Marsmännchen entgegen.

Ich sah grün, grün..grün...!!
Und dann sah ich gar nichts mehr.

Nach Katis Erster-Hilfeleistung per eiskaltem Wasserstrahl fand ich mich dann auf dem Boden wieder.

Der(!) Tag war für mich gelaufen.


   




 




Anmerkung von tastifix:

Über Kommetare würde ich mich sehr freuen.
Viel Spaß beim Lesen!

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Kommentare zu diesem Text

Sveste (38)
(21.06.05)
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 tastifix meinte dazu am 22.07.05:
Hallo Sveste!

Da freu`ich mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Grins...die Grüße an meine Rasselbande gebe ich gerne weiter!!

tastifix

 Sonnenaufgang (22.06.05)
liebe gaby, wieder ein lustiger, na aber auch ganz schön stressiger ausschnitt aus deinem leben. du schreibst so packend, so als wenn der andere mit dabei ist. ich kann mir gut vorstellen, dass du nerven wie drahtseile brauchst. hast dich aber längst davon erholt, hm?
wenn dein hund die flaschen schon nicht sucht, mußt du es eben tun. aber im haus verliert sich ja nichts.
grüße von feli

 tastifix antwortete darauf am 22.07.05:
Hallo Feli!

Danke für Dein Lob.

In zwei Punkten muß ich Dir "leider" zustimmen: 1. ...ist Knödelchen viel zu faul zum Suchen, und 2. ...istz das ja mein großer Kummer, dass in meinem Haus nichts verloren geht!

Die Flascheritis hat meine Nerven erst arg mitgemommen und dann gottlob sehr gestärkt. Finde ich ein solches Etwas, seufze ich mittlerweile nur noch leise vor mich hin. Ist doch schon ein Fortschritt, oder??

Einen ganz lieben Gruß an Dich
Gaby
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