Wir schreiben das Jahr 1850. Die Tochter liegt auf dem Bett. Bereit die Liebe ihrer Mutter zu empfangen. Bereit den Tod zu empfangen. Von Todesnähe gezeichnet, liegt sie ruhig auf dem Kissen. Das Laken ist frisch aufgezogen. Die Decke ist bis zur Brust hochgezogen. Den Blick zur Wand, die Schattenwerfenden Äste der sturmgepeitschten Nacht im Auge.
Die Mutter betritt den Raum.
"Tochter, ich bin da!"
"O Mutter, sieh nur, das Bild der Natur, sehnsuchtsvoll blicken meine Augen auf die Wunder der Natur."
"Ich weiß, doch nun trinke den Tee, den ich dir gebracht habe. Er ist noch heiß! Doch trinke bedächtig und ruhig!"
"Mutter, ist mir durch den Tod die Liebespein erspart worden, oder verpasse ich wozu es sich zu Leben lohnt?"
"O nein, du hast nichts verpasst! Und wenn die Liebe deiner Familie auch nicht die Liebe (d)eines Mannes ist, so hast du dennoch Liebe erfahren."
"Ich bin nicht so müde, wie Gottes mir einreden will. Ich will leben, doch merke, daß mir die nötige Kraft fehlt. Ist Gott erpischt mich zu sehen?"
"Nein, so ist es nicht Klara. Jedoch hat ein jeder Mensch seine Zeit, und wenn Gott diese für gekommen hält, waltet er seines Amtes. Habe keine Angst! In der ewigen Zeit erwartet dich der ewige Frieden, und letztlich die Gewißheit, eines Tages mit all deinen Lieben wiedervereinigt zu werden."
"Ich weiß Mutter! Ist es denn aber schlimm nicht gehen zu wollen, euch nicht verlieren zu wollen?"
"Nein! Doch du grämst dich umsonst! Denn du kannst dich wie ich, und Gott ist mein Zeuge, daß ich das will, nicht dem Schicksal deiner Zeit erwehren."
"Ach Mutter!! Ich habe Angst vor der Dunkelheit!
Vor der Stille, ohne dich zu sein, und ohne Vater und Anne. Die Gewißheit alleine Reisen zu müssen, macht mir mein letztes bisschen Daseinsbewußtsein bei euch nicht gerade einfacher. Ich sehne mich nach euch und nach der Liebe, der Empfindung, so wie du sie teilst mit Vater!"
Die Mutter nimmt ihre Tochter in den Arm, nachdem sie sich zu ihr aufs Bett setzte. Draußen tobt ein Sturm. Regen prasselt an die Scheibe.
"Mutter, ich sehe Konturen an der Wand. Sieh nur..."
"Ja, ich sehe es!
"Was siehst du?"
" Ich weiß nicht, eigenartig, ein Bildersammelsurium reinster Phantasie. Ich sehe vieles, nur jetzt nicht, wo du fragst. Vielleicht, weil mein Augenmerk eher auf dich gerichtet ist!?"
"Ich sehe einen Schwan. Einen riesengroßen, wunderschönen Schwan. Ich sehe ein Bild, wunderschön, in Farben, die mein Herz erfreuen."
"Ja, jetzt sehe ich es auch! Wunderschön!"
" Mutter, bist du da?"
"Ja, mein Kind, hier....Neben dir!"
Klara wird zusehends schwächer. Ihr Geist scheint willenlos zu vegetieren. Sie spürt Mutter`s Angst.
Ihre Hand hält Mutters Hand schwächlich in ihrer.
"Mutter, die reise beginnt! Ich spüre, wie das Leben sich in mir verabschiedet. Ein Treiben unausweichlicher Kräfte nährt meinen Glauben ans Jenseits. Das Diesseits verschwimmt. Die Konturen an der Decke...Ich kann sie nicht mehr erkennen. Mutter, hilf!"
"Schlafe Tochter, die Ruhe ist dein Paradies. Ich bin hier. Spürst du meine Hand in deiner menschlich kalten inneren Gedankenwelt? Ich bin da!
Du musst dich nicht fürchten!"
Klaras Hand fällt kraftlos aufs weiße Laken. Der Sturm ist stärker geworden. Ihre Mutter küsst sie noch einmal auf die Stirn. Sie legt die Hände gekreuzigt auf ihren Brustkorb, und deckt sie bis zum Hals zu. Gefasst, innerlich schreiend jedoch, verlässt sie das Zimmer der nächtigen, schrecklichen Enttäuschung. Gott ist nicht schuld! Der Ruf zu dieser Stunde ist eine Berufung, denkt sie, während sie dem Arzt Bescheid gibt, den Tod der Tochter festzustellen. Stunden der traurigen Erkenntnis haben Spuren hinterlassen. Mit glasigem Blick setzt sie sich auf die Terrasse und erleidet das Wetter der tödlichen Nacht.