Lala

 Autor, angemeldet seit 12.06.09. Lala ist jetzt  offline; zuletzt online am 10.11.2024, 14:50. Letzte Veröffentlichung am 05.02.19.  Kontaktmöglichkeiten:  Direktnachricht  Gästebuch - Mehr über Lala erfährst Du in seinem  Steckbrief. Lala ist Mitglied folgender Gruppen: Kolumnen-Team  Film & Fußball, Kolumnen-Team  keinEinhorn
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Lala wurde 1970 geboren. Er ist von Beruf Nasenhaarentwurzler und z.Zt. tätig als Schrat. Lala kommt aus Baden-Württemberg (Deutschland). Seine Muttersprache ist Deutsch.

Über sich selbst schreibt Lala:
Es ließe sich so Vieles schreiben. Zum Beispiel, wie ich in einem Zug mit dem Zug nach Zug gefahren bin? Da fängt mein Federkiel auch schon an zu zischen und die Pleuel an zu schieben, so sehr zu schieben, wie ich mich sintemalen zwischen den Sitzlosen im Zug hindurchgezwängt habe. Waggon für Waggon, und immer vorwärts zu dem Zwerg, der mir mein Billet für eine Zeppelinrundfahrt in Zug gestohlen hatte.

Dieses Billet war ein Geschenk meines Großonkels Ludwig anlässlich meiner bestandenen Prüfung, seitwärts durch einen Apfelgarten laufen zu können, ohne den Rasen zu berühren. Das machen wir im havelländischen Revier immer zu Lichtmess. Weil wir halt nicht wissen, was wir zu Lichtmess sonst feiern sollen, und weil wir keine bessere Idee haben, was wir mit dem ganzen Schnee anfangen können. Wenn ihr das sehen wolltet, dann müsst Ihr eine Fahrt nach Pausin bei der kurfürstlichen havelländischen Droschkengesellschaft buchen; und lasst Euch von den Fahrern nicht einreden, das koste extra, weil wir die Fahrer immer mit Äppeln bewerfen würden. Aber Ihr müsstet Euch schon beizeiten auf die Reise machen, um dieses Schauspiel zu erleben.

Während ich Euch dieses erzähle, war ich am Abteil des Missetäters angekommen und schob die Abteiltür mit einem wuchtigen Schlag auf. Der kleine Kerl erschrak so sehr, dass ihm fast seine Pfeife aus der verschlagenen Visage fiel. „Hab ich Dich! Du elender Billetklauer!“, wütete ich sofort los, hob den verdutzten Wicht hoch und hängte ihn an den erstbesten Kleiderhaken. Die anwesenden Damen schrien auf, der Gnom geiferte in einem fort, so dass ich gezwungen war, ihm seinen lächerlichen Wichtelhut vom Haupte zu nehmen, ihn zu knüllen und in seinen Mund zu stopfen, um seine grotesken Tiraden zu beenden.

Nun hing der Wichtel hilflos am Haken, und schnell hatte ich mein Billet – auch mein Zugticket - in seinem Innenrevers gefunden. Der Schuft hatte sogar seinen Namen eingetragen! Mit tiefer und bestimmter Stimme rief ich den Schaffner herbei, der sich schon zu uns auf dem Weg befand, aufgeschreckt durch die hysterischen Weiber.

Als der in eine blau-weiß gestreifte Matrosenuniform gekleidete Mann erschien, lupfte ich meinen Hut, stellte mich als havelländischer Meister im Seitwärtsgehen ohne den Rasen zu berühren vor und schilderte kurz und knapp die unglaublichen Frechheiten des von mir gestellten Unholds. Erst wollte der Schaffner nicht verstehen, weil der Name des Lügenboldes auf meinem Billet stand. Aber als ich insistierte, dass das ja nun erst die grobe Verschlagenheit dieses Gnoms beweisen würde, verstand der Kerl endlich, mit wem wir es hier zu tun hatten.
Mein Vorschlag, ihn doch gleich hier und sofort aus dem Fenster zu werfen - der freche Fratz würde doch locker da hindurch passen - wurde von dem Übeltäter mit großen und entsetzten Augen quittiert, und er erstarrte kurz bei seinen lächerlichen Bemühungen. Dann ging auch alles ganz schnell: die Damen kicherten vor lauter Vorfreude auf das anstehende Spektakel und musterten den Matrosenanzug des Bahnangestellten mit großer Bewunderung, wie ich ein wenig neidisch anerkennen musste. Mit großem Hallo packten wir das Männlein, pressten seine Gliedmaßen zusammen und warfen ihn aus dem Fenster. Ach, wie groß war unsere Freude, als wir das Knäuel die Hänge runter kollern sahen. Die Damen lachten Tränen und stimmten zu, dass ich an seiner Statt in ihrem Abteil bleiben dürfe.
Es war dann doch noch ganz schön. Aber es sollte nicht meine letzte Begegnung mit diesem Hausgeist bleiben. Schon in Zug sollten sich unsere Wege wieder kreuzen.

Falls Ihr Euch auch jemals entschließen solltet, eine Zeppelinrundfahrt über Zug zu unternehmen, dann seid gewarnt. Damals war ich natürlich hocherfreut, als Onkel Ludiwig mir nach meiner attestierten havelländischen Meisterschaft, welche ich Euch oben schon beschrieben hatte, ein großes Billet in die Hand drückte mit den Worten „Mach was draus!" Es war so groß wie ein Blatt Papier. Aber aus härterem Material. Auf der einen Seite war das blauweiße Zuger Wappen mit einem Luftschiff obenauf. Auf der anderen Seite war eine sehr detaillierte Ansicht der Innenstadt in Schwarzweiß. Sehr detailliert. Verwirrend waren die vielen kryptischen Zeichen, die sich teilweise zu wiederholen schienen. Für einen jungen Burschen wie mich war das natürlich vielversprechend, und ich verließ Pausin am selben Abend noch, um Zug und dann die ganze Welt zu entdecken.

Damals konnte ich natürlich nicht ahnen, dass ich erst sieben Jahre später am Fuß des Turmes stand, an dessen weißblauer Spitze in zweiundfünfzig Meter Höhe das Luftschiff ankerte. Mit dem Turm war es mit einer Art Schlauch verbunden, welcher sich später als Einstieg zum Schiff erwies.
Zu meiner Verwunderung war keine Schlange unten vor dem Turm, und der Kassier oder den ich dafür hielt, schmökte ohne aufzusehen an seiner Meerschaumpfeife und winkte mich durch. Innen im Turm sah ich herauf auf die sich endlos bis in die oberste Spitze hineindrehende Steintreppe und hörte ein merkwürdiges, tiefes Geräusch, dessen Bass meine Hose flattern ließ. Wie der Atem eines riesigen Drachens. Ein- Aus. Neugierig begann ich nach oben zu steigen. Ich hörte immer deutlicher merkwürdige Kommandos zwischen diesen Zügen, die aber im Takt mit dem Atem erklangen.

Meistens zwei Stufen mit meinen langen Beinen auf einmal nehmend, gelangte ich in den Einstiegsbereich und erschrak. Acht Zwerge arbeiteten jeweils zu viert an zwei riesigen Blasebälgen, die den Schlauch, der zwischen einem der oberen Fenster des Turms und dem Luftschiff hing, stramm hielten. Nicht so sehr diese Vorrichtung machte mir Angst, sondern der zornige, verächtliche Blicken dieses Volkes. Natürlich musste ich unwillkürlich an den unglücklichen Kollegen dieser Gruppe denken, den wir aus dem Fenster geworfen hatten und fürchtete, dass ich von diesen acht Zwergen, derer Sieben ich sicherlich hätte abwehren können, sogleich verprügelt werden würde. Aber dem war nicht so.
Trotz ihres grimmen Blickes setzten sie mich auf einen Stuhl vor der Schlauchöffnung. Dann spannten sie eine dicke Stahlfeder, die mit dem Stuhl verbunden war und auf „Drei!“ oder was ich dafür hielt, schossen sie mich durch den Schlauch. Kurz bevor ich Stuhl und Schub verlor, fühlte ich, wie mich der Ausstoß des Drachenatems weiter trug und mich sanft zur anderen Seite beförderte, wo ich schon von einem älteren, hutzeligen Herrn mit Mützchen und Nickelbrille in Empfang genommen und an meinem Platz im Passagierbereich der Gondel geleitet wurde.


Nun verstand ich die Bedeutung der kryptischen Zeichen auf meinem Billet. Der nette, kauzige ältere Herr saß nun schon seit geschlagenen zwei Stunden über meinem Billet und füllte akribisch die Schwarzweiß-Zeichnung aus. Kurz vor dem Ablegen hatte ich an meinem Platz ein schmales Dokument gefunden, worin mir zum Glück auch auf gebrochenem Havelländisch die Bedingungen dieser Fahrt beschrieben wurden. Das Entwerten eines Billets bedeutet das Ausmalen des Bildes, welches höchstselbst durch den Kassier vorgenommen wird. Wenn alle Billets einer Fahrt fertig ausgemalt sind, legt das Schiff wieder an.

Seit zwei Stunden kreisten wir nun um Zug, und der Alte hatte noch nicht mal meine Karte ausgemalt. Zunächst schätzte ich mich glücklich, dass nur noch ein weiterer Passagier an Bord war. Eine junge, sehr elegante, hübsche Dame mit einem zauberhaften Hut mit Feder und einem neckischen Opernglas am Stiel, mit dem sie seit zwei Stunden unentwegt interessiert zum Fenster hinaus blickte. Was, so fragte ich mich, entdeckt sie auf oder in dem Zuger See immer wieder aufs Neue? Denn um genau zu sein, die Zuger Luftschifffahrtgesellschaft begnügt sich damit ihren Gästen Runde um Runde über den See zu bieten. Gestein, Gletscher Gipfel? Nur von weitem. Zwar schön, aber auch nicht besser als die Aussicht von jeder x-beliebigen Alm. Es war eintönig, wie wir so kreisten und der Alte in einem fort kritzelte.
Immerhin traf sich mein Blick hin und wieder mit dem jener Dame, deren Dekolleté mich zunehmend mit der verpassten Aussicht versöhnte. Aber dann musste es geschehen sein. Halb muss ich gedöst, halb gewacht haben. Denn wie genau es geschehen ist, ob absichtlich oder unabsichtlich, vermag ich nicht zu sagen. Die zauberhafte Dame musste eine ruckhafte Bewegung gemacht haben. Aus dem Augenwinkel sah ich noch, wie sie sich schnell wieder aufrichtete, nachdem sie an ihren hochhackigen, schwarzen Schnürschuhen irgendwie genestelt hatte. Aber bevor sich unsere Blicke trafen, schaute sie wieder durch ihr Glas nach draußen. Dafür schaute mich ihr rechter Nippel an. „War das Versehen oder Absicht?“, fragte ich mich und blickte zum Schaffner. Der aber nahm keine Notiz von mir, ihr oder ihrem fleischigen Nippel. Der Alte wechselte den Buntstift von blau zu rot, leckte an der Spitze und vervollständigte das nächste Feld. Der Nippel rief mir zu: Schau her. Natürlich spricht ein Nippel nicht, aber ich konnte ihn hören. Es dauerte nicht lange und die rosa Ausstülpung in mitten einer dunkleren Warze hatte meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Unwillkürlich spitzte ich meine Lippen. Das Atmen der Dame, das Heben und Senken ihres Busens und ihre vollkommene Versunkenheit in die Betrachtung der Bläue des Zuger Sees erregten mich zunehmend. Vielleicht war diese Rundfahrt ja mehr als nur eine Rundfahrt und alle in Zug wussten, dass man sich im Zuger Luftschiff ungestört mit fremden Damen amüsieren konnte; ja, dass dieses Luftschiff, diese Zigarre der Lüfte, für nichts anderes stehe als die freie Liebe? Wollte Onkel Ludwig, dass ich, der junge Seitwärtsgehchampion zu Lichtmess aus dem Havelland, hier in Zug zum Manne werden sollte? Somit war dieser keck herausgesprungene Nippel über den Rüschen ihres Bustiers eine Aufforderung. Der Beginn eines Dialogs. Aber wie sollte ich antworten? Nochmal schaute ich zum Alten. Erschrocken sah ich, dass er meine Karte komplett ausgefüllt und mit der meiner Begleiterin schon halb fertig war. Wo war die Zeit geblieben? Was soll ich tun, fragte ich den Nippel, der mir aber nur zuzwinkerte. „Zeig ihn mir“, hörte ich Ludwig sagen, als ich meinen ersten Aal aus der Plötze geangelt hatte. „Zeig ihn mir.“ Aber gut, ich war hier in Zugzwang und kannte die Sitten nicht. Mit Geschick nestelte ich an meinem Beinkleid und schob den fleischigen Lappen meiner Vorhaut nach außen durch. Quid pro quo, so dachte ich, und mein Herz pumpte wie verrückt, welches die Applikation, die ich gerade vorgenommen hatte, durchaus schmerzhaft werden ließ. Endlich drehte sie sich wieder zu mir, ohne ihr Glas abzunehmen.

Ich habe keine Ahnung, welche Wirkung eine durch ein Opernglas vergrößerte Vorhaut hat, die sich mehr und mehr durch eine sich vorkämpfende, rotgeschwollene Eichel aufstülpt, aber ich befürchte, dass es als Alternativanblick für eine Zuger-Seelandschaft nicht taugt.

Sie schnappte nach Luft. Für einen Moment hoffte ich, dass sie ohnmächtig werden würde, aber stattdessen sprang sie auf, schrie und zeigte mit dem Finger auf mich. Durch diese Bewegung sprang der Nippel wieder zurück ins Kleid und sagte noch kurz "Ätsch!" zu mir. Ich sah aus wie ein Vollidiot. Der Alte hatte sich durch ihren Schrei so sehr erschreckt, dass er einen dicken Strich durch ihr Ticket machte und darüber so entsetzt war, dass er darüber mehr fluchte als über meinen herausragenden Penis. Doch nur kurz dachte ich, dass ich vielleicht davon kommen würde, denn vorne an der Gondel öffnete sich die Pilotentür. Zwei schwere, große Kerle in blauweißer Unform versuchten sich, glücklicherweise zugleich, durch den schmalen Türrahmen zu schieben. Ohne weiter nachzudenken, sprang ich auf und floh zum anderen Ende der Gondel. Die Tür war verschlossen. Wohin wollte ich eigentlich fliehen? Es war mir egal. Mit kurzem Anlauf rammte ich die Tür auf, fand mich im Gepäckraum wieder und sah den Zwerg aus dem Zug. Nackt. Mit einem Messer zwischen den Zähnen. Hinter mir hörte ich, wie die Zuger Luftschifffahrtspiloten sich offensichtlich geeinigt und den Passagierbereich der Gondel erreicht hatten.


Als ich nach meinem Sturz aus dem Zeppelin in den Zuger See wieder bei Bewusstsein war, mich an das Licht und die schlechte Luft gewöhnt hatte, war mir klar geworden, warum mich meine Wanderschaft nach Zug zuerst nach Inverness geführt hatte. ja Ihr habt recht gehört: Inverness.

Alles hatte damit begonnen, dass mir mein Vater Henning einen Kompass mitgegeben hatte, dessen Magnet, so Vaddern, verkehrtherum geeicht sei. Er bläute mir ein. „Willst nach Süden, geh nach Norden und willst nach Norden? Geh nach Süden. Der Magnet von dem Dingen da ist etwas tüdelig, mein Jung."
So bin ich losmarschiert, gesegelt und mit dem rasenden Roland der Mecklenburgischen Kurpfalz gefahren und war immer zuversichtlich geblieben, Zug selbst oder wenigstens Hinweisschilder nach Zug zu finden. Ich setzte in einem übel nach Fisch stinkenden Boot über einen großen Kanal, durchquerte vorher Landstriche voller Trolle, Gnome und Zwergenvölker, bändelte an und focht so manchen Händel aus, marschierte aber immer weiter nach „Süden.“ Nie verlor ich den Mut, selbst wenn ich schon zum Frühstück die übelsten Speisen mit noch grässlicheren Saucen vorgesetzt bekam.

Erst als ich endlich an einer hohen, kaum bewachsenen Klippe stand, hundert Meter tief unter mir das Meer, rau, abweisend und unendlich schien und nicht - wie damals - mir schon ein feiner Strich am Horizont neues Land und Zug versprach, erst dort, an diesem gottverlassenen Ort, an dieser Klippe ins nasse Nichts, wähnte ich mich am Ende meiner Reise. Erfolgslos. Niedergeschmettert. Der Zeppelin von Zug erschien mir nur noch als Chimäre in den zerfetzten Wolken über der See. So, als wollte er mich zum Abschluss meiner Reise noch zusätzlich verhöhnen, mich den Trottel von der havelländischen Obstplantage.

Nach mehreren Stunden des Wartens, des Hoffen, nach mehreren Stunden des Frierens und Haderns, ob sich mir nicht doch noch ein Zeichen von Zug offenbare, querte ein versprengter, vorbeiziehender Händler meinen Weg. Hoffnung keimte voller Wärme in meiner Brust auf,

Zu meiner Freude bemerkte ich, dass er mich auch gesehen hatte und augenblicklich seinen Kurs änderte und zielstrebig mit seinem ihm hintertrottenden Esel auf mich zuhielt. Gespannt wartete ich, bis wir nah beieinander waren. Würde ich ihn - oder er mich - erkennen? Als ich sein Tier riechen konnte, nickten wir uns kurz zu. Es entstand eine Pause in der keiner von uns agierte. Oh, wie hoffte ich, dass er sie auflösen würde. Aber stattdessen, dass er mich umarmt, auf die Schulter klopft, mir zuraunt, dass ich angekommen und sich meine Bestimmung nun in Wohlgefallen löse, hielt er sein Packtier barsch an, verneigte sich kurz und begann mir sein vielfältiges Zeug anzudienen. Ihm war anzusehen, dass er hoch beglückt war, so unerwartet in diesem Niemandsland einen Handelspartner angetroffen zu haben und diese Gelegenheit auf keinen Fall auslassen wollte.

Nur ein Handelsmann? Ein Hausierer, der keine Gelegenheit auslassen kann, um sich und seinen Esel über die Runden zu bringen? Die vage Hoffnung, dass er mein Ziel und meinen Bestimmungsort kenne und mir den Weg nach Zug weisen würde, zerschlug sich so jäh wie jede Welle unter mir. Er wollte nur handeln.

Während er mir mal mit seiner linken, mal mit seiner rechten Hand im schnellen Wechsel Stoffe, Kristalle, Leder, Gewürze und getrocknetes Obst aus den prallen Satteltaschen seines Esels anbot, wechselte er auch noch zwischen verschiedenen Sprachen und kontrollierte aus dem Augenwinkel, ob ich bei irgendeinem Dialekt, einer Redewendung oder auch nur einem Vokal auf ihn reagierte. Während er so tat und mir unentwegt Großartiges angedeihen wollte, was mich zunehmend deprimierte, sah ich plötzlich an seinem Bundschuh eine Bernsteinkette, die mir seltsam vertraut vorkam. Unerwartet füllte sich meine Herz mit froher Erwartung. „Also doch!“, schoss es mir durch den Kopf.

Der fremde Händler bemerkte schnell, dass mein Blick nicht mehr seinen wechselnden Schätzen gefolgt war, also rieb er mir offensiv, aufs Geratewohl, eine Henkeltasse unter die Nase. So penetrant tat er das, das ich nicht anders konnte, als sie anzusehen. Sofort erkannte, ich was der Händler mir da feilbot: Heimat, Havelland. Brieselang. Tante Hille! Reflexartig grabschte ich nach ihr. Die Keramiktasse war eine, wie sie nur meine Tante brennt. Hille, die noch lange vor meiner ersten Meisterschaft und noch vor meinem ersten abgepflückten Apfelbaum von heut auf morgen vor Onkel Ludwig von Pausin nach Brieselang geflohen war.

Als ich die vertraute Tasse in Händen hielt, hörte ich auch vertraute Laute: „Herr, seid Ihr aus dem Havelland? Gefällt Euch diese Tasse? Fehlt Sie Euch in Eurem Schrank?“ Vor Demut sank ich auf die Knie und flüsterte nur „Endlich! Ich bitte Dich nur um Eines: Führ mich nach Zug, oder weise mir den Weg dorthin.“

Schnell stellte sich heraus, dass der Fremde, Wiegemir mit Namen, mitnichten von Zug oder von mir gehört hätte, geschweige denn wir uns im Süden der Welt befänden. Nein, hoch im Norden, am nördlichsten Punkt der Welt seien wir, und er wunderte sich, warum mir dieser Fehler nicht schon viel früher aufgefallen sei. Beschämt von meiner Dummheit wich ich seinen Fragen aus und war nicht mehr erschüttert, als er mir mit Blick aufs Meer sagte, dass ab hier nicht mehr komme. Hinter diesen Klippen sei das Ende der Welt, nur noch Wasser, Eis und Drachen. Seinen Rat, mich ihm anzuschließen, nahm ich dankend an, ohne zu wissen wie es weitergehen sollte. Wiegemir ahnte nicht, wie es mir ging. Ich verfluchte meinen Vater, seinen Rat und auch Onkel Ludiwigs „Mach was draus!“ Nichts hatte ich draus gemacht.

Auf unserem gemeinsamen Weg stellte sich heraus, dass Wiegemir vor vielen Jahren zu einer Messe in Krakau gewesen war und auf dem Weg unser Havelland durchquert und Hilles Becher ein Geschenk einer schönen Frau gewesen sei, um derentwillen er fast die Krakauer Messe hätte sausen lassen, so schön sei sie gewesen. Natürlich verneinte ich, sie zu kennen und offenbarte ihm auch keine weiteren Details meiner Reise und meiner Herkunft. Mein Scheitern war mir auch ihm, dem Fremden, gegenüber so unangenehm, dass ich froh war, dass wir nach ein paar Tagen endlich Inverness erreichten und wir uns trennen konnten.
Zum Dank für seine Hilfe - mich von der Klippe wieder hierher geführt zu haben- vermachte ich Wiegemir mein Zeppelin-Billet. Worüber er so glücklich war, dass er mich dreimal fragte, ob ich mir auch sicher sei. Das war ich. Er verriet mir noch, dass er einige Wochen hier auf einem Kongress zu tun hätte und wo er nächtigte, fall ich nochmal seine Hilfe bräuchte. Wir umarmten uns noch kurz und dann machte ich mich missmutig auf den Rückweg in meine havelländischen Apfelgärten.

Aber ich kam nicht sehr weit, denn es war mir mit jeder Faser zuwider, mit Nichts in meine Heimat zurückzukehren. So endete mein Weg schon bei der erstbesten Spelunke. In dem dunkelvertäfelten Gastraum stellte ich meinen Sack ab und fläzte mich in die dunkelste Ecke und dachte noch, als der Wirt mir das erste Glas einschenkte und ich das fremde Nass gegen das blakende Licht der Lampe hielt, dass die Farbe fast so wie die unseres besten Apfelsaftes schimmerte.

Was in den nächsten Tage und Wochen folgte, war ein einziger Rausch - von diesem Getränk und einem vermaledeiten Kartenspiel - was mir leider nur allzu gut gelang.

Der Wirt musste einen Narren an mir gefressen haben. Schon am ersten Abend umschwirrte er mich und gab mir etliche seiner starken Getränke aus. Natürlich verstand ich kein Wort von dem Zeug. das er und die anderen erzählten, aber ich grinste einfach, nickte und lachte, wenn sie lachten. Was ihm und den anderen offenbar gefiel. Er klopfte mir öfter auf die Schulter, brüllte etwas in den Schankraum und die Menge grölte lachend zurück. Schwuppdiwupp war ich in der Runde integriert, und man versuchte mir einen Tag lang Witch-Ratch beizubringen. Ein Kartenspiel mit einer Million verschiedener, bunter Karten, die man vom Stapel ziehen, zum Teil in der Hand behielt und zum anderen auf verschiedenen Ebenen oder auch bei seinen drei Gegenspielern ablegen konnte.
Wenn man vier Kompasskarten mit den vier Himmelsrichtungen und sieben vierschieden farbige Hexen besaß oder in Stellung gebracht hatte, spielte man die letzte, die siebte Hexenkarte aus, rief „Witch-Ratch!“ und hatte eine Runde gewonnen. Aber nicht das Spiel. Das Spiel bestand aus sieben Runden, von denen man vier gewinnen musste. Das war ein Ratch, und der Sieger brauchte dann zehn von neunzehn Ratchen.
Nach jeder Runde bezahlten die Verlierer ihre Restkarten an den Sieger, und der Sieger musste davon eine Lokalrunde schmeißen.
Da es unmöglich war, mir die Feinheiten diese Spiels ohne Sprachkenntnisse beizubringen und sie mit meinem Havelländisch nichts anfangen konnten, schickten sie schließlich Boten zu Wiegemir. Dessen Namen hatte ich ein paarmal voller Verzweiflung am ersten Tag erwähnt, als ich Nachbestellungen oder nach Erklärungen verlangte.

Zwei Tage später erschien ein kauziger Troll, Bulbus mit Namen, im Snatch - so hieß der Laden in dem ich seit meiner Ankunft saß. Bulbus war - wie es sich für einen Troll gehört - als Händler unterwegs und erzählte mir, dass sein Freund Wiegemir ihn gebeten hätte, mich zu unterstützen. Da er ihm noch etwas schuldete und er Zeit hätte, wollte er diesen Dienst wohl leisten. Dann fragte er mich gleich auf den Kopf zu, ob ich auch wegen des Kartenturniers hier sei? Ich musste gestehen, dass ich keine Ahnung hätte. „Oh!“, meinte Bulbus und dann nochmal „Oh!“. Was, fragte ich ihn und er erzählte, dass der Wirt von der ersten Minute geglaubt hätte, dass ich ein reicher Kaufmann oder Gutsherr aus fernen Landen sei und wegen des Turniers den Weg zu ihm gefunden hätte. Das Turnier, so Bulbus, sei für reiche, unvermählte Männer aus fernen Landen bestimmt, und der Sieger erhält die Tochter des Wirtes, von der gesagt wird, sie sei die schönste Jungfer ihres Alters.
Aus Inverness dürfe wohl keiner mitspielen, fragte ich ihn. Bulbus bejahte. Kein Junggeselle aus Inverness hätte ihr genügt und sei ihr wohlhabend genug gewesen. Daher hätte er überlegt, auch daran teilzunehmen, aber als Troll, selbst wenn er siegreich gewesen wäre, rechnete er nicht damit, dass der "Liebreiz von Inverness" ihn jemals lieben würde. Eine Enttäuschung reiche ihm. Dann sagte er nichts mehr und betrank sich fürchterlich.

Zwei Wochen später saß ich am Finaltisch. .Es war wie im Traum gelaufen. Bulbus kannte die Regeln und verstand, was die Leute sagten. Und je weiter wir kamen, umso weniger brauchte ich seine Hilfe. Wir waren so gut, dass uns jeder Plan gelang. Wir waren diejenigen, die fast alle Spiele gewannen. Während sich meine Stimmung zusehends verbesserte, verdunkelte sich Bulbus Laune.

Am Abend vor dem großen Finale nahm er mich beiseite. Er zog mich in eine Art Alkoven neben dem großen Schankraum, um ungestört mit mir reden zu können.
Wir saßen uns gegenüber, er flüsterte mir zu, dass, obwohl wir Sieg um Sieg erspielten und die Leute mich mit dem allergrößten Respekt behandelten, trotz alledem sei an diesem Turnier etwas faul.
Nie habe ich einen Troll verständnisloser angeschaut. Ich hatte gerade wieder Lebensmut geschöpft und Aussicht auf die beste Partie des Landes, und nun kam dieser grobschlächtige, dicknasige Troll mit Nüstern, dreimal so dick und groß wie bei jedem Gaul, da kam dieser kleinwüchsige Mann, den ich keine zwei Wochen kannte, daher und meinte, mir meine besten Zukunftspläne seit langem wieder aus dem Kopf schlagen zu müssen. Unfassbar! Am Abend vor dem größten Erfolg nach meiner Meisterschaft. Ausgerechnet! Außer „Pft“ brachte ich nichts zu meiner Erwiderung heraus.
Bulbus schüttelte seinen groben Kopf, als sei ich ein unbelehrbares Kind. Er schaute verstohlen nach rechts in den Schankraum, dann lehnte er sich noch weiter zu mir über den Tisch. Da er so noch mehr dazu gezwungen war, zu mir hochzugucken, starrte ich direkt in seine maulgroßen, riesigen Nasenlöcher und glaubte, sein Gehirn am anderen Ende des Tunnels aufblitzen zu sehen.

Bulbus insistierte: Wir gewännen fast jedes Spiel und unsere Gegner seien auch nicht sauer oder würden uns des Betruges verdächtigen. Noch komischer sei es aber, dass sie wie Hohlbirnen spielten. „Höre: wenn in Inverness Karten gespielt werden, und das über mehrere Tage, der Preis auch noch die schönste Maid des Landes sei, dann geht hier keiner mit einem fairen Händedruck vom Tisch, wenn man ihm gerade die Hosen runtergezogen hat. Dann fließt Blut!“ Und um den letzten Satz noch zu unterstreichen schlug er mit der flachen Hand so fest auf den Tisch, dass unsere Gläser hochsprangen.
Wo eben noch reges Gemurmel, Lachen und Gläserklirren im Hintergrund zu hören war, herrschte augenblicklich Stille. Alle Blicke ruhten auf uns. Bulbus schaute mich mit zornigen Augen unverwandt an. „Die Sache stinkt“, zischte er noch nur für mich vernehmlich, dann rutschte er wieder auf seine Bank zurück.
Gut. Er hatte nicht völlig Unrecht damit, dass es erstaunlich friedlich zuging, und ich war auch irritiert gewesen, als dem falschen Spanier der Schnurrbart ins Glas gefallen war. Aber was scherte es ihn? Warum meinte er, mir diesen Triumph abspenstig machen zu müssen? Was war in diesen kauzigen, kleinen Kerl gefahren? Offensichtlich war er neidisch. Eigentlich hätte seine Haut grün sein müssen. Neidisch, weil er sich nicht selbst an den Tisch gesetzt hatte! Neidisch, weil er nicht selbst sein Schicksal in die Hand genommen hatte! Als ich ihm abfällig erwiderte, dass er das alles nur sage, weil er doch nur ein eifersüchtiger, missgünstiger Zwerg sei, ging er in die Luft und drehte vollständig durch.
Er spannte seine Muskeln an und pumpte Luft in sich hinein. Bei jedem Einatmen flackerten die Kerzen an den anderen Tischen. Dabei murmelte er unablässig wie hasserfüllt, dass er ein Troll und kein Zwerg sei! Bulbus Körperumfang schwoll derart an, dass er wie ein großer Ballon aus dem Alkoven in den Schankraum quoll. Der Tisch kippte zu meiner Seite um, und das zwar wunderbare, aber klebrige Invernesser Gesöff ergoss sich über meine Beinkleider. Nur kurz schaute ich nach unten, um mir erfolglos das Gebräu wegzuwischen, da spürte ich auch schon, wie Bulbus Körper mich an die Wand zu drücken schien, und ich spürte, wie meine Hose flatterte und meine Haare bei jedem Atemzug in Richtung seiner Nase flatterten. Der Wirt schrie zornig irgendetwas, und einer von drei starken Kerlen konnte gerade noch Bulbus rechten Arm packen, bevor der sich endgültig in seinen sich weiter aufblähenden Körper eingestülpt hätte. In dem Moment wurde mir bewusst, dass der Troll dabei war, mich so stark an die Wand zu pressen, dass er mich ersticken würde. Aber auf ein lautstarkes Kommando pullten die Kerle Bulbus mit einem Geräusch wie beim Entkorken einer Flasche aus dem Alkoven. Ich sank in die Knie, berappelte meinen Atem und sah eine sich noch weiter aufblähende Trollkugel im Schankraum herumkollern, bis der Wirt kurzentschlossen – ich traute meinen Augen nicht – mit einer fetten Nadel in den armen Kerl hineinstach.
Mit einem gewaltigen Zischen schoss Bulbus als Kugel kreuz und quer durch die Wirtschaft und zerdepperte alle Gläser und Flaschen und zerschmetterte auch die schweren Eichentische. Wir alle zogen unser Köpfe ein und brachten uns in Deckung.
Lala hat bei uns bereits 74 Texte veröffentlicht. In seinen Texten aus 34 verschiedenen Genres (u.a.  Geschichten (24),  Erzählungen (24),  Novellen (10),  Märchen (9) und  Satiren (7)) beschäftigt er sich mit den Themen  Trauer/Traurigkeit (11),  Weihnachten (11),  Gut und Böse (11),  Selbstbestimmung (10) und  Kritik/ Kritiker (8) (um nur die häufigsten zu nennen) sowie vielen weiteren Themen.

Möchtest Du wissen, was Lala gerne liest? Dann schau doch mal in seine  Favoriten oder in die  Liste seiner Lieblingsbücher! Oder wirf mal einen Blick in die  Liste der von Lala abgegebenen Kommentare oder seine  Beiträge zu bzw. Antworten auf Kommentare anderer! Übrigens: Zuletzt (also am 28.02.19) hat Lala  Die Wechseljahre des Mannes von  toltec-head gelesen und kommentiert...
 Wie Lala zu keinverlag.de kam:

"Wie ich zu KV kam I. Naja, interessant ist es eigentlich nicht. Ziemlich banal. Aber der Reihe nach. Als ich meine Konfirmation feierte, musste ich entdecken, dass mein Großvater ein......" ( weiterlesen)


 Meinungen anderer Autoren zu Lala und seinen Texten

 Bergmann schrieb am 26.01.18: "Sagte ich es schon? Ein großer Erzähler auf kv, mindestens so gut wie fdöobsah, und das will was heißen, wenn ich das sage! Konstruktive Kritik: Noch konsequenter den letzten Rest bürgerlichen Scheins in die Tonne knallen!"

 ferris schrieb am 25.01.18: "Ne echt coole Person!!!"

 Dieter Wal schrieb am 15.02.13: "Wer Lala als meisterhaften Stilisten, geistreichen Parodisten und erheiternden Erzähler kennenlernen möchte, der darüber hinaus auch noch eine überwältigende Strophe eines Alliterations-Scherzgedichtes dafür schrieb und ideal passend in den Text bastelte, lese Die Aufgabe des Dichters."

Alle 7 Meinungen zu Lala findest Du vollständig und mit den Antworten dazu  auf dieser Seite.

Lala hat auch schon Meinungen zu anderen Autoren abgegeben; diese kannst Du  hier nachlesen.

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     | 638   951   +6    | 
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