*
Stummer Hans und krummer Peter
Der stumme Hans und der krumme Peter waren unzertrennliche Freunde. Sie saßen
oft stundenlang auf einer Bank vor dem kleinen Wald. Die Bank war
grau und morsch. Der Wald dagegen wirkte wie ein riesiger Parkplatz für
Tannenbäume.
Peter war klein und krumm, er liess seine kurzen Beine baumeln, weil sie den
Boden nicht erreichen konnten. Der stumme Hans dagegen war gross und dünn,
als hätten ihn seine Eltern aus den Wald geholt und ihm Leben eingehaucht.
Der Wind strich munter durch die grünen Äste, wo Vögel lustig ihre Lieder
pfiffen, das konnte Hans aber nicht hören. Seine Ohren waren taub.
Er hatte seinen Kopf nach hinten gelehnt und seine Augen machten einen
Ausgedehnten Spaziergang über das blaue Himmelszelt wo hin und wieder Wolken
wie Schiffe dahinzogen.
Für Peter war durch seine Rückenkrümmung der Himmel nicht so interessant,
er zählte die Steine und beobachtete manchen Käfer und
andere Insekten auf der Erde. Die Sonne stand schon sehr tief als der krumme
Peter Hans am Ärmel zupfte und fragte: „Wollen wir nicht nachhause gehen?“
Hans wackelte nur mit seinen großen Ohren und fing an zu lachen.
Lachen konnte er aus voller Brust, aber nicht sprechen.
Er machte mit beiden Armen eine Bewegung als wolle er die
Sonne vom Himmel pflücken, dabei stand er auf und stieg noch auf die Bank.
Das nützte aber nicht viel. Entschlossen stieg er auf einen nahestehenden Baum
und kletterte bis zum Gipfel! Da wurden auf einmal seine Arme lang und immer
länger. Er streckte sie durch die Wolken und zuckte erschrocken zurück, als er
die Sonne berührte, sie war viel zu heiss. Der stumme Hans machte ein
verdutztes Gesicht und lutschte an seinen verbrannten Daumen. Peter lachte sich
noch krummer als er schon war, als er Hans bei diesem Versuch beobachtete.
"Du musst sie in einen großen Sack einfangen, dann kann dir sowas nicht
passieren". Hans tippte mit dem Zeigefinger auf die Stirn, als wollte er sagen,
du bist ja blöd, der Sack verbrennt ja auch. Der stumme Hans stieg wieder vom
Baum, nahm seinen Ranzen und machte sich auf den Heimweg.
Peter hopste von der Bank und folgte ihm. Seine Arme baumelten bis auf die
Erden, die war angenehm warm, nicht heiß.
Als die beiden an einem Acker vorbeigingen, sah der krumme Peter ein paar
Sonnenblumen stehen. Gross und rund lachten sie wie kleine Sonnen. Da fiel dem
Peter eine krumme Geschichte ein. Er, der kleine Peter, will dem langen stummen
Hans die Sonne einfangen.
Kurz entschlossen zog der krumme Peter den stummen Hans am Hosenbein.
Was gibst du mir, wenn ich dir die Sonne einfange?
Hans dachte einige Augenblicke nach und dann zeigte er ihm:
Für diese Tat würde er Peter seinen geraden Rücken schenken. Peter sprang vor
Freude in die Luft und klatschte mit den Armen über seinem Kopf.
"Aber wenn es dir nicht gelingen sollte,“ Bedeutete ihn Hans, "dann sollen
auch deine Ohren taub werden und deine Stimme verstummen".
Als sich dann die Nacht schwarz wie Ruß über die Erde legte, stolperte der
krumme Peter noch einmal zurück und zupfte die Sonnenblumenmutter ganz leise an
einem ihrer grünen Blätter. Dabei erschrak die Sonnenblume derartig, daß sie
fast aus ihren Wurzeln kippte. Peter fragte sie daraufhin ganz leise,
wer ihr vor dem Wort Blume, noch die Sonne geschenkt habe.
Die Sonnenblumenmutter atmete lang und tief, sie sprach dann mit ruhiger
heller Sonnenstimme: „Ja, weisst du lieber Peter das hat uns der liebe Gott
geschenkt, schon vor vielen, vielen tausenden von Jahren. Der Weg zu ihm ist
für manche unmöglich und für andere wieder sehr einfach! Wichtig ist, du musst
an ihn glauben. Nimm dir ein Wolkenschiff, setz dir den blauen Himmel als Segel,
alles andere musst du selber finden. Auf die Spitze des höchsten Berges mußt
du hinaufsteigen. Genau da musst du aber auch wieder landen, sonst wird dir der
liebe Gott die Sonne wieder auslöschen. Einen Sack aus Fäden von Liebe und
Treue musst du weben, alles andere würde die Sonnenhitze nicht überstehen
und verbrennen.“ Der krumme Peter bedankte sich zog seine Stirn in Falten und
machte sich davon auf die Suche nach dem höchsten Gipfel unserer Erde.
Liebe und Treue hatte Peter genug in seinem Herzen, so einen Sack hatte er
sehr rasch heimlich gewoben und unter sein Kissen geschoben.
Am anderen Tag machte Peter sich schon bei Morgengrauen
auf den Weg um den Gipfel zu finden, doch jeden, den er fand, war um viele
Meter zu klein, so dass er enttäuscht am Abend nach Hause kam, sich totmüde
neben Hans legte und sofort einschlief. Als der krumme Peter am nächsten
Morgen erwachte, hatte der stumme Hans ihm ein dickes Buch vor die Nase gelegt.
Peter las nur "Atlas".
Er schob es zuerst beiseite, aber später liess ihm die Neugier doch keine
Ruhe. Peter blätterte im Buch und kam da auf Bergspitzen, die unheimliche
Zahlen als Höhenangaben hatten. Einer schien ihm der Höchste, der stand aber
in Indien ganz im Norden.
"Das ist eine schwere Aufgabe die ich mir da gestellt habe.
Der Stumme Hans wartete in Ruhe zu Hause, ob Peter sein Versprechn einlösen
konnte; Peter nahm all seinen Mut zusammen und dachte sich: „Was solls! Auf in
ein ungewisses Abenteuer!“
Er nahm sich einen kleinen dicken Spazierstock, packte den Rucksack mit seinem
eigenhändig gewobenen Fangnetz und machte sich auf die Suche. Er musste immer
der aufgehenden Sonne entgegen gehen, dort war das Land mit dem höchsten Berg.
Er wanderte Tage lang, wieviele hatte er schon nicht mehr gezählt. Die
Menschen sprachen miteinander, Peter verstand kein Wort, trotzdem war es kein
Problem für Essen und Trinken zu sorgen.
Die Leute in den fremden Ländern waren sehr freundlich und hilfsbereit.
Eine zeitlang ging Peter in die falsche Richtung, da es gar nicht
zu regnen aufhören wollte und die Sonne nicht zu sehen war. Endlich
hatte er es aber doch geschafft.
Er stand vor dem höchsten Berg in einem fremden Land. Sein Rücken war noch
krummer. Seine Arme berührten den Boden, so das es aussah als ginge er auf
allen Vieren. Peter musste sich auf den Rücken legen
um die Spitze des höchsten Berges zu sehen. Da konnte man aber nichts sehen,
der Gipfel war unsichtbar in ein Wolkenmeer gehüllt. "Nun ja", dachte er sich
"ist so und so gleich wie hoch! Ich muss hinauf." Er fing sich einen
herrenlosen Packesel ein und lies sich so weit es ging auf den Berg tragen.
Zu Anfang ging es durch braun verdorrtes Gras, durch Wald, dann durch Eis und
Schnee, bis Peter und der Esel gänzlich in der Wolkenhaube die der grösste
Berg der Erde zu tragen schien verschwanden.
Der Wind fing an den Schnee durch die Luft zu wirbeln, so das es sehr schwierig
wurde die Richtung einigermassen einzuhalten. In der Nacht schlief Peter
zwischen den Beinen seines liebgewordenen Bergkameraden. Bei Tag trug der Esel
ihn über die schmalsten Pfade und sprang über die tiefsten Abgründe hinweg.
Die letzten Meter legten sie ganz langsam zurück da das Atmen in dieser Höhe
sehr anstrengend wurde. Peter ging voraus und der Esel folgte ihm auf den
Fersen. Plötzlich packte der Esel Peter am Kragen und blieb stehen. Der krumme
Peter merkte voll Enzsetzen, dass vor ihren Augen der Berg zu Ende war.
Sie standen auf einem schmalen Grad. Sein Kletterkamerad hatte ihm das Leben
gerettet , denn sonst wäre Peter bei der schlechten Sicht ohne zu merken, dass
er schon auf dem Gipfel des höchsten Berges der Welt stand, auf der anderen
Seite wieder hinuntergekollert. Das wäre nicht gut ausgegangen. Kurz darauf
fiel der Esel zu Boden und schlief ein. Da half kein Bitten, Schütteln,
Wachrütteln. Der Esel schlief ein und wurde von der eisigen Kälte steif
gefroren. Peter setzte sich auf seinen Körper um ihn wieder zu erwecken.
Aber ein kräftiger Windstoß hob die beiden in die Luft und sie flogen
gegen die Sonne. Der Esel war plötzlich zu einem Luftschiff geworden.
Peter schnitt sich vom blauen Himmelszelt ein Stück ab und setzte es als
Segel. Immer näher und näher kamen sie der Sonne. Die Geschwindigkeit war
schneller als das Licht, so konnte ihnen die Sonnenhitze nichts antun.
Beim Vorbeiflug stülpte Peter seinen Spezialsack über die Sonne. Es gab einen
kurzen Ruck und der feurige Ball ward gefangen. Peter fühlte sich als Gewinner
einer Wette und eines Versprechens.
Auf der Erde stellte die Menschheit eine totale Sonnenfinsternis fest,
die aber nicht zu enden schien. Die Sonne zappelte im Sack und flehte Peter
an sie wieder frei zu lassen, da sonst alle Menschen und Tiere, auch alle
Pflanzen auf Erden sterben müssten. Der krumme Peter lies sich aber nicht
erweichen und in Blitzes Eile waren alle zurück auf der Erde.
Zuerst landete der krumme Peter auf der höchsten Bergspitze.
Von hier aus ging er genau den Weg zurück, den er gekommen war.
Wie ein Wunder war sein Luftschiff wieder aufgetaut, und der treue Esel brachte
ihn heil den höchsten Berg hinab.
Eiligst machte sich der krumme Peter auf den Heimweg.
Hier war alles weiß, voller Schnee und Eis. Die Menschen froren. Der stumme
Hans saß in einer Ecke seines Hauses und war noch stummer als schon zuvor.
Keine Sonnenblumen standen mehr auf dem Feldern, die Flüsse und Seen waren mit
einer dicken Eisschichte zugedeckt. Der krumme Peter wollte freudig dem
stummen Hans die eingefangene Sonne im Sack als Sieger überreichen! Da winkte
der stumme Hans mit müder Handbewegung ab, und ein paar Tränen rollten über
seinen Bart, die sogleich zu Eis wurden.
Alle waren traurig! Niemand freute sich über die gefangene Sonne.
Da entschloss sich der krumme Peter, so krumm zu bleiben wie er war und
ließ die Sonne aus dem Sack. Diese rieb sich ihre verweinten Augen,
erhob sich von der Erde immer höher und höher bis sie pünktlich um Punkt 12 am
blauen Himmelszelt stand und aus vollem Herzen auf die Erde lachte,
die sich wieder an den warmen Strahlen erfreute, und alles fing an zu
blühen, die Vögel sangen auf den Bäumen, die Fische schwammen wieder um die
Wette, und der stumme Hans mit dem krummen Peter saßen wieder auf der Bank am
Waldrand und freuten sich daran, dass alles wieder so war,
wie es vorher gewesen ist.
Als Peter dem Hans vor Freude den Sack aus liebe und Treue gewoben über den
Kopf stülpte, geschah ein Wunder!
Hans konnte plötzlich all die Vögel singen hören, und das
Rauschen Der Bäume im Wind vernehmen.Seine Stimme kam zurück, er konnte
wieder sprechen!
Auch Peters Rücken hatte sich gestreckt! Seine Arme und Beine hat ein
Wunder von Liebe und Treue aus den Banne einer Krankheit gelöst.
Mit beiden Armen winkte er zur Sonne empor, war überglücklich über das
wunderbare Ende seiner Reise zur Sonne.
Wir sollten uns öfters kleider aus
Liebe und Treue weben und gegenseitig damit erfreuen.
© by F. J. Puschnik
*