Mama, warum weinst du?

Kurzprosa zum Thema Krankheit/ Heilung

von  Unbegabt

Früher habe ich am Meer, natürlich aus sicherer Entfernung, den Wellen zugesehen, wie sie sich erst hoch aufgerichtet haben, nur um dann wieder in sich zusammen zu fallen. Das war beängstigend und faszinierend zugleich. Genauso müsste es in einem aussehen, wenn deine Welt zusammen bricht.

Das Meer ist fast menschlich.
Es kann aufgewühlt sein oder friedlich.


Jetzt bin ich Anfang 30, habe eine Tochter, einen Sohn und Krebs.
Ich werde das Meer nie wieder sehen.
Meine Haare fielen schon nach der ersten Chemo aus. Nach außenhin trug ich meine unfreiwillige Glatze immer mit Stolz. Das war nicht immer leicht, aber ich erreichte das, was ich mir vorgenommen hatte:
Die besorgten Seitenblicke und Verhätschelungen ließen bald nach.
Auf eine „Wie-geht-es-dir?“-Frage gab es nur eine Antwort, egal wie ich mich fühlte.
Gut.
Das war wirklich nicht schwer. Ich log ja nicht für mich, sondern für alle anderen. Warum sollte ich sie damit belasten?
Vielleicht wäre es ihnen besser ergangen, wenn ich sie früher eingeweiht hätte.
Denn auch auf „Wie-war-die-Untersuchung?“-Fragen gab es nur eine Antwort, egal wie sie verlief.
Nicht schlecht.
Ich glaubte wirklich, dass ich ihnen damit einen Gefallen tat. Oder nicht?

So kann das Meer auch krank,
oder gesund sein.


Ich werde sterben.
Nur meinen Kindern konnte ich nie ernsthaft etwas vormachen. Zum Glück waren beide noch zu jung, um wirklich alles zu verstehen.
Ich las ihnen bis zu dem Abend vor meiner Einweisung ins Krankenhaus, Tag für Tag vor. Auch noch, als ich tagsüber von Schmerzen geschüttelt wurde und nachts kaum schlief.
Am letzten Abend blieb ich noch in ihrem Zimmer und weinte die Tränen von 1 ½ Jahren.
„Mama, warum weinst du?“
Mein Sohn blickte mich aus müden Augen an, in denen sich auch schon Tränen sammelten.
Ich habe den Kopf geschüttelt und gesagt, dass ich ihn und seine Schwester vermissen werde, dass er immer gut auf sie Acht geben soll und das ich sie beide liebe.
Ich weiß, dass er davon nicht viel verstand, ich sah es in seinem Gesicht und in seinem Blick, trotzdem sagte er:
„Wir dich auch. Ganz bestimmt.“

Das Meer ist manchmal müde,
und dann wieder lebendig.


Die nächsten Wochen waren die Hölle;
mein Körper kämpfte noch immer, doch ich hatte längst aufgegeben.
Zwei oder drei Wochen, sagten die Ärzte.
Es wurden zwei lange Monate.
Freunde und Familie waren wie vor den Kopf gestoßen. Mir ging es doch immer gut und die Untersuchungen verliefen doch nicht schlecht. Das tat mir Leid.
Ich musste mich mit Träumen vom Meer begnügen, denn meine Verfassung ließ einen letzten Besuch nicht zu.

Auch das Meer wurde irgendwann geboren,
und es wird auch sterben.


Anmerkung von Unbegabt:








überwunden?!

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Kommentare zu diesem Text


 SunnySchwanbeck (03.11.08)
Ein sehr berührender Text.
Krebs ist eine sehr schlimme Sache, es erinnert.
Das kommt von ganz tief. Und es berührt auch genau dort.
Gut Umgesetz und flüssig zulesen.
Toller Text.

Alles Liebe
Sunny

 Unbegabt meinte dazu am 03.11.08:
Danke dir... und du weißt schon.
Xandl (37)
(03.11.08)
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 Unbegabt antwortete darauf am 03.11.08:
Ob mein Nickname passt oder nicht, muss jeder für sich entscheiden. ;]
Ich krieg hier nur wieder einen auf'n Deckel, wenn ich sage:
Ja, er ist passend!

Aber nicht verraten, dass ich es gesagt habe.

Nele
Melancholic. (31)
(04.11.08)
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mmazzurro (56)
(04.11.08)
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 AZU20 (04.11.08)
Ein starker Text, wirkt absolut glaubwürdig. Auch die Verbindung mit dem Meer sehr gelungen. Gern, wenn auch mit traurigen Augen gelesen. LG
JeanDark (21)
(04.11.08)
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langolier (25)
(10.11.08)
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 Unbegabt schrieb daraufhin am 10.11.08:
Das freut mich, für sie für dich.
und danke
RolandBertz (19) äußerte darauf am 10.11.08:
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 Unbegabt ergänzte dazu am 11.11.08:
Dankeschön.

Es ist nicht unbedingt eine eins zu eins Erfahrung, aber es steckt immer was mit drin...

Liebes dir, Nele

 Ingmar (15.11.08)
dear (un)begabt

ein vorschlag: ich denke, der text würde gewinnen, wenn er aus anderer perspektive erzählt wäre. nicht in der ich-form geschrieben, sondern von einem erzähler, vielleicht einem freund der ich-erzählerin; es entfiele dann der anspruch, in die tiefsten seelentiefen der protagonistin abtauchen zu müssen:

Früher hat sie am Meer, natürlich aus sicherer Entfernung, den Wellen zugesehen, wie sie sich erst hoch aufgerichtet haben, nur um dann wieder in sich zusammen zu fallen. Das war beängstigend und faszinierend zugleich. Genauso müsste es in einem aussehen, wenn die Welt zusammen bricht.

Das Meer ist fast menschlich.
Es kann aufgewühlt sein oder friedlich.

Jetzt ist sie Anfang 30, hat eine Tochter, einen Sohn und Krebs.
Sie sagt: Ich werde das Meer nie wieder sehen.
Ihre Haare fielen schon nach der ersten Chemo aus. Nach außenhin trug sie ihre unfreiwillige Glatze immer mit Stolz. Das war nicht immer leicht, aber sie erreichte damit, was sich sich vorgenommen hatte: Die besorgten Seitenblicke und Verhätschelungen ließen bald nach.
Auf eine „Wie-geht-es-dir?“-Frage antwortete sie immer, egal wie sie sich fühlte, mit:
Gut.

etc.

Die nächsten Wochen waren die Hölle;
ihr Körper kämpfte noch immer, doch ich glaube, sie hatte längst aufgegeben.
Zwei oder drei Wochen, sagten die Ärzte.
Es wurden zwei lange Monate.
Freunde und Familie waren wie vor den Kopf gestoßen. Ihr ging es doch immer gut und die Untersuchungen verliefen doch nicht schlecht. Das tat ihr Leid.
Sie musste sich mit Träumen vom Meer begnügen, denn ihre Verfassung ließ einen letzten Besuch nicht zu.

...und dann ein schluss-satz vielleicht noch, der lüftet, wer hier erzählt?! vielleicht jemand, der umdreht, der die blumen in den abfallkorb schmeissen muss, beim weggehen, ohne sie noch einmal gesehen zu haben... das fände ich traurig, traurig und schön.

lg,
ingmar
FliegendesOink (27) meinte dazu am 27.11.08:
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Abraxa (38) meinte dazu am 25.07.11:
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FliegendesOink (27)
(27.11.08)
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The_black_Death (31)
(01.12.08)
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shadowhunter (28)
(02.12.08)
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 Dieter_Rotmund (03.02.20)
Jetzt bin ich Anfang 30, habe eine Tochter, einen Sohn und Krebs.

Das ist Sozialkitsch. Und wird im Rest des Textes immer schlimmer.

Warum so dick auftragen? Deine Hauptfigur kann eine originellere und spannendere Geschichte erzählen als diesen 08/15-Kram.
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