Streit im Adventskalenderzug

Märchen zum Thema Nachdenkliches

von  tastifix

„Der wird Maike gefallen!"
Die Mutter betrachtet den Adventskalenderzug. An seine niedliche Lok sind vierundzwanzig Mini-Wagen angehängt. Die winzigen Räume hinter den Türen sind leer und warten darauf, jeder ein kleines Geschenk zu beherbergen.
In einem Spielzeuggeschäft ersteht sie vierundzwanzig Kleinigkeiten aus der Barbiepuppenwelt.
„Wenn Maike dann die letzte Tür öffnen wird ... "
Die Mutter lächelt still in sich hinein.

Als Maike abends im Bett liegt und schlummert, setzt sich ihre Mutter an den Wohnzimmertisch. Jedes der kleinen Geschenke umwickelt sie mit einem hübschen Geschenkpapier und bindet noch eine winzige Schleife darum. Danach legt sie die Gaben in die einzelnen Wagen und klappt deren Türen sorgfältig zu. Vorne an die Lok befestigt sie eine Leine und zieht den Zug hinter sich her ins Kinderzimmer bis vor das Bett ihrer Tochter.
„Sie wird Augen machen ..."

Von der Turmuhr der Kirche schlägt es Mitternacht. Im selben Moment ist es mit der nächtlichen Ruhe im Kinderzimmer vorbei. Es raschelt und rumpelt im Adventskalenderzug und aus den Abteilen hört man piepsige Stimmen:
„Wie kann sie nur ... ?!"
„Und sogar ohne unsere Zustimmung einzuholen ... "
„Hört mal. Kriegt ihr eure Tür auf? Meine klemmt!"
Von innen rüttelt es dermaßen heftig, dass der Zug umzukippen droht.

„Seid vorsichtiger! Es darf nichts kaputt gehen!", beschwert sich die Lok.
Der Passagier des ersten Abteils hat es irgendwie geschafft, den Riegel an der Tür zur Seite zu schieben, hopst ins Freie und plumpst erschöpft auf Maikes bunten Kinderteppich. Nach und nach klettern die übrigen Winzigpakete aus dem Zug, streifen flugs ihre Verpackung ab und setzen sich zu ihm.
Allein das Paket aus dem vorletzten Wagen schafft es nicht, sich zu befreien:
„Hallo! Würdet ihr mir mal bitte helfen?"
Das Geschenk aus dem ersten Waggon, ein rosa Barbie-Schuh, eilt dem eingesperrten Kameraden zu Hilfe. Nur das Geschenk aus dem 24. Waggon rührt sich so überhaupt nicht.
´Wenn Maike mich ansehen wird, ist Weihnachten! - Deshalb darf ich da jetzt nicht mitmischen!`

Die Anderen aber hocken dort in der Runde zusammen und betrachten sich kritisch. Da sitzen der Schuh, Kamm und Bürste, zwei glitzernde Haarspangen sowie eine Schleifen, ein Lockenwickler, ein zweiter Schuh, eine Puppenbabyrassel, zwei Pullover, eine Mütze, eine Tasche, eine Hose, ein Kochlöffel, vier Kochtöpfe, ein Babyschnuller und sogar ein winziger Hund. Prompt geht die Streiterei los, wer von ihnen wohl besonders wichtig ist:
„Die Puppen würden immer kalte Füße kriegen!", schimpft der Schuh aus dem ersten Abteil und sein Partner nickt nachdrücklich dazu.
„Ohne unsere Hilfe würden die immer unordentlich aussehen!", meckern Kamm und Bürste.
„Und mit uns sind sie erst richtig schick!", säuseln die Haarspangen und die Schleife. 
„Wenn es mich nicht geben würde, würde Maike ihrer Puppe nie Locken machen können!", trumpft der Lockenwickler auf.
„Mit mir spielt das Baby und freut sich!", rasselt die Rassel.
„Und wir wärmen die Puppen!", setzen die Mütze, die Pullover und die Hose hinzu.
„Mit meiner Hilfe kann das Puppenbaby besser einschlafen!", nuschelt der Schnuller.
„Ohne uns könnte Maike ihren Puppen nie Essen kochen!", klappern der Kochlöffel und die -töpfe.
„Und ich beschütz sie alle!", bellt der Hund stolz. „Sogar auch Maike!"
Verunsichert schauen sie sich an. Tja, wer ist denn nun am wichtigsten?
„Jeder von uns ...", meinen sie dann zögernd, „hat seine Aufgabe und jeder trägt dazu bei, dass sich Maike freuen kann!"
Plötzlich wissen sie es:
„Wir sind alle gleich wichtig. Wir brauchen uns nicht zu zanken!!"

Von der Turmuhr schlägt es ein Uhr. Zufrieden wickeln sich die Geschenke wieder in ihr Papier, binden sich die Schleifen um, klettern zurück in ihre Abteile und ziehen die Türen fest hinter sich zu. Im Kinderzimmer wird es wieder so still wie zuvor.

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Kommentare zu diesem Text


 Sanchina (14.04.10)
tasti, das ist eine schöne Idee, den Gegenständen Leben einzuhauchen und sie zueinander und zu den Menschen in Beziehung treten zu lassen. Der Text gefällt mir ausgesprochen gut! Lb Barbara

 tastifix meinte dazu am 26.04.10:
Danke, Barbara! Mir übrigens auch, lach. Liebe Grüße Gaby
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