Stadtkämmerer Leid

Groteske zum Thema Gier

von  loslosch

Auro victa fides munitas decipit urbes (Namatianus, 5. Jh. n. Chr.; De reditu suo [Von seiner Wiederkehr]). Durch das Gold überwältigt (besiegt), täuschte Zuverlässigkeit die befestigten Städte.

Mehr als 100 deutsche Städte, viele davon im Ruhrgebiet, schlossen in den 1990er Jahren Gewinn verheißende Verträge mit US-Fonds. Dieses sog. Cross-Border-Leasing mit der flotten Umschreibung "sale and lease" (verkaufe und miete/ lease zurück) war kein trügerisches Nullsummenspiel. Gelackmeierte sollte die US-Steuerverwaltung sein. Die Lücke im US-Steuerrecht wurde allerdings im Jahre 2005 geschlossen. Der vor Zuverlässigkeit strotzende Deal mit US-Fonds kam in Bedrängnis, als in der Finanzkrise ab 2008 der US-Versicherer AID an einer Pleite vorbeischrammte (Staatshilfen) und neue Versicherer gesucht werden mussten. Nun durften die neunmalklugen deutschen Stadtkämmerer ihre Leasingverträge erneut absichern (Notarkosten, Gebühren, erhöhte Versicherungsprämien), natürlich in den USA (Firmensitz). Für die klammen Städte per Saldo ein riesiges Verlustgeschäft.

Auch für Stadtkämmerer auf ihren gut dotierten Posten hat zu gelten: Tätige keine Geldgeschäfte, die du nicht verstanden hast! Eine Mitverantwortung trifft auch Kommunalpolitiker, die diesen "Finanzexperten" freie Hand gelassen hatten. Schon Tacitus wusste: Divitiarum expectatio inter causas pauperitatis publicae erat (Annales): Die Aussicht auf Reichtum war mit eine der Ursachen für die Verarmung des Staates [hier: der Kommunen].

Geld macht gierig, so wie Gold. Ein Propädeutikum beim spätantiken Namatianus, meine Herren Stadtkämmerer. Der Kämmerer Leid ist in letzter Konsequenz der Steuerzahler Leid.


Anmerkung von loslosch:

Realgroteske. Vorschlag für das Unwort des Jahres 2010.

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (07.08.10)
Der Föderalismus stößt in einer globalisierten Welt an Grenzen, wenn kleine Stadtkämmerer auf große Finanzhaie treffen...
ob es Aussicht auf Reichtum war? Wahrscheinlich meistens die Aussicht, klamme Kassen ein wenig aufzufüllen.
LG, Dirk

 loslosch meinte dazu am 07.08.10:
Ja, und noch abzusahnen dazu. Als Nichtfachmann für Finanzprodukte dachte ich damals, es könnte gelingen, war aber sofort spektisch wegen der langen Laufzeiten der Verträge und konnte mir nicht vorstellen, dass die US-Finanzbehörden sich das lange bieten lassen. Lothar
Graeculus (69) antwortete darauf am 30.05.13:
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 loslosch schrieb daraufhin am 30.05.13:
namatianus lag richtig, oder?
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