Wissensdurst

Satire zum Thema Lernen

von  loslosch

Prudens interrrogatio quasi dimidium sapientiae (Francis Bacon, 1561 bis 1626; Instauratio magna). Eine kluge Frage ist gleichsam die Hälfte der Weisheit.

Nur wenn sie klug ist! Das wäre dann quasi die Hälfte einer Tautologie. Die Pädagogik, in Sonderheit die moderne, rückt das schülerseitige Fragen ins Zentrum ihrer Bemühungen. Wenn ein Lernender vermeintlich kluge Fragen stellt, vermag er bei einer gewissen Grundintelligenz allerdings seine schlechte schulische Vorbereitung geschickt zu tarnen und zu verschleiern. Bei Horaz (1. Jh. v. Chr.) heißt es schon: Percunctator garrulus idem. Der Ausforscher und der Schwätzer: ein und dieselbe Person.

In der häuslichen Erziehung können kindliche Fragen äußerst nervig sein. Man denke nur an diese berüchtigten Warum-Fragen (warum ist es auf der Sonne heiß?) in einer endlosen Kette bis zum bitteren Eingeständnis väterlichen Nichtwissens. Manchmal geht das Frage-Antwort-Spiel jedoch seinen ganz eigenen Weg. Alfons Goppel (1905 bis 1991), der frühere bayerische Ministerpräsident, erzählte gern und oft die folgende Anekdote: Vater und Sohn aus der Provinz besuchen die bayerische Metropole. Der Kleine ist schwer beeindruckt von der erdrückenden Fülle der Baulichkeiten. "Babba, soag amoi, wos isn des?" Lapidare Antwort des Alten: "Woas i!" Von der Frauenkirche, dem Maximilianeum, der Münchner Residenz, dem Alten Rathaus, der Alten Pinakothek usw. bis zum Deutschen Museum. Ständig diese Frage und ständig diese Replik des Alten. Bis der Kleine schließlich resigniert, in tiefes Schweigen versinkt. Am späten Nachmittag landen die beiden mit nahezu schicksalhafter Bestimmung im Münchner Hofbräuhaus. Der hoch beglückte Vater ordert Speisen und Getränke. Dann greift er zum Humpen. Bevor er ansetzt, meint er, zum Buben gewandt: "Froag mi halt, sonst lernst ja nix!"

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Kommentare zu diesem Text

RobertaRupp (48)
(18.08.11)
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 loslosch meinte dazu am 18.08.11:
... gelernt, wie man es nicht machen soll! :) lothar

 irakulani (18.08.11)
"Durst ist schlimmer als Heimweh" fällt mir dazu ein. Das scheint auch für den Wissensdurst zu gelten, und wenn ja, warum? )

L.G.
Ira

 loslosch antwortete darauf am 18.08.11:
ja, die verschiedenen durstarten, von wissensdurst bis bierdurst, hatte ich satirisch zusammengeführt. tröstlich: der duden führt wissensdurst auf, nicht aber bierdurst. lothar
magenta (65)
(18.08.11)
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 loslosch schrieb daraufhin am 18.08.11:
schweres kaliber vom hl. cyprian. der kath. kirche ists heute etwas peinlich:

Der anstößige Absolutheitsanspruch [kein heil außerhalb der kirche] wurde 1854 von Papst Pius IX. abgemildert, indem er erläuterte, dass außerhalb der Kirche "von dieser Schuld vor den Augen des Herrn niemand betroffen wird, der da lebt in unüberwindlicher Unkenntnis der wahren Religion ..." Somit bekamen plötzlich auch die Heidenkinder eine Perspektive auf das ewige Heil. Dieser päpstliche Hinweis kam indessen mindestens 320 Jahre zu spät. Denn die Indianer Mittelamerikas, insbesondere Mexikos, wurden, sofern bekehrungsresistent, von den "christlichen" Eroberern auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sie hätten dann - wie geschehen - vor dem Todesurteil nicht noch eilig getauft werden müssen. (auszug aus einem anderen artikel, einem sog. lotiono). humperei? bestimmt ein neologismus von heidrun ... :) lothar

 EkkehartMittelberg (18.08.11)
Mit dem Fragen habe ich ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Meine Tochter hat mich mit ihren Warum-Fragen nach dem Muster „Warum ist die Banane krumm?“ teilweise wirklich genervt. Ich habe darauf mit Ironie reagiert, andere Fragen jedoch so gut und ausführlich wie mir möglich beantwortet. Sie hat ihre Bananenfragen sehr bald unterlassen.
Im Unterricht habe ich weiterführende Fragen sehr geschätzt. Wenn sie Ergebnisse erbrachten, habe ich immer auf den zurückverwiesen, der die öffnende Ausgangsfrage gestellt hatte. Das wirkte motivierend.
Der Schwätzer und der Ausforscher haben in der Tat viel gemeinsam; denn das Ausforschen wird ja mit dem Ziel betrieben, dass Ausgeforschte mit Geschwätz oder besser übler Nachrede weiter zu verbreiten.
Ekki

 loslosch äußerte darauf am 18.08.11:
ich hatte die indirekte erfahrung über meine söhne am gym gemacht, ekki. mancher "pädagoge" bewertete das schlichte fragen schon hoch, egal wohin es führt. schlaumeier versuchen so, ihr unwissen zu tarnen und kriegen auch noch gute "haltungsnoten". wenn einer in mathe etwas "fragt", merkt man leicht, ob substanz dahintersteckt. merci. lothar

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 18.08.11:
Diese "einschleimenden" Fragen sind mir natürlich auch bekannt, Lothar. Du liegst richtig mit deiner Vermutung, dass sie von schwachen Pädagogen belohnt werden nach dem Motto: Hauptsache Betriebsamkeit, auch wenn sie leer ist.
Ekki
ErnstEZweifel (33) meinte dazu am 18.08.11:
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 loslosch meinte dazu am 19.08.11:
einschränkung: nicht JEDE frage. lo
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